JR in New York – das ist ja nichts Neues. Aber was zieht einen abenteuerlustigen Künstler, der sich intensiv mit dem menschlichen Antlitz befasst, auf eine kleine Insel vor Manhattan, deren eine Hälfte eine Touristenattraktion ist? Na, der verlassene Teil natürlich. Und dessen Geister.
Bei der Einwanderung in die USA gingen nicht nur irrsinnig viele Menschen durch Ellis Island; etwa 1,2 Millionen wurden auch im dortigen Krankenhaus behandelt, das entspricht rund zehn Prozent der damaligen Einwanderer. Eine Geschichte über sie und das Ellis Island Hospital habe ich ja schon geschrieben.
Die meisten von ihnen kamen als Passagiere dritter Klasse auf den Schiffen an; wer sich eine Kabine in der ersten oder zweiten Klasse leisten konnte, erschien den Behörden viel eher in der Lage, sich in der Neuen Welt allein durchzuschlagen – und dem Staat nicht auf der Tasche zu liegen. Der bekam eine Abfertigung im Hafen und brauchte gar nicht erst nach Ellis Island.
Auf ihre Gesundheit wurden Ankömmlinge in mehreren Stufen geprüft, die erste fand schon vor der Hafeneinfahrt statt. Auf Ellis Island endete die Prüfung für so manche Männer, Frauen und Kinder mit der Einweisung ins Ellis Island Hospital – bei seiner Eröffnung 1902 eins der größten und modernsten der Welt. Rund 30 Jahre später wurde es geschlossen, seit 1954 stehen die Gebäude leer – abgesehen vielleicht von den Geistern seiner ehemaligen Bewohner.
Diese Geschichte fasziniert den französischen Streetart-Künstler JR, seit ihm ein Buch des Fotografen Stephen Wilkes in die Hände fiel. 2014 bekam er eine für ihn einmalige Chance: eine Zusammenarbeit mit einem historisch ausgelegten Museum, gepaart mit der Arbeit in einer seit Jahr und Tag abgesperrten Gegend – die aber danach für Ausstellungsbesucher zugänglich gemacht werden solle.
Das freut JR besonders, wie er in Interviews betont. Er mag den Gedanken, dass seine Kunst insbesondere die Jugend von einer Tour überzeugt. “Wenn sie herkommen und diese Kunst sehen, können sie etwas über ihre eigene Geschichte lernen und vielleicht auch einen anderen Blickwinkel dafür finden, was gerade zum Thema Einwanderung in der Diskussion steht.”
Damit ihr mitdenken könnt, machen wir jetzt einen Rundgang in Bildern.
Zum Schluss noch 3 Häppchen über den Künstler:
- JR war nicht zum ersten Mal in New York. Für sein langfristig und international angelegtes Projekt “Inside Out” hat er bereits mehrmals großäugige Spuren hinterlassen. Mit amerikanischen Ureinwohnern zum Beispiel. Oder mit jedem, der in seine Fotobox steigen wollte. Ach, und vorletzte Woche auf der Lower East Side … na, das ist eine andere Geschichte.
- Auf Ellis Island ist er bereits auch mehrfach zurückgekehrt. Unter anderem, um bei klirrender Kälte dort einen Film zu drehen – mit Robert de Niro als Einwanderer.
- Und die Arbeit mit historischen Fotos steht auch nicht für sich: “Unframed” ist ein weiteres Langzeitprojekt von JR. Damit ist er unter anderem in Deutschland gewesen – in Baden-Baden nämlich.
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