Was Kältewelle in New York heißt. Für mich und meinen Daunenmantel.

 

Kältewelle in New York

 

Ob die Hölle friert, ist mir doch egal. Da es in Deutschland offenbar üblich ist, den Wetterbericht für New York breitzutreten, warnen mich am Ende meiner Stippvisite im Ruhrgebiet mehrere Leute, dass ich mit der Eiseskälte vorsichtig sein soll.

Dabei hatte ich gerade erst tagelang gefroren, bis ich mich halbwegs an das kühle Klima deutscher Wohnungen gewöhnte, in denen sich Heizkörper auf- und abdrehen oder gar Temperaturen programmieren lassen. Die Heizsysteme alter New Yorker Häuser wie dem, in dem ich wohne, können nur Winter (an) oder Sommer (aus). Beides ist heiß. Aber im Winter funktioniert Fensteröffnen zwecks Klimaausgleich.

Mitten in der Kältewelle komme ich nun hinein ins Wechselspiel von Heizungszischen und Jackeanziehen und frage mich:

Wie erkläre ich Minus 30 Grad Celsius?

1. New York liegt am Meer, Leute. Zwar gilt Chicago als Windy City, aber in Wolkenkratzerhausen weht es auch ordentlich. Sieht toll aus, wenn Regen oder Schnee quer am Fenster vorbeifliegt, aber beim Herumlaufen draußen siehst du das schnell anders. Vorbuchstabiert: In New York schaust du nicht auf die Temperatur, sondern auf den Real Feel (in dt. Wetterberichten heißt er meist Wind Chill). In diesem Moment zum Beispiel: -17°C/-30°C.

2. Rebellion erfordert gutes Timing. Ganz schlecht für ein mutiges Missachten von amtlichen Mitteilungen ist etwa der Zeitpunkt, wenn eine Wetterwarnung besagt, man solle Aufenthalte draußen möglichst beschränken und auf gar keinen Fall ohne Mütze und Handschuhe das Haus verlassen.

3. Vogelkundler feiern eine Premiere: Polareulen lassen sich in New York nieder.

4. “Frostbite” bedeutet Frostbeulen. Erste Vorzeichen sind etwa schmerzende Fingerspitzen oder Zehen. Schmerzen sie nicht mehr, hast du ein Problem. Und bald wieder schlimme Schmerzen. Merke: Wenn plötzlich niemand mehr auf der Straße sein Telefon betippt und auch Wall Street-Heinis auf einmal Skimasken tragen, siehst du zu, dass du im Warmen bleibst.

5. Der kluge Mensch sorgt vor. Das schaffen ja sogar die Eichhörnchen. Ich hasse aber Eichhörnchen, weil sie mein Internetkabel regelmäßig durchkauen, und ich habe vor lauter Trotz nicht vorgesorgt. Mein Wintermantel, dem ich den Namen “Sleeping Bag” gab, hat schon lange keine Seife mehr gesehen. So lange, dass ich mich mit ihm nicht mehr vor die Tür traue und die Jacke anziehen muss, die für New Yorker Winter nicht gerüstet ist. Davon rate ich ab, aber dieser Schachzug beschert mir endlich etwas, womit ich die Kältewelle erklären kann.

Die Geschichte mit dem Daunenmantel

Der Daunenmantel dreht im Waschsalon seine Runden. Mit Tennisbällen im Gepäck erscheine ich vor der Waschmaschine, um ihn im Trockner wieder zu aufzufluffen. Doch was sehe ich? Ich habe zu lange gewartet. Einmal verwandelte ich “Sleeping Bag” schon zurück in seinen weißen Urzustand, doch diesmal ist der Dreck wohl schon zu schwarz. Jedenfalls sehen Ellenbogen, Tascheneingänge, Reißverschlussenden und so weiter immer noch zum Fürchten aus.

Muss ich ihn wohl doch wärmer waschen, denke ich und versuche der Waschsalonfrau zu erklären, dass ich eben wieder das Waschmittel hole, um ihn noch mal zu waschen. Sie schüttelt den Kopf. “Gib ihn dem Typen unten, für die Reinigung”, sagt sie. Ich frage sie, wie ich ihn denn erreiche. “Ruf nach John”, sagt sie.

Ich freue mich, dem netten jungen Mann Arbeit zu bringen. Wir grüßen uns fast täglich fröhlich, und ich bezweifle, dass er John heißt, glaube aber wohl, dass er auf den Namen hört. Mit dem feuchten Daunenmantel trete ich nach draußen. “John” arbeitet unter dem Waschsalon, eine Falltür führt hinunter, die natürlich geschlossen ist, wenn er nicht gerade mit dicken Wäscheballen die Treppe herauf- oder herunterläuft.

“John!” rufe ich, beuge mich zum Spalt in der Falltür. Nix. “John?” Nach vier Versuchen gehe ich wieder in den Waschsalon. “Der hört mich nicht”, sage ich. “Wie geht denn die Tür auf?”

“Du musst da vortreten, so richtig feste”, sagt mir der Hilfsarbeiter, der inzwischen aufgetaucht ist. Ich zögere nur kurz. Für gutes Benehmen ist es zu kalt. Es scheppert. “John?” Etwas raschelt. Die Falltür öffnet sich, und der Mann erscheint. Ich zeige ihm den Dreck an der Daunenjacke. Sie knistert dabei. Als John sie entgegennimmt, sagt er, was ich auch schon bemerkt hatte: Binnen der vielleicht zwei oder drei Minuten, die ich nach ihm rief, sind die feuchten Daunen gefroren. Der ganze Mantel ist … steif.

So, liebe Leute, so fühlen sich Minus 30 Grad an.

 

Daunenmantel gewaschen

 

Und wenn man immer nett zu den Leuten im Viertel ist, ist der warme Mantel schon am nächsten Morgen wieder trocken und weiß.