Ist das nicht schön? Eine “art wall” nach der nächsten, mit Streetart bekannter Künstler wie Shepard Fairey, AIKO, Daze, Jane Dickson und Kenny Scharf – und nur ein paar Schritte vom Strand entfernt. Das sieht doch nach einer Spitzenidee aus, nach einem Extrafarbspritzer New York Cool für das nostalgieumwaberte Amüsierviertel Coney Island.

Aber irgendetwas stimmt da nicht.

Ein Potemkinsches Dorf für Hipster?

Jeder kann auf diesem Grundstück herumlaufen und sich eine Art Wall nach der nächsten anschauen, einfach so, ohne etwas zu bezahlen. Da stehen sogar Tische mit Sonnenschirmen und Stühlen. Und ein paar Imbiss-Container. Sie haben zum Beispiel eine Lobster Roll im Angebot – die amerikanische Form des Hummerbrötchens. Für schlappe 19 Dollar.

Kein Wunder, dass Christian Viveros-Fauné das Ganze ein “Hipster Potemkim Village” nennt. Seine Kritik auf artnet wartet mit vielen lesenswerten Vergleichen auf. Zum Beispiel: “The ironies stack up like biodegradable espresso cups.”

Ich weiß nicht, wie es euch geht: Mich macht so ein Verriss erst recht neugierig.

Die bunten Meerjungfrauen und Kirmes-Klassiker auf einigen Wänden passen zu Coney Island. Schließlich findet hier die Mermaid Parade statt, und die Vergnügungsparks am Strand mit Riesenrad, Achterbahnen und Karussells sind ein Stück New York-Geschichte, das beinahe abgerissen worden wäre, jetzt aber doch noch steht.

Moment mal: Wieso gibt es mitten im Trubel von Coney Island ein leeres, großes Grundstück, auf das man riesige Wände und Container stellen kann?

Freifläche für Kunst in Coney Island

Coney Island hat sich in den letzten zehn Jahren verändert – vor allem dadurch, dass eine Immobilienfirma jede Menge Grundstücke aufgekauft hat. Irgendwann musste ja mal jemand drauf kommen, dass so eine Lage direkt am Strand mit Anbindung an die U-Bahn von Manhattan sich prima für ein Ferienparadies eignet.

Die Einwohner von Coney Island protestierten, hatten aber wenig Handhabe. Der Stadtteil gehört zu den ärmsten New Yorks. Die Bettenburgenpläne von Las Vegas-Ausmaß verschwanden trotzdem in der Schublade – sie prallten nämlich erst mal gegen die Finanzkrise.

Inzwischen haben sich einige der Läden und Restaurants an der Strandpromenade und auf dem Weg dorthin deutlich verändert. Moderne Kästen ersetzen alteingesessenes Buden-Patchwork an vielen Stellen in Coney Island. Hier brutzeln noch Pommes unter Jahrmarkt-Glühlampenreihen, dort schwingt schon eine Tür unter dem Logo einer Süßwarenkette oder eines Sportartikelriesen.

Zwischendrin lässt der Immobilienhai große Flächen einfach leerstehen, und das bringt ihm einmal mehr Kritik ein. Viele Besucher von Coney Island kennen noch die Besitzer der Fahrgeschäfte und Mini-Vergnügungsparks, die dort herausgedrängt worden waren. Gras und Müll wachsen zu lassen, wo eine Geisterbahn oder ein Autoscooter verschwinden mussten, schafft kein gutes Image.

Im Sommer 2015 hat der neue Besitzer das geändert – mit Edelbier und Gratiskunst. “Coney Art Walls” ist nicht bloß von Thor Equities gesponsert, sondern dessen Besitzer Joseph J. Sitt hat die Ausstellung (zusammen mit Jeffery Deitch) kuratiert.

Art Wall mit Ortsbezug

Zumindest eine Art Wall scheint die Zerrissenheit dieser Ausstellungshintergründe beim Namen zu nennen. Tatyana Fazlalizadeh hat für “Coney Island Portraits” die alteingesessenen Bewohner des Stadtteils nicht nur gemalt, sondern auch befragt – und ein Zitat aus diesen Interviews auf ihr Werk gepinselt.

The day before Easter, and the day after Labor Day – people still live here. People die here. People love here.

Coney Island ist eben nicht nur eine Amüsiermeile. Aber für Besucher zählt das wenig. Sie fahren nach Coney Island, um an den Strand zu gehen, um Riesenrad zu fahren, um Nathan’s Hotdogs zu essen – und um Streetart anzugucken. Alles so schön bunt hier.