Blickfang der Woche

Neulich hatte ich den Verdacht, hier in New York hält mich jemand für eine Touristin, und das war mir unangenehm.

Was für ein Kokolores!

Wenn Menschen in die Fremde reisen, ist doch klar, dass sie sich nicht auskennen – und schön, dass sie sich interessieren. Ein schlechtes Image haben Touristinnen nur von denen, die nix außer sich selbst sehen können oder wollen, die überhaupt keinen Anlass sehen, sich an örtlichen Sitten, Sorgen oder mit gesundem Menschenverstand begründbarem Lokalpragmatismus zu orientieren und in ihrer schlimmsten Form das sogar zum Anlass nehmen, sich in der Fremde zu benehmen, wie sie es zu Hause nie wagen würden.

Kurzum: Pradoxerweise gibt es Menschen, die gegen alles Fremde sind und trotzdem verreisen. Aber die sind in der Minderheit. Hoffe ich. Trotzdem versauen sie allen anderen den Ruf.

Weil ich fest daran glaube, dass auf meiner Kofferwaage Neugier und Interesse die Vorurteile und Gewohnheiten von zu Hause überwiegen, sollte ich eigentlich stolz sein, wenn mich jemand für eine Touristin hält. Bin ich aber rätselhafterweise nur dann, wenn die denken, ich sei inneramerikanische Touristin. Das soll mir mal jemand erklären …

Anyway (seht ihr? Inneramerikanisch verinnerlicht!): Ich verstehe, warum Touristinnen und Touristen es peinlich finden, eindeutig erkennbar zu sein. Das wissen auch andere Leute, die Reiseführer schreiben, und eins der Dinge, die sie deswegen dann da für die New York-Reise hineinschreiben, damit Touristen sich tarnen können, ist ein Straßenname. Ein echt perfider Straßenname.

Wenn ihr das Wort “Houston” seht, woran denkt ihr dann?

Selbst viele inneramerikanische Touristinnen denken dann an eine andere Stadt im Land. Mit Houston, Texas hat die New Yorker Houston Street aber nichts zu tun. Sondern mit einem Herrn, der im Laufe der Geschichte einen Buchstaben verlor.

William Houstoun kam aus einer prominenten schottischen Plantagenbesitzerfamilie in der Kolonie Georgia und heiratete in eine prominente New Yorker Familie ein. Kurz darauf hatte sein Schwiegervater, Nicholas Bayard III, finanzielle Schwierigkeiten und musste eine von mehreren Farmen verkaufen. Dazu teilte er sie in 35 Grundstücke auf und zog Straßen hindurch. Eine davon benannte er zu Ehren seines Schwiegersohns.

Aber Houstoun war auf die Dauer zu umständlich oder die Farbe war ausgegangen oder ein Straßenschildverwalter hatte irgendeinen Beef mit dieser Familie oder ach, da würden mir jetzt viele Räuberpistolen einfallen. Wie und wann genau der Buchstabe verschwand, weiß ich nicht.

Fakt ist: Die Houston Street hat nichts mit einer Stadt zu tun. Aber wenn Reisende nach dem Weg fragen, sprechen sie sie oft falsch aus und enttarnen sich damit unfreiwillig. Ein Imbiss am Rande dieser Straße gibt deshalb neuerdings Sprachunterricht. Oder soll das der genervte Tonfall der Alteingesessenen sein, die harmlose Touristinnen maßregeln?

Howstin Houston Street

Jedenfalls sagt ihr als weltgewandte Touristinnen heute zu dieser Straße natürlich “Hausten”. Nicht Juusten.