New York ist doch immer wieder gut darin, Vorurteile zu entkräften. Nicht nur Menschen gegenüber, sondern auch Dingen. Stellt euch zum Beispiel mal einen Leuchtturm vor. Wenn da jetzt ein eindeutiges und irgendwie auch ausschließliches Bild vor eurem geistigen Auge auftaucht, könnt ihr gleich dasselbe Aha erleben wie ich neulich im National Lighthouse Museum, unserem relativ neuen Leuchtturmmuseum.

Lighthouse Museum Staten Island Leuchtturmmuseum New York

Dort empfängt mich ein netter Herr namens Bobby und bietet mir eine Führung an. Nicht dass ihr glaubt, ich bekäme eine Bloggerinnensonderbehandlung. So halten es Bobby und Co mit allen Museumsbesucherinnen, die Einführung läuft immer ähnlich ab – und beginnt immer am selben Fleck: vor einer großen, leuchtturmähnlichen Vitrine voller Miniaturleuchttürme. Sie nennen diese Extraausstellung “Wall of Lights”.

Mini-Leuchttürme aus aller Welt

Mehr als 160 kleine Leuchttürme aus verschiedenen Teilen der Welt stehen da als erste Orientierung (sic!) nach Ländern und US-Bundesländern geordnet. Manche warten noch auf Leute, die ihren Namen gern unter dem Sockel sähen.

Leuchtturm Bremerhaven im Lighthouse Museum Staten Island

“Sponsorn sage ich nicht”, bekundet Bobby. “Die Leute dürfen einen Leuchtturm adoptieren.” Was Bobby außerdem nicht tut, ist betteln. Beiläufig erwähnt er, dass so eine Leuchtturmadoption tausend Dollar kostet, das war es aber auch schon. Er will mir viel lieber Geschichten von den Leuchttürmen erzählen.

Wie unterschiedlich sie aussehen, zeigt er mir quasi im Vorbeigehen. Bei meinem Rundgang alleine durch den Rest des Museums werde ich später noch ausführlicher lernen, dass Leuchttürme absichtlich ganz unterschiedlich geformt und angemalt sind: So konnten Seeleute von weitem bestätigen, wo sie sich auf der Seekarte wähnten. Das macht man übrigens immer noch mit Hilfe von solcherlei markanten Bauwerken (heute zählen aber zum Beispiel auch Funkmasten zu den Orientierungshilfen).

Dann zeigt Bobby mir einen Mini-Leuchtturm, von dem er sagt: Das war der Erste. Es ist eine regelrechte Festung, mit säulengestütztem Umlauf samt ägyptischen Statuen. Und die Wall of Lights hat noch mehr Historisches zu bieten.

Koloss von Rhodos im Lighthouse Museum New York

Da unten steht der Koloss von Rhodos mit je einem Fuß auf den Kaimauern der Hafeneinfahrt. Die Schiffe müssen zwischen seinen Beinen hindurch, und damit sie selbige akkurat anpeilen, hält er eine Fackel hoch.

“Die mussten da ganz hochklettern, um die Fackel am Leuchten zu halten, damals noch mit Holz”, sagt Bobby. Ich bin ein bisschen skeptisch, und damit bin ich nicht alleine. Historiker versuchen seit Jahr und Tag vergeblich, den genauen Standort des Koloss zu bestimmen. Es gilt als unwahrscheinlich, dass er am Hafen stand.

Aber auch auf einem Berg wäre er sicherlich eine gute Orientierungshilfe gewesen, denke ich gerade versöhnlich. Da sagt Bobby etwas, das meine schöne kleine Ich-kenne-New-York-wie-meine-nicht-vorhandene-Westentasche-Welt umstülpt.

“Das war die Vorlage für die Leute, die die Freiheitsstatue gebaut haben”, sagt er. Noch denke ich: Ha, der kann mir viel erzählen, das habe ich ja noch nie gehört. Dann schaue ich auf das grüne Männchen und sehe Parallelen. Und dann sagt Bobby: “Die war ja auch ein Leuchtturm.”

Der berühmteste Leuchtturm der Welt steht in New York

Unerhört, oder? Tja, aber das ist nun wahrlich keine Legende. Heute leuchtet die Fackel der Statue of Liberty dekorativ, doch früher hatte sie mal was zu sagen: 24 Meilen weit konnten Schiffe auf dem Meer ihr Licht sehen.

Freiheitsstatue

Für einige Jahre, nämlich bis 1902, zählte die Freiheitsstatue tatsächlich zu den Leuchttürmen in der New Yorker Hafeneinfahrt. Lady Libertys mit Technikproblemen erschwerte Seemannsretterinnenvergangenheit – sie musste ja unbedingt der erste Leuchtturm mit elektrischem Licht sein, verflixt noch eins! – könnt ihr bei den Lighthousefriends nachlesen.

Unterdessen verschwindet gerade in meinem Kopf ein einsamer, rot-weiß geringelter Leuchtturm in der Versenkung. Das war mein Vorurteil von einem Leuchtturm, obwohl die letzten Leuchttürme, die ich von Nahem sah (klarer Vorteil vom Inselleben!), allesamt anders aussahen. Aber immerhin hatten sie diese Turmform. Doch offenbar kann ein Leuchtturm ja sogar aussehen wie eine grüne Frau!

Miniatur-Leuchttürme in der Wall of Lights-Ausstellung in New York

Im Museum finde ich noch mehr Formen. Einige sehen wie Häuser aus, andere wie Schiffe (was daran liegt, dass es ankernde Schiffe sind), manche stehen auf Stelzen und manche haben sich in Gruppen zusammengetan. Das bläst mein Ideenzentrum im Kopf ganz schön frei. “Think out of the box”, sagen sie hier, und ich denke jetzt mal über die Leuchtturmspitze hinaus.

Lighthouse Ships Wall of Lights Lighthouse Museum

Das Leuchtturmmuseum war mal nur für Leuchttürme da

Prompt erfahre ich noch etwas, das ich mir anders vorgestellt hatte. Auf dem Weg zum National Lighthouse Museum kommt man derzeit an Baustellen und abesperrten Häusern vorbei, deren Fenster mit Brettern vernagelt sind. Na, werdet ihr bald Eigentumswohnungen?, habe ich im Vorbeigehen gedacht. Weil ich gewissen Vorurteile gegenüber alten Kästen am Wasser habe.

Aber hier wird nicht gentrifiziert. All diese Gebäude gehören zum Leuchtturmmuseum. Die Initiative für dieses Museum hat vor mehreren Konkurrenten in anderen Bundesländern den Zuschlag bekommen, weil genau hier das Hauptquartier der amerikanischen Leuchttürme stand (und, wenn auch zum Teil etwas baufällig, noch steht): das United States Lighthouse Service (USLHS) General Depot hatte seinen Sitz in New York. Staten Island, um genau zu sein.

Von dort wo ich jetzt stehe, vor einem langen, im Sommer mit Anglern besetzten Pier gleich neben dem hoch umzäunten “Parkplatz” der Fähren, von hier belieferten die Lighthouse Tender ihre jeweiligen Leuchttürme mit Lampenöl, das in riesigen Depots lagerte, und mit Lampen, aber auch Besen oder Klorollenhaltern – mit eingestanztem USLHS und in diesen Hallen geschmiedet, geschraubt und gedrechselt.

Klorollenhalter Lighthouse Museum Staten Island

Zu diesen Gebäuden kehren wir nun gedanklich zurück. Als Bobby mich in die eigentliche Ausstellung entlassen will, möchte ich noch etwas wissen. Ich frage ihn, ob er neben seiner Miniaturvermittlung eigentlich auch selbst ein Stück Geschichte zum Leuchtturmmuseum beigetragen hat.

“Oh ja”, strahlt Bobby. “Ein Stück habe ich hier drin.” Daraufhin muss ich einen Moment warten, weil Bobby erst einen Zettel mit einer technischen Übersicht holt, damit ich auch ganz genau verstehe, was das ist. Erst einmal aber steuert er auf eine Vitrine mit Einzelteilen zu.

Fresnel Lense Ring Staten Island

In der ehemaligen Lampenwerkstatt schräg gegenüber fand Bobby einen großen geschliffenen Ring.  Er gehörte zu einer Fresnel-Linse – das sind die Speziallinsen in Leuchttürmen, die dafür sorgen, dass deren Licht meilenweit zu sehen und eindeutig einem Ort zuzuweisen ist. Im Museum steht unter anderem auch eine kleine Version dieser Linsen.

Lighthouse Museum Staten Island

Früher einmal wurden diese Linsen in einem Gebäude auf der anderen Seite des jetzigen Parkplatzes zusammengebaut. Anhand einer Zeichnung zeigt Bobby mir, wohin dieser Ring in der riesigen Linse aus lauter raffiniert geschliffenen Teilen gehörte. Sie sieht so ähnlich aus wie diese hier:

Fresnel Lense

Richtig viel suchen durfte Bobby in dem Gebäude noch nicht. Aber er hat der Firma, die die Umbaumaßnahmen leitet, ein Versprechen abgenommen: Sie sagen ihm Bescheid, sobald sie dort arbeiten – und vor allem natürlich, wenn sie etwas finden.

Ich entdecke derweil, dass dem Museum in einer Übersicht über die Leuchttürme im Einzugsgebiet New Yorks einer meiner Lieblinge fehlt: der Coffee Pot an der North Fork von Long Island. Als ich Bobby erzähle, dass ich vom Vorbeisegeln gute Fotos von dem Leuchtturm habe, gibt er mir die Kontaktdaten der Museumskuratorin. Vielleicht kann ich ja dazu beitragen, dass die Geschichte der Leuchttürme noch mehr Farbe bekommt – allerdings in diesem Falle weder rot-weiß noch grün.

National Lighthouse Museum, 200 The Promenade (Ecke Lighthouse Point; von der Staten Island Ferry aus links halten), di-so 11-16 Uhr (im Sommer meist länger), Eintritt ca. 5 Dollar, Details auf der Website.

Robbins Reef Lighthouse, New York Harbor

Das Robbins Reef Lighthouse, auch bekannt als Kate’s Light, im New Yorker Hafen.

3 weitere Geschichten von Leuchttürmen:

  • Die Geschichte der deutschen Einwandererin Kate Walker, die nach dem Tod ihres amerikanischen Leuchtturmwärtergatten jahrzehntelang einen Job machte, den sich später vier Männer teilten – und zwar im Robbins Reef Lighthouse (an dem ihr mit der Staten Island Ferry vorbeikommt).
  • Der seltsamste Leuchtturm von New York – er steht in Manhattan und ist vom Wasser aus gar nicht zu sehen.
  • Das Kinderbuch “The Little Red Lighthouse and the Great Gray Bridge“. Den Leuchtturm darin gibt es wirklich, er heißt Jeffries Hook und steht unter der George Washington Bridge in Manhattan und ist nur ein paar Mal im Jahr für Besucher geöffnet.

 

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