Manchmal wache ich auf und denke, ich bin im falschen Film. “Und täglich grüßt das Murmeltier” oder so, aber nicht romantisch-lustig, sondern schaurig-fies. Am Tag nach der Amtseinführung des Präsidenten im Januar 2017 habe ich noch über das Plakat einer alten Dame geschmunzelt, auf dem sinngemäß stand: “Ich fass es nicht, dass ich gegen diesen Scheiß noch mal auf die Straße gehen muss.” Hahaha. So absurd! Da hieß die Veranstaltung einfach nur Women’s March on NYC, alle hatten eine Meinung, aber niemand wusste, was auf Amerika zukommt. Mit Hunderttausenden New YorkerInnen stundenlang drauf zu warten, dass wir überhaupt mal anfangen dürfen zu marschieren, das war Hoffnung pur. Women’s rights are human rights. Wir sind viele. Wir sind laut. Da bewegt sich was.

2019 hängt eine Jahreszahl hinter dem Women’s March, es ist erst das dritte Mal, aber es fühlt sich so an, als würde das schon ewig so gehen. Ich denke an diese alte Dame von damals und auch, dass ein langer, harter Kampf eine Floskel ist und gleichzeitig das pralle Leben. Demonstrationen funktionieren, weil sie sich nicht wegignorieren lassen.

Women's March 2019 NYC

In New York geht es auch bei Women’s March 2019 fantasievoll zu. Eine Frauentrommeltruppe bringt die Wartenden in Wallung (es ist ganz schön kalt!), die Plakatsprüche sind immer wieder neu (ich frage mich, ob euch das anhand meiner Bilder auch auffällt oder ob das aus der Ferne betrachtet jedes Jahr gleich aussieht … Kommentare?), zwischendrin werfen an einer Biegung vor mir eine Gruppe Frauen plötzlich ihre Jacken auf einen Haufen, stöpseln ein Telefon an einen Lautsprecher und fangen an, zu Protestsongs zu tanzen.

Women's March New York 2019

Aber um mich herum hängen auch Fragen in der Luft. Dieses Jahr kommen weniger Leute, oder? Der Wetterbericht für dieses Wochenende klang gruselig: Temperaturen um den Gefrierpunkt, Schnee, Wind, dann Regen, ein rapider Temperatursturz und entsprechende Glatteisgefahr. Der Himmel zieht sich kurz nach Beginn des Women’s March 2019 tatsächlich zu und es ist fröstelig, aber Niederschlag bleibt aus. Händler am Rand verkaufen Mützen nicht nur für den Look. What’s new, pussyhat?

Außerdem haben einige Leute versucht, die Solidarität zu sprengen. Zwar kennen nur sehr wenige Menschen, die zu einem der Women’s Marches in den diversen US-Städten gegangen sind, die Namen derjenigen, die damals in Washington die erste dieser Veranstaltungen organisiert haben und inzwischen ein festes Team sind. Doch nachdem beim Women’s March 2018 abermals Tausende Menschen mitgemacht hatten, tauchten plötzlich Meldungen darüber auf, dass eine dieser Organisatorinnen, Tamika Mallory, bei der Veranstaltung von Louis Farrakhan aufgetaucht war, der sich dort (wie schon oft zuvor) mit Antisemitismus und Homophobie hervortat. Sie stellte sogar ein Selfie mit ihm ins Netz und nannte ihn dort den “Größten aller Zeiten”.

Im November kam dann ein Bericht, ungenannte InformantInnen hätten mitgehört, dass Mallory und eine weitere Organisatorin bei einem Treffen der Women’s March-Leitung selbst antisemitische Äußerungen von sich gegeben habe. Das bestreiten alle Women’s March-Leiterinnen aufs Schärfste. Zu dem Selfie-Skandal sagt Mallory dagegen: Der Typ sei toll in dem, was er für Schwarze erreicht hat, aber ansonsten sei sie nicht in allem seiner Meinung. In einer Talkshow ein paar Tage vor dem Women’s March 2019 wiederholt sie das, will den Mann aber nicht explizit verurteilen, und einen Rücktritt lehnt sie auch ab. Sie wolle sich nicht durch die Perspektive eines Mannes (eben jenes Farrakhans) beurteilen lassen, und in punkto Rücktrittsforderungen hätte sie ebensoviele Stimmen gehört, die sie als Anführerin schätzen. Diese Art, mit Vorwürfen umzugehen, wundert und enttäuscht viele.

So viel wichtiger als ein Pöstchen ist das Anliegen, Fairness und Gerechtigkeit für alle Frauen zu erreichen. Doch die Saat der Verwirrung und Spaltung ist gesät – und der Informationsfluss blockiert. Als ich ein paar Tage vor der Demo in zwei verschiedenen Suchmaschinen nach “Women’s March New York 2019” schaue, spucken beide lauter Meldungen darüber aus, dass die Veranstaltung in New Orleans wegen dieser Verwicklungen abgesagt sei.

In New York kommt dann noch ein seltsames Kommunikationsproblem hinzu: Die Organisation aus Washington spricht im Vorfeld irgendwie nicht mit der Gruppe aus New York, die dort die bisherigen Women’s Marches organisiert hat, und am Ende gibt es zwei. Hä? Ja, doch. Das alles hat bei vielen DemonstrantInnen der Vorjahre die Frage aufgeworfen, ob sie sich diesmal beteiligen sollen. United we stand, divided we fall.

Die Organisatorinnen haben sich vor dem Marsch mit führenden Köpfen aus der jüdischen Gemeinde zur Debatte und zum Lernen getroffen. Auch für die Kundgebung sind deren VertreterInnen eingeladen, und viele kommen auch. Die Personaldebatte dagegen ist unterwegs höchstens auf Nachfrage ein Thema.

“Ich bin doch nicht für Tamika Mallory hier”, sagt eine Demonstrantin. “Es ist ganz wichtig, dass interne Querelen die Leute nicht davon abhalten, zu kommen.” Es gibt Hinweise, wer sich angesichts dieser Querelen die Hände reibt: In einer Querstraße, die Hauptzugang für die Demonstration ist, steht eine Gruppe mit einem gigantischen Trump-Banner. Darunter reihen sich Leute mit den roten Mützen und dem Wahlkampfspruch des Präsidenten, ihr wisst schon, Amerika macht wieder groß oder so, und diese Leute wedeln mit Plakaten, die vor Antisemitismus warnen. An dieser Stelle musste ich mal kurz darüber schmunzeln, was ich beim allerersten Women’s March für aberwitzig gehalten hatte … und das ist nicht das Ende der Fahnenstange aus Absurdistan. Bei der Kundgebung am Foley Square (bei der ich nicht war) stürmt gleich zu Beginn eine Frau auf die Bühne, die für rechtsradikale Auftritte bekannt ist, und schreit: “The Women’s March is the real Nazi march.”

Es sind deutlich weniger Menschen auf der Straße als in den beiden Jahren davor. Aber es ist immer noch eine beeindruckende Menge, die sich neben dem Central Park sammelte und dann vom Columbus Circle am Park entlang und die Sixth Avenue bis zur 42nd Street bevölkerte.

Women's March 2019 NYC
Am Ende der Demo stehen wie in den Jahren zuvor fröhliche Menschen mit Megafonen, die sich fürs Mitmachen bedanken. Ringsherum warten mehrere sign drops, aus denen die abgegebenen Schilder dem Recycling zugeführt werden.

Und das ist ja nur einer der beiden Märsche, die andere Menschenmenge drängelt sich am Foley Square, plus eine Schwesterveranstaltung für Behinderte (für die ein solcher Marsch innerhalb von Polizeigittern mit wenigen Zu- und Ausgängen nicht machbar ist) in Grand Central. Zahlen habe ich bislang nicht gefunden. Aber zwei Eindrücke haben sich in meinem Hirn festgesetzt.

Erstens: Zumindest den Transparenten zufolge hat sich die Denke vertieft – weniger Trump, mehr Zukunft, weniger gegen, mehr für, und deutlich mehr Miteinander.

Zweiter Eindruck: Demonstrieren bringt etwas. Jedenfalls scheint es die GegnerInnen von Menschenrechten auf die Palme zu bringen – und von dort direkt nach Absurdistan.