Obdachlos in New York: Diane

Diane häkelt. Seit Wochen schon steht sie mit ihrem Garn immer an derselben Stelle: am Pershing Square, direkt gegenüber vom Grand Central Terminal, ein paar Schritte von den Leihfahrrädern entfernt. Hier entstehen ihre Designs, Mützen, Röcke, Katzenmäntel. Und hier in der Gegend schläft sie auch. Manchmal kommt ihr Neffe, der ihre Wäsche mitnimmt oder bringt. Er streitet auch immer mal mit Dianes erwachsenem Sohn.

Manchmal möchte jemand etwas Gehäkeltes haben und gibt ihr dafür Geld. „Was auch immer uns hilft, mit dem hier klarzukommen“, sagt Diane bei unserer ersten Unterhaltung und zeigt zur Seite. Ein Rollkoffer, zwei Kisten auf Rollen, eine Plane. Davor hat sich Buttercup zusammengerollt – die Katze, die zu ihrem „wir“ gehört. Erst auf den zweiten Blick sehe ich, dass das rotgetigerte Tier ein Halsband trägt und eine Sicherheitsleine.

Bei diesem Besuch ist es anders. Buttercup schläft in einem Katzenkinderwagen, ich darf durch das Fliegengitter schauen, soll ihn aber bloß nicht wecken. Ich frage Diane, ob ich eine Geschichte über sie schreiben darf. Im Prinzip schon. Aber nicht jetzt. Sie arbeitet da an etwas. Und schon stecken wir in einer Unterhaltung, bis Diane etwas einfällt: Wir machen einen Tausch.

Diane ist mit einer Sammlung beschäftigt, die einmal das Madyna Museum werden soll, und dazu gehört „Madyna Speaks“. Das kann sie auch jetzt beackern. „Ich interviewe dich für meine Serie, und dann kannst du mir … sagen wir: zehn Fragen stellen“, sagt sie.

Sie tippt kurz in ihr Telefon und spricht eine radiotaugliche Einführung. Kernthema ist Bildung, deshalb fragt sie mich als erstes, ob ich zur Schule gegangen bin, und kommentiert fortan für ihr Publikum jede meiner Antworten. Zum Schluss sagt sie dabei dies:

„Ich möchte dies zum Anlass nehmen um zu sagen: Willkommen in meiner Stadt! Was du hier beobachtest und erlebst, ist eine bestimmte Art, die Dinge zu tun. Wenn du irgendetwas aus deiner Hassliebe zu New York, von mir und aus unserem Interview mitnehmen kannst, dann fände ich es gut, wenn du dich ganz darauf konzentrierst, was du von New York willst. Und nicht, was New York aus dir machen könnte. Denn wenn du den Leuten erlaubst, dich zu etwas zu machen, dann schuldest du denen was. Und zwar auf eine Weise, die man nicht abbezahlen kann. Du musst fest und unerschütterlich bleiben in dem, was du willst, auch wenn dir jemand sagt, dass du das aber nicht haben kannst.

Gehäkelt: ein Stück vom Katzenmantel

Katzenmantel: Detail von dem Design, an dem Diane häkelt.

Diane, wie hast du mit dem Häkeln angefangen?

Gelernt habe ich das Häkeln zunächst von meiner Schwester, die ganz nach meiner Mutter kommt. Meine Mutter ist die Königin der Nähmaschine. Wir sind als Kinder früher ständig auf Nähmuster und Nadeln getreten. Mit ungefähr vier, fünf Jahren trug ich ein Samtkleid von ihr bei einer Modenschau in der Kirche, und ich gewann. Das war toll. Von klein auf wusste ich, dass Mode mein Ding sein könnte. Später war ich kurz auf der Parsons School of Design. Dass ich heute so enthusiastisch häkle, kommt aber eigentlich daher, dass mir kalt war. Ich wollte mir eine Decke machen für meine damalige Wohnung, ein House Warming-Geschenk an mich selbst. Diese Decke habe ich immer noch, sie ist eingelagert. Sie ist auf jeden Fall Teil meiner Ausstellung, meines Museums: der Beginn des Häkelns.

Du warst auf der Parsons School?

Ja, aber ich weiß nicht mehr genau, wann, und es war so kurz, dass ich keinen Abschluss bekam. Aber ich habe zum Beispiel gelernt, wie man Schnittmuster macht oder Säume schließt. Ich war damals außerdem bei der Stadt New York angestellt. Darauf bin ich so stolz. Weil ich diese Stadt so sehr liebe wie du, wahrscheinlich sogar noch mehr.

Das klingt so, als hättest du einen vollen Lebenslauf. Welche Jobs hattest du denn?

Meine ersten Jobs hatte ich als Teenager in einigen Fastfood-Restaurants in dieser Gegend, zwischen der 34th Street und hier. Danach begann ich im Büro für Adoption und Pflegeunterbringung. Da war ich 18. Mit 19 bekam ich dann meinen Sohn. Ich blieb trotzdem für sechs Jahre in dem Job, und dann nahm ich das Buyout an, das der damalige Bürgermeister Giuliani anbot. Ich sah die finanzielle Seite. Ich war in meinen Zwanzigern, machte mehr als 20.000 Dollar im Jahr, und das war mir nicht genug! Meine Kollegen verdienten nämlich sehr viel mehr.

Ich fragte, was ich denn tun muss, um auch Sachbearbeiterin oder Sozialarbeiterin zu werden. Und sie sagten: „Geh aufs College. Selbst wenn du 60 Credits in Unterwasserkorbflechten bekommst, kannst du das werden, was ich bin. Du brauchst nur die College-Credits.“ Das hat mich sehr angespornt. Ich hatte nur den GED-Abschluss, und ich war auf einer Fachschule, da habe ich Tippen gelernt, 50 Worte die Minute. Ich wollte nun also College-Credits, ich belegte Seminare und legte mich dafür krumm, aber am Ende hatte ich nur 48 Credits. Ist das nicht schade? Und dann wurde meine Mutter krank, und ich musste ihr helfen.

Diane Majett

Diane Majett,
geboren in Queens, aufgewachsen in Brooklyn,
lebt in der Nähe von Grand Central auf der Straße,
versucht, mit Häkelware Katzenfutter zu finanzieren,
arbeitet hier gerade an einem Katzenmantel nach ihrem eigenen Design.

Ist jetzt das Häkeln dein Beruf?

Ich bin arbeitslos. Das hier ist nur ein Hobby. Damit versuche ich, Katzenfutter zusammenzubekommen, und etwas zu essen für mich, wenn ich das schaffe. Es ist etwas, das ich den Menschen zurückgebe, die mir etwas geben. Es wandelt sich sogar in mehr als das, weil ich dabei mein Bestes gebe: Besser habe ich nie gehäkelt, ich werde auch immer schneller. Das gilt ja für alles: Je mehr und öfter du es tust, desto besser wirst du darin. Und wenn du obdachlos bist, noch dazu mit einem Haustier, dann muss von irgendwoher Geld kommen.

Wenn Geld keine Rolle spielte, weil du einen edlen Spender oder einen großen Investor hättest, was würdest du damit tun?

Ich würde die Immobilien aufbauen, die meine inneren Ziele verwirklichen. Diese Ziele sind: Mein Museum beherbergen, ein Dach über dem Kopf schaffen, das nicht so traurig und ohne Frieden ist. Und ich würde meinem Interesse an Medizin nachgehen, meinem Interesse an Anthropologie und meinem Museum. Ich würde gerne in mich selbst investieren, wenn ich die richtigen Investoren hätte.

Erzähl mir von deinem Museum: Was ist da drin, und wo ist es, erst mal nur in deinem Kopf?

Nein, ich habe schon einige Versionen davon gemacht. Zum Beispiel in einem Kurs für Entwürfe. Das Madyna Museum existiert online und auf Papier. In Skizzen und Zeichnungen von verschiedenen Ausstellungsräumen, in meinem Lagerraum, in einer Sammlung verschiedener Kunstwerke, Songs, und Interviews, verschiedener angeeigneter … wie nennt man das? Ich durchkämme Second Hand-Läden und alle möglichen Orte nach Dingen mit einem inneren Wert. Das Museum reflektiert mich und Dinge, die ich für ausstellungswürdig befinde. Dafür habe ich viel gelernt. Denn wenn ich erst einmal die ganze Welt davon überzeugen muss, dass ich Kuratorin bin, dann muss ich wissen, was Kunst ist.

Was soll jemand, der in deinem Museum war, hinterher mitnehmen?

Die innere Fähigkeit, das zu gestalten, was du fühlst. Ich würde dich bitten, dir aktuelle Ereignisse anzuschauen, und wenn du zum Madyna Museum kommst, darüber nachzudenken, was du tun kannst, um die Welt für uns alle zu verbessern. Und zwar anstelle einer gewalttätigen Auseinandersetzung. Ich will, dass die Öffentlichkeit versteht: Man kann aus Nichts Kunst schaffen, die sagt, wer du bist.

Viele Leute wissen nicht, wie sie Obdachlosen begegnen sollen. Wenn du bestimmen könntest, was all die Leute hier um uns herum tun sollen, was wäre das?

Wer einen Obdachlosen sieht, sollte sich bewusst machen: Du hast mit diesem Menschen keinerlei Rechnung offen. Es ist nicht deine Aufgabe, das Obdachlosenproblem zu lösen, indem du selbige anschreist. Du betrittst diese Stadt, diese Straße, und wir haben dieselben Rechte wie du. Niemand ist ein extremerer Bürger als die Geringsten unter uns, also die Obdachlosen.

Ich musste meine Verkaufstätigkeit hier schon so oft verteidigen, nur weil man sieht, dass ich obdachlos bin. Gleichzeitig bin ich aber auch eine ehemalige Angestellte der Stadt. Du weißt ja gar nicht, wem gegenüber du dich respektlos benimmst. Und wenn du mich hier häkeln siehst, mache ich nichts anderes als der Typ, der T-Shirts airbrusht. Aber bloß weil du zufällig weißt, dass ich obdachlos bin, darfst du auf mich herabschauen dafür, dass ich damit ein bisschen Geld verdiene? Erscheint es dir richtig, das zu verurteilen?

Unterm Strich müssen wir alle es uns leisten können, in der Stadt zu leben. Obdachlose sind hier auf der Straße, weil sie sonst nirgendwohin können. Manche gehen einem nahe, manche provozieren auch, denn sie wollen, dass du ihnen mit ganz bestimmten Dingen hilfst, auch wenn du die vielleicht gar nicht hast. Es gibt Hilfsprogramme, aber oft reichen die nicht für das, was mit diesen direkten Spenden von Passanten möglich ist. So manches Hilfsprogramm ist nicht viel mehr als ein leeres Schaufenster. Und natürlich gibt es die Shelter, die Obdachlosenheime. Da möge die Macht mit dir sein: Viele fühlen sich auf der Straße sicherer als dort.