Ach, Albertine, was mache ich denn nun? Selbst Oliver Hazard Payne hätte sich das nicht ausdenken können: Ich spaziere in die Villa, der er einst bei Star-Architekten in Auftrag gab, ziehe ein Buch aus dem Regal und mache es mir gemütlich. Einfach so.

Proust bei Albertine in der Payne Whitney Mansion

Na ja, fast: Erst einmal muss ich durch einen Metalldetektor. Das liegt aber nicht etwa daran, dass der Ölbaron Meuchler fürchtet. Oder Touristen, die Metallschlösser ins Geländer hängen.

Oliver Hazard Payne hat in diesem Prachbau nie gewohnt; als einer der reichsten Männer seiner Zeit konnte er es sich im Jahr 1902 leisten, 620.000 Dollar (das entspricht heute etwa 17 Millionen Dollar) für ein von Stanford White entworfenes Hochzeitsgeschenk an seinen Neffen Payne Whitney hinzublättern.

Payne Whitney Mansion Fifth Avenue

Nicht ganz so viel, aber doch einen Batzen Dollar könnte ich heute hier lassen. Alles wegen Albertine.

Albertine französischer Buchladen New York

Wer von euch jetzt die Bildungsbürgerin raushängen lässt und an die “Suche nach der verlorenen Zeit” von Marcel Proust denkt – und die wechselhafte Beziehung des Erzählers zu seiner Albertine – liegt schon fast richtig. Nach ihr ist dieser Ort in der Payne Whitney-Villa benannt.

Vergiss die Zeit mit Albertine

Auch nach dem Tod von Payne Whitneys Witwe Helen deutete nichts darauf hin, dass ich hier eines Tages schmökern würde – obwohl sie unter anderem der Dichtkunst zugetan war. Seit 1952 gehört das Haus nämlich Frankreich und wurde Sitz der Französischen Botschaft. Inzwischen nutzt die Botschaft die Payne Whitney Mansion für ihre Kulturabteilung. Und deren Leiter Antonin Baudry sah Schande über Schande.

Der am schönsten versteckte Buchladen New Yorks: Albertine

Na ja gut, so schlimm war es nun auch wieder nicht. Es war aber doch eine Schande, dass kein Passant die Schönheit dieses herrschaftlichen Hauses zu sehen bekam, und auch, dass 2009 der letzte französische Buchladen seine Tore geschlossen hatte. Tja, und wenn man nun ein historisches Gebäude zum Vorzeigen hat plus jede Menge niedergeschriebener Kultur und sich obendrein um Ladenmieten nicht zu scheren braucht, was macht man da?

Der am schönsten versteckte Buchladen New York

Man baut sich einen Buchladen in die Botschafts-Villa. Und zwar einen, der aussieht, als sei er schon immer dort gewesen – wie eine private Bibliothek.

Kein Preisschild zu sehen, keine Sonderangebotskisten, dafür Sofas und sogar eine Nische mit seltenen Büchern und historischem Mobiliar, an dem man in Architekturbildbänden blättern kann (jetzt mal so als Beispiel).

Albertine französischer Buchladen New York

Eine kleine Treppe führt in den zweiten Stock, in dem mir der Atem stockt, obwohl ich ja gerade deswegen hergekommen bin, weil ich davon schon Fotos gesehen hatte. Fotos wie dieses.

Albertine französischer Buchladen New York

Der Nachthimmel spannt sich über die Decke. Er ist der Decke im Musikzimmer der Müncher Villa Stuck nachempfunden.

Albertine französischer Buchladen New York

Rund 14.000 Bücher stehen in diesem Buchladen, geschrieben von Autorinnen und Autoren aus 30 französischsprachigen Ländern. Für manche muss man französisch lesen können, für andere englisch, und zu meiner Begeisterung beschäftigen sich so einige mit New York (und dem Rest der USA) aus französischer Sicht.

Kochbücher bei Albertine

In dem Buchladen hat Baudry auch sein eigenes Buch versteckt – unter dem Pseudonym Abel Lanzac schrieb er “Quai D’Orsay” – inspiriert von seiner Zeit im französischen Pendant zum Auswärtigen Amt. Inzwischen hat Baudry sowohl New York als auch den Dienst für den französischen Staat verlassen. Unterdessen weisen die Mitarbeiter von Albertine diskret auf ihre derzeitigen Lieblinge hin.

Albertine französischer Buchladen New York

Wer noch mehr jüngste Geschichte lesen möchte: Mary Hawthorne hat im “New Yorker” wunderbar den Weg zum Buchladen aufgeschrieben – inklusive einer köstlichen Anekdote über eine der Büsten, die zumeist hoch oben auf den Regalen thronen.

Albertine französischer Buchladen New York

Albertine, 972 Fifth Avenue (zwischen 78th und 79th Street), Manhattan. Mo-Sa 11-19 Uhr, So 11-18 Uhr. Wegbeschreibung, Sortiment und weitere Informationen finden sich auf der Website.