Kirschkönig Red Hook Brooklyn

 

Cocktailkirschfabrikant Arthur Mondella ist tot. Er hinterlässt drei Töchter und viele Rätsel.

Hätte ich die folgende Geschichte in einem Roman gelesen, mein Hirn hätte wohl gesurrt: “Herrlich überdreht, mehr davon!” Genüßlich miteinrechnend, dass unterdessen einige Kritiker “unglaubwürdiger Plot” in ihre steinernen Mienen kratzen. Dieses Leben. Total unglaubwürdig.

Ich laufe da ja auch durch, durch dieses Leben, und an den verwittert graugewöhnlichen Tagen verteile ich auch solche Noten. Blödsinn, Traumtänzerei, glaub ich nicht, wäre ja schön gewesen. Aber für eine gute Geschichte öffnet sich mein Kopftrichter. Selbst wenn sie ihren Nährboden irgendwo im Leben gefunden hat, an einem ausgeleierten Dooftag.

Da hat Dell’s Maraschino Cherries die Polizei im Haus. Sie geht einer Beschwerde nach und darf sich von Rechts wegen in der Fabrik in Red Hook umschauen. Red Hook liegt in Brooklyn, am Wasser, an manchen Stellen sieht man die Freiheitsstatue herüberschimmern, an anderen Hafendreck, und ein Stück von Governors Island, der alten Soldateninsel, die jetzt zum Freizeitpark wird, mit Blumen und Bienen, Hängematten und Foodtrucks.

So lange langt die Zeit nicht zurück, dass sich keiner mehr an den Ruf Red Hooks erinnert. Hafenarbeitern drückt die Müdigkeit im Bus die Köpfe herunter, wenn sie umwittert von harter Arbeit und Gefahr nach Hause pendeln. Eine U-Bahn hielt hier noch nie. Ein Schulname erinnert an den Direktor Patrick Daly, der den Menschen in Red Hook eine Chance freibuddeln wollte und auf der Suche nach einem verlorengegangenen Schüler starb. Er war ins Kreuzfeuer zwischen Drogenhändler-Teenagern geraten. Damals hieß sein Schulhof noch Crack City.

Jetzt knallgelbt Ikea am Wasserrand und karrt angespannte junge Paare mit einer eigenen Fähre her. Es gibt sogar einen Supermarkt, wo früher eine Lebensmittelwüste mit Trockenfutter drohte. Manches alte Lagerhaus beherbergt inzwischen einen Weinhandel oder Künstlerwerkstätten. Und drumherum leben immer noch genug Leute, die sich das nicht leisten können. Manche haben Arbeit in einer der verbliebenen Fabriken.

So wie bei Dell’s. Seit drei Generationen und 67 Jahren machen sie hier Kirschen ein. Maraschinokirschen, das kann nicht jeder, die gehören aber in einen Cocktail und oben auf ein Nostalgiesonntagsdessert, nennen wir es mal Sundae. Und Firmen wie Dell’s beliefern die New Yorker Restaurants mit solchen grellroten Itüpfelchen.

Arthur Mondella sitzt in seinem Büro und kann da auch nichts machen. Die Polizei befragt ihn über seinen Müll, schaut sich um, und das dauert verdächtig lange, so lange, dass irgendwann klar ist: Die haben Lunte gerochen. Oder so was. Und das sagen sie jetzt auch.

Mondella entschuldigt höflich, er muss mal. Praktischerweise hat sein Büro ein eigenes Klo. Da kommt er aber nicht mehr heraus, jedenfalls nicht lebend. Irgendwo muss da eine Waffe gewesen sein, an seinem Bein angehalftert nämlich. Das konnte ja niemand vorhersehen.

Seltsam, denke ich erst. Die Polizei soll wegen einer Anwohnerbeschwerde hergekommen sein, nicht etwa wegen dieser Millionenunterschlagungen, die manche Männer dazu bringen, sich die Kugel zu geben. Aber beim Umschauen fällt einem der Polizisten etwas auf. Aha! Irgendetwas stimmt mit den Regalen da nicht: Sie haben Rollen, rollen aber nicht? Als er dem Rätsel nachgeht, wachsen die Fragezeichen munter mit.

Magnete halten diese Regale in dem Teil des Gebäudes, in dem Mondella seine weißen Luxusschlitten parkt. Magnete. Bei Ikea gibt es so etwas nicht. Als der Polizist die Regale schließlich in Bewegung setzt, schwingen sie herum – und geben den Blick auf eine Treppe frei. Eine Treppe nach unten. In einem Gebäude, das gar keinen Keller hat. Jedenfalls keinen, der in den Bauplänen verzeichnet wäre.

Der geheime Raum unter dem Fußboden breitet sich über mehr als 230 Quadratmeter aus, beleuchtet von 120 Lampen, eingerahmt von einem ausgeklügelten Rohrsystem. 125.000 Dollar liegen dort unten. Und Samen. Aus ihnen hätten 60 verschiedene Arten Marihuanapflanzen wachsen können.

Jetzt gerade ist aber frisch abgegrast. Drei, vier Säcke mit insgesamt 45 Kilo der Drogen stehen im Plantagenkeller und riechen vor sich hin. Die New Yorker Regenbogenpresse macht sich sofort an die Frage, wie viel so ein Geschäft einbringt, und findet einen Experten. Ein Ex-Mafiagangster und Haschbauer meint, bei einer Farm in dieser Größe springen fünf bis zehn Millionen Dollar im Jahr heraus.

So weit, so typisch Krimi. “Weeds” trifft “Breaking Bad”. Nur ein Detail knirscht beim Abspann auf die Bremse: Die Ermittler standen ja gar nicht mit einem Drogenverdacht in Mondellas Büro. Ihre Fragen drehten sich um … rote Bienenkotze.

Bienen in der Umgebung produzieren auf einmal ein leuchtend rotes Zeug, das so richtig scheiße schmeckt. Die Großstadtimker rätseln, woher die Biester das Ausgangsmaterial haben. Gleichzeitig bemerkt Mondella Bienen im Umfeld der Dell’s Marschino Cherry Factory, die aber bitte nicht in seinen Kirschgläsern landen sollen. Das wäre ja rufschädigend. Außerdem will er keinen Ärger heraufbeschwören.

Auf sein Betreiben hin kommt eine Abordnung der Bienenzüchter in seiner Fabrik zu Besuch, mehrfach, bis sie alle zusammen herausfinden, wo die Bienen an das süße Zeug mit dem roten Farbstoff kommen. Nämlich tatsächlich bei Dell’s.

Über das Problem legt Mondella gut schließende Deckel. Blöderweise berichten aber weiterhin Leute darüber, dass die Fabrik angeblich Bienen erröten lässt, weil sie ihren Sirup einfach in den Hafen kippt. Ein Eins A-Vorwand für die Staatsanwaltschaft, die Kollegen von der Umweltbehörde zu bitten, sich doch mal ganz genau beim Cocktailkirschfabrikanten umzuschauen. Ist doch egal, dass das Problem längst gelöst ist.

Drogenverdachtsökovorwandbienen. So was kritzel du mal in deinen Roman, da kannst du dich aber warm anziehen, wenn die ersten Rezensionen eintrudeln. In Brooklyn würden sie sagen: Fuhgeddaboudit.