Das hat gedauert. Der Pier 17 in Manhattan war lange Zeit ein Touristenmagnet: ein schangeliges Einkaufszentrum für Krimskram auf einem Steg im East River, mit Restaurant an der Seite, food court im Bauch und ner sandigen Bar an der anderen Seite, und am Ende des Stegs und im Obergeschoss viel Platz zum Draußensitzen und Schiffchengucken. Alles ein bisschen abgerockt und abgezockt. Klar kreisten da unter der Oberfläche längst die Immobilienhaie. Einen Brand und einen Hurrikan später packten sie zu: Der alte Schrott wird abgerissen, wir bauen was Lukrativeres hin!

Die Nachbarn fanden das gar nicht gut. Sie ahnten, dass “schön” für “teuer” steht und, so fürchteten sie, auch für “gesichtslos”. Für “exklusiv” ja sowieso, und zwar im Wortsinn. Den Wolkenkratzerbau am Beginn des Stegs, direkt vor der Nase einer der wenigen richtig alten, niedrigen Häuserzeilen Manhattans konnten sie abbiegen. Erst mal. Doch all der Gegenwind blies dem Bauherrn auch neue Vokabeln ins Büro, die dann in seinen Prospekten zur Sanierung des Pier 17 landeten.

Jede Menge Kultur sollte es geben, hieß es da vollmundig, der Neubau solle aus dem Schatten der Touristenfalle heraustreten und die BürgerInnen einbeziehen, gar die Gemeinschaft stärken! Die Vergangenheit des einstigen Hafenmittelpunkts solle dort glänzen, und die Zukunft auch – es solle ein Hafen für Entdeckungen werden.

Tja. Bin ich halt mal auf Entdeckungsreise gegangen.

Pier 17 Baustelle 2018

Wie schon bei anderen Bauprojekten in letzter Zeit öffnet auch der neue Pier 17 seine Pforten, ehe er fertig ist. Man kann ja auch in Salamitaktik Geld verdienen. Und der neue Pier hat jede Menge Teile zu bieten, er ist schließlich fünf Stockwerke hoch. Und ganz oben spielt da jetzt die Musik (und Comedy).

Pier 17 New York

The Rooftop nennt sich der neueste Veranstaltungsort in der Stadt, bucht namhafte Unterhaltung, und die Rechnung “tolle location plus Stars” geht offenbar auf: Für Deadmau5, Sting und Trevor Noah gibt es längst keine Karten mehr, für Diana Ross Ende September darf man noch schnell was hinblättern, 149 Dollar, um genau zu sein. Die Thievery Corporation hingegen wäre für rund 40 Piepen zu haben.

Leider darf man die Aussicht von der riesigen Dachterrasse nur bei Veranstaltungen genießen. Aber unten ist es ja auch schön. Drinnen entstehen zweistöckige Häuschen im Haus, reserviert für Shoppingtempel, Restaurants und einen green room für einen Sportsender. Noch ist dort alles abgesperrt, aber einen kleinen Imbiss gibt es schon, außerdem eine Lounge am Kopf des Stegs und einen Ausschank auf der nördlichen Terrasse, mit Blick auf die Brooklyn Bridge. Die Klammer, die alles zusammenhält, heißt Werbung.

Schon als ich an der Baustellenabsperrung entlang um die Ecke biege, prasseln Farben und Worte auf mich ein. Drinnen bewegt sie sich sogar, da blinken mich LED-Werbebotschaften an. Bierpullen laufen rings um mich herum, das Gesicht des Bauherrn flimmert, und dann werde ich zum x-ten Male auf bunte Ballons vorbereitet: Als Kunstwerk werden sie mir angepriesen, nicht zu verpassen, komplett mit Hashtag, und so schön präsentiert, dass das Original meiner Linse hinterher weniger fotogen erscheint als die Ankündigung. Erst recht, was den Hintergrund angeht.

Pier 17 Werbung Geronimo

Die bunten Kugeln sind das Werk von Jihan Zencirli, die einmal mit Kindern arbeitete und sich vor etwa sieben Jahren auf Riesenballons verlegte. Aufträge von Chanel, Kanye West und T-Mobile plus Instagram-Ruhm empfahlen ihre Firma Geronimo (für sie ein Ulk, der auf ihrem Spitznamen Jihanimo beruht) für den neuen Pier 17. Schließlich sollen dort die Fans ähnlicher Marken sich ein Stelldichein geben.

Pier 17 Lounge Geronimo

Das Gebäude hat mehrere Sponsoren, und so darf ein Autohersteller auf dem Platz gegenüber eine wochenlange Werbeveranstaltung fahren, ein Bierbrauer pappt sein Logo auf den Ausschank und die Sonnensegel der Terrasse, und die Lounge um die Ecke trägt den Namen einer Bank. Unter der Decke baumeln Jihan Zencirlis Ballons, und um die Ecke steht die 2018er Version der Fototapete: eine Wand aus Blumen. Echt sind sie allerdings nicht.

Pier 17

Und überall spielt Musik. Die Mischung enthält das, was halt grad so im Radio läuft, mit einer fröhlichen Neigung zum Party-Soundtrack. Und in passender Lautstärke. Der Pier 17 wird bestimmt in Nullkommanichts zur Partyzentrale. Heute teile ich ihn mir nur deshalb mit wenigen, ruhigen Gästen ohne Alkohol zwischen den Griffeln, weil die Bauzäune in der Gegend den Pier noch verstecken und obendrein eine Hitzewelle durch New York fegt.

Ein Blick von Steuerbord beschert mir eine Seltenheit: Fast menschenleer ist der breite Nachbarpier, an dem die historischen Schiffe des South Street Seaport Museums herumdümpeln und Touristenboote anlegen.

Wavertree South Street Seaport

Am Kopf des Pier 17 kommt man dem Gewimmel aus Fähren, Tourbooten, Müll- und Lastkähnen, Segelbötchen und Polizeischiffen so nah, dass ich tatsächlich einen Moment in der prallen Sonne bleibe, um es mir anzuschauen.

Tourboot East River

Die bequemen Sitzgelegenheiten (und Schatten) finden sich nur dort, wo es auch etwas zu bestellen gibt. Wasser für fünf Dollar, Bier ab acht. An jeder Ecke beäugen mich Wachmänner, als würde ich gleich losrandalieren. Denen ist sicher auch heiß. Und langweilig, so ohne Partygäste.

Und trotzdem ist der Pier 17 nicht nur für Kommerz und Insta-Kulissen da. Schmal ist der öffentliche Raum, auf den die Anwohner bestanden haben (und ein Anrecht haben) und den die Architekten als Weiterführung der East River Esplanade gedacht haben. Aber er ist da, und er wartet nur darauf, mit Beschlag belegt zu werden.

Pier 17 Brooklyn Bridge

 

Pier 17, 89 South Street (am East River), Veranstaltungsprogramm und Details auf der Website.

 

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