Im Mai ist es neun Jahre her, dass sich Anne Saxelby mit einer verwegenen Idee selbständig machte: Sie verkauft ausschließlich amerikanischen Käse.

Ja, den gibt’s, und er schmeckt sogar dem französischen Sternekoch Daniel Boulud, der sich das Käsesortiment in seinem New Yorker Feinkostladen von Anne Saxelby zusammenstellen lässt. Ich treffe sie aber in ihrem eigenen Laden, dem Stand „Saxelby Cheese“ im Essex Street Market an der Lower East Side.

 

Anne Saxelby

 

Hinter der winzigen Käsetheke plaudern wir über orange Quadrate, verschrobene Käsebauern und eine schicke Käseplatte, die sich auch chronisch unter Geldmangel leidende New Yorker leisten können.

Anne, wie bist du ins Käsegeschäft geraten?

Ich war eine missratene Kunststudentin hier in New York: Ich machte zwar meinen Abschluss, wusste aber, dass ich keine Künstlerin sein wollte. Das war mir zu einsam und narzisstisch, außerdem war ich auf die Kunstszene in New York nicht sonderlich scharf, ich fand sie zu etepetete. Was ich nun mit meinem Leben anfangen sollte, wusste ich nicht recht, aber da ich Käse liebte, besorgte ich mir einen Job im Käseladen.

Hier in New York?

Ich arbeitete bei Murray’s Cheese im New Yorker West Village. Nach ungefähr drei Monaten zog ich für ein halbes Jahr auf einen Hof namens Cato Corner Farm in Connecticut unFahrrad im Logod lernte bei einem Mutter-Sohn-Team, wie man Käse macht. Dort fand ich wieder zu meinem Ausgangspunkt zurück: Käsemachen und Kunstmachen ähneln sich sehr! Nur fand ich das Käsemachen viel leichter zugänglich, und es macht auch mehr Spaß.

Was macht Käse für dich attraktiver als Kunst?

Gibst du jemandem ein Stück Käse zum Probieren, reagiert er sofort darauf, er mag es oder mag es nicht. Diese Unmittelbarkeit gab mir die Kunstwelt nicht. Man braucht erst einmal Gebrauchsanweisungen oder Hintergrundinformationen, um die meisten Arbeiten zu verstehen, die ich mir anschaute. Ich mag aber die Einfachheit und Unmittelbarkeit des Käses. Außerdem mochte ich die Leute, die ihn machen.

Was für ein Völkchen sind denn die Käsebauern in Amerika?

Ich stellte fest, dass Käsemacher in den USA ein verschrobener, interessanter Haufen sind, die aus ganz verschiedenen Berufen kamen. Die meisten haben gar keinen bäuerlichen Hintergrund, sie finden ihren Weg zum Käse als Sozialarbeiter, Softwareprogrammierer oder Künstler. Ich finde es toll zu sehen, wie diese ganz unterschiedlichen Fähigkeiten sich durch die Linse des Käsemachens entfalten.

Der Uneingeweihte findet aber erst mal keine kleine Käserei, sondern verpackte Scheiben, die in Deutschland „Scheibletten“ heißen – hier steht drauf: „American Cheese“. Das würde man in Europa gar nicht als Käse ansehen.

Hier ist das auch kein Käse. Schau dir nur die Zutatenliste an, die Hälfte davon kannst du nicht aussprechen! Amerikanischer Käse ist viel mehr als die kleinen orangen Quadrate. Und ich glaube, die meisten Leute wissen das, wenn ich ihnen sage: I sell American Cheese. Das sagt doch auch viel über die Arbeit all der Käsemacher: Es gibt eine Wende beim amerikanischen Käse.

 

Kein wahrer American Cheese

Das soll Käse sein? Solcher American Cheese kommt Saxelby nicht in die Theke!

 

Wie kommt es überhaupt, dass der amerikanische Käse ein so viel schlechteres Image hat als der französische?

Käse hat sein schlechtes Image aus der Zeit zwischen den 40er und 70er Jahren, wo das Essen weg vom Handgemachten, hin zur Fabrikware ging. Das Lebensmittelsystem in den USA, nicht nur Käse betreffend, hat sich während und nach dem Zweiten Weltkrieg sehr auf Wissenschaft, Effizienz und Massenproduktion ausgerichtet. Das zog Innovationen nach sich, mit denen sich Lebensmittel länger lagern, mit billigeren Zutaten und weniger Arbeitskräften herstellen ließen. All das betrachtete man als Fortschritt, als gut. Das ging so weit, dass, ja, diese Scheiben von Kraft nicht einmal mehr Käse sind.

Was ändert sich jetzt?

Das Bewusstsein. Die Hippies haben das vor allen anderen verstanden. Mit der „Zurück aufs Land“-Bewegung sagten sie klar: Das ist Müll, das wollen wir nicht mehr. Es dauerte eine Weile, aber jetzt haben die Menschen ein starkes Bewusstsein dafür, was sie essen wollen. Sie kaufen gern, was auf traditionelle, nachhaltige Art hergestellt wurde.

Anne Saxelby

Anne Saxelby
geboren in Ohio, wuchs in einem Vorort von Chicago auf
zog vor 15 Jahren zum Studieren nach New York
lebt in Prospect Heights, Brooklyn
eröffnete Saxelby Cheese im Mai 2006
Ihre erste Erinnerung an Käse ist American Cheese (Scheibletten). Als Kind fand sie es toll, wenn sie im Supermarkt Käse von der Schneidemaschine bekam – er war nicht orange, sondern hellgelb.

Hättest du dieses Geschäft irgendwoanders auch aufgezogen oder hat New York etwas damit zu tun?

New York ist mein Zuhause. Nach dem College entschloss ich mich, hierzubleiben und hier zu leben. Außerdem finde ich, New Yorker sind ein sehr fortschrittlicher und leidenschaftlicher Haufen Leute. Manche Leute hielten es für Irrsinn, das wir uns so eng eingrenzen. Es gab damals keinen anderen Laden, der sich allein auf amerikanischen Käse konzentrierte. Doch von Anfang an wurden wir toll angenommen. Wenn es ums Essen geht, sind die New Yorker aufs Äußerste loyal und bereit, Neues auszuprobieren.

Käseplatten in Restaurants, ganze Abteilungen in Feinkostläden: Es sieht aus, als hätte speziell die Käse-Nachfrage in New York zugenommen. Woher kommt das?

Ich glaube, wir kommen inzwischen mehr mit besserem Käse in Berührung als vorher, und er wird auch kontinuierlich besser. Als ich vor zehn Jahren im Käsegeschäft begann, war Manchego der Star-Käse: Davon hatten die Leute noch nie gehört. Und als mehr importiert wurde und die Leute mehr interessante Käse probieren konnten, bekamen sie Appetit auf mehr. Gleichzeitig keimte die Bewegung der amerikanischen Käsehersteller auf, die Käse im europäischen Stil machen, aber mit erkennbar amerikanischer Note. Das fanden viele Leute auch spannend. Kurz gesagt: Die Verfügbarkeit besseren Käses schuf die Nachfrage. Und das ist auch weiterhin so. Inzwischen gibt es schätzungsweise viermal so viele Käsehersteller in Amerika als noch vor zehn Jahren.

Wie findest du die Käsemacher eigentlich?

Als ich diesen Laden vor gut acht Jahren eröffnete, arbeitete ich mit 20 Höfen zusammen. Einen Teil davon hatte ich bei meinem Job bei Murray’s Cheese kennen gelernt, andere kannte ich aus meiner Zeit in der kleinen Käserei in Connecticut. Die Leute dort stellten mich ihren Freunden vor, und diese Käsemacher stellten mich wiederum ihren Käsemacherfreunden vor. In diesem Geiste ging es bis heute weiter. Ein Käsehersteller gibt uns einen Tipp, wer gerade etwas interessantes Neues macht, manchmal macht sich auch ein Mitarbeiter einer unserer Lieferanten selbständig.

 

Käse!

 

Ist es denkbar, dass die neuen, kleinen amerikanischen Käsemacher wieder auf eine größere Produktion zusteuern – oder würde das alles ruinieren?

Bestimmte Arbeitsschritte lassen sich mit Maschinen machen, ohne dass sich die Qualität zu sehr ändert, aber bei anderen geht das nicht. Selbst die größten Käsehersteller, mit denen wir arbeiten, tun diese Dinge in Handarbeit. Aber es gibt kleine Käsereien, die sich zusammentun, um in größerem Umfang produzieren zu können.

Wie geht das?

Ein gutes Beispiel ist die Jasper Hill Farm in Vermont. Die beiden Brüdern Mateo und Andy Kehler melkten dort 40 Kühe und machten ihren Käse. Sie wollten die Milchwirtschaft in ihrer Gegend wiederbeleben, sie als Käseregion bekanntmachen, aber dazu nicht ihren eigenen Hof auf eine entsprechende Menge bringen. Stattdessen bauten sie Reifungshöhlen, die größten im Lande. Dort machen und reifen sie ihre eigenen Käse plus Käse von zehn anderen Höfen. Andere Käsehersteller können also ein Geschäft aufmachen und das Reifen, Marketing und den Verkauf von dieser gemeinsamen Einrichtung erledigen lassen. Das ist ein großes Plus, denn das Käsemachen allein ist schon ein Vollzeitjob.

Saxelby Cheese im SpiegelDu hast selbst auch eine Käsehöhle.

Ja, aber das muss man echt in Anführungszeichen setzen, es ist eher ein begehbarer Kühlschrank in Red Hook, Brooklyn. Wir hätten gerne eine richtige Käsehöhle, wo wir Abteilungen abtrennen können für unterschiedliche Arten Käse.

Was passiert in solchen Reifungskammern?

Jeder Käse muss reifen. Ich ziehe gern einen Vergleich zum Wein: Manche sollen ganz jung getrunken werden, andere schmecken erst nach zehn Jahren im Weinkeller. Beim Käse ist es genauso. Frische Käse wie Mozzarella, Ricotta und Queso Fresco brauchen keine Reifungszeit, andere Käsesorten brauchen drei Wochen, wieder andere noch länger, das geht bis zu zehn, fünfzehn Jahre.

Was braucht denn ein Käse zum Reifen?

Je nach Stil und Käseart benötigen sie eine bestimmte Temperatur und Luftfeuchtigkeit sowie unterschiedlich viel Pflege. Die Mikroben im Käse brauchen zunächst eine bestimme Temperatur, um zu arbeiten. In der Spanne von 45 bis 50 Grad Fahrenheit (7-10°C) liegt die ideale Temperatur für eine Käsehöhle. Wenn es zu kalt wird, werden sie sehr langsam und der Käse kann nicht reifen. Ist es zu warm, treiben sie den Käse zu schnell. Es ist ein empfindliches Gleichgewicht. Hinzu kommt die Pflege: Manche Käse müssen gewendet und abgebürstet werden, manche werden mit Salzwasser, Bier oder Alkohol gewaschen, manche müssen regelmäßig umgedreht werden.

 

American Cheese bei Saxelby

 

Das ist ja wie ein Remix: Du kauft ganz jungen Käse und machst dann etwas anderes draus. Wessen Etikett klebt hinterher auf dem Käse?

Beim Käse geht das normalerweise ganz unkompliziert: Der Name des Produzenten steht auf dem Etikett und auch der Name des Affineurs, der den Käse gereift hat.

Das klingt exklusiv. Was rätst du dem typischen abgebrannten New YorkKäseschilder, der für sich oder für Gäste guten Käse im Haus haben, aber günstig davonkommen möchte?

Der beste Rat ist: Kauft kleine Mengen, aber dafür öfter. Man braucht Käse nicht pfundweise zu kaufen, wenn man Gäste erwartet. Die Regel dafür lautet: zwei Ounces (etwas mehr als 50 Gramm) Käse pro Person. Selbst wenn du also zehn Leute einlädst, macht das 20 Ounces (567 Gramm) Käse, das ist etwas mehr als ein Pfund. Für so ein Käsesortiment gibst du um die 20, 25 Dollar aus. Oder du stellst jeweils ein halbes Pfund deiner beiden Lieblingskäse hin, das bekommt man meistens für jeweils sechs oder sieben Dollar. Wenn du in eine kleinere Menge Käse investierst, dieser Käse aber richtig gut ist, bist du nach dem Essen zufrieden. Davon brauchst du keine Tonne. Und so ist es dann auch echt nicht teuer.

Stimmt es, dass wo Käse ist, auch Mäuse sind?

Definitiv nicht, nein. In Cartoons ja, aber im richtigen Leben nicht so richtig. (lacht)

 

Karamell ... aus Ziegenmilch

 

Saxelby Cheese hat einen Stand im Essex Market, 120 Essex Street (zw. Delancey und Rivington St).

 

Das hat dir gefallen?
Hier findest du mehr Interviews mit New Yorkerinnen (und ein paar New Yorkern).