Ein Einkaufszentrum in Manhattan? Dafür ist doch gar kein Platz. Von wegen! Kommt, wir schauen uns mal in der neu eröffneten World Trade Center Mall um. Mal sehen, ob so ein Shopping-Mekka irgendeine Art von Inspiration versteckt.

Zunächst einmal ist hier alles ganz schön weiß. Und wenn ich Instagram glauben möchte (aber wer möchte das schon?), dann lebt, arbeitet und denkt es sich ganz vorzüglich in Weiß. Ich könnte mir allerdings vorstellen, dass dieses Ambiente hier so manche an Hochzeit denken lässt.

World Trade Center Mall Einkaufszentrum Lower Manhattan

Lange vor der Eröffnung der Läden in dieser Wandelhalle hatte ich ja schon mal versucht zu beschreiben, dass Santiago Calatravas Oculus die Wirkung einer Kathedrale hat: pssst! Und jetzt ist die irgendwie heilige Halle tatsächlich ein Tempel. Ein Konsumtempel nämlich.

Was es in der World Trade Center Mall zu sehen (und kaufen) gibt

Zum Einkaufen sollen hier mehr als 100 Läden verführen, auf einer Fläche von 365.000 Quadratfuß, also knapp 34.000 Quadratmeter. Zum Vergleich: Eastgate in Berlin hat etwa 150 Läden auf 32.000 Quadratmetern, Skyline Plaza in Frankfurt 170 Läden auf etwa 38.000 Quadratmetern.

Da sehe ich zuerst mal eine ganze Reihe von Luxusläden und das, was die hiesigen Einzelhandelsfachleute “mid-tier” nennen. Montblanc, Hugo Boss, Smythson, Cole Haan, Breitling, Bose, John Varvatos, Kate Spade, Lacoste, Apple, COS, Sugarfina, Under Armor (eine komplette Liste gibt es hier).

Shopping in der World Trade Center Mall

Der Oculus mit seiner hohen, lichtdurchfluteten Halle, von der aus man je nach Standpunkt das World Trade Center One sehen kann, ist der Mittelpunkt des Einkaufszentrums. Es erstreckt sich aber nicht nur unterirdisch in den Verbindungsgängen zum großen Verkehrsknotenpunkt, sondern auch oberirdisch in den unteren Etagen von World Trade Center 2, 3 und 4.

In letzterem findet sich etwa eine Filiale des bei Touristen äußerst beliebten Eataly – mit hübsch arrangierten italienischen Delikatessen für diejenigen, die tatsächlich zum Einkaufen herkommen, plus neun Imbisstresen, fünf Restaurants, zwei Caffès und eine Weinbar für alle anderen. Öhm, ob das denn reicht? Erst mal könnte es in der Tat eng werden. Denn anderswo in der World Trade Center Mall bleibt die Küche erst mal kalt.

Bauhelme, Uniformen und ein Concierge Desk

“Hier entsteht die Épicerie Boulud” steht da zum Beispiel auf einem Plakat. Da ist Essig mit Häppchen von einem der New Yorker Vorzeigeköche. Vor der bunten Wand sitzt jemand und passt schön auf, dass keine Unbefugte wie ich in die falsche Richtung läuft, und dahinter erhasche ich einen Blick auf typisches Baustellenchaos.

Dasselbe sehe ich übrigens auch bei Dior. Und bei Moleskine. Und … auf einmal sehe ich es: In den weißen Hallen laufen mehr Leute mit Bauhelmen herum als Leute in Uniform.

World Trade Center Mall Einkaufszentrum und Baustelle

Von denen gibt es auch jede Menge. Ich meine damit nicht nur bewaffnete Polizisten oder Soldaten. Sondern auch diese seltsame Mischung aus Museumswächter und Hotelrezeptionist, die in durchgestyltem halb-privatisierten öffentlichen Raum (oder umgekehrt, halböffentlichen Privaträumen) wie diesem eifrig den Weg erklärt.

Und nebenher passen diese Uniformierten auf, dass bloß niemand irgendeine Regel bricht. Sich häuslich niederlässt oder zu nahe an eine gefährliche Baustelle rückt oder so. Meine Fantasie läuft jedenfalls zu Bestform auf, als ich die mit einem Drahtseil abgesperrten (!) Balustraden erblicke. Eine Absperrung für die Absperrung, voll meta, dieses Einkaufszentrum. Oder die haben hier keinen Bock mehr, all die Fingerabdrücke wegzuwischen.

Immer frisch gefegt, der neue Konsumtempel in New York

Hinterlassenschaften entfernen diese emsigen Uniformierten nämlich permament. Als ich dem Besenmann nachschaue, entdecke ich: Das mit der Rezeption hab ich nicht aus der Luft gegriffen. Am Rande der weiten, weißen Fläche des Oculus steht ein Concierge Desk mit freundlichen Leuten und ihren iPads. Gedruckte Karten für nicht so digitale Shopoholics haben sie auch.

Erst eröffnen, dann fertigbauen

An manchen der Läden auf der Karte ist ein Sternchen. Coming Soon!, frohlockt die Legende. Mehr als hundert Läden sollen es noch werden, jetzt klingelt schon bei etwas mehr als der Hälfte die Kasse.

Die Betreiberfirma Westfield hatte vor der feierlichen Eröffnung letzte Woche über die örtliche Presse verlauten lassen, dass bis zum Ende des Jahres noch diverse Läden dazukommen werden. Yay, Wachstum! Es hätte ja auch doof geklungen zu sagen: Wir sind noch gar nicht fertig, aber wir eröffnen jetzt, schließlich kostet uns jeder Tag ohne Mieteinnahmen bares Geld.

Improvisieren am Bau

Das klemmt neben einer Rolltreppe und ich will lieber nicht wissen, warum.

Rund 1500 Dollar pro Quadratfuß hat Westfield nach Angaben des Magazins “Fortune” als Mieteinnahmen in seine Prognose geschrieben. Das ist ein ganzer Batzen mehr als das, was die World Trade Center Mall früher einbrachte.

Es gab an dieser Stelle schon einmal ein Einkaufszentrum

Die Idee einer Shopping Mall in Lower Manhattan ist nämlich nicht neu; vor 9/11 gab es hier auch schon jede Menge tiefergelegte Läden. Und Westfield hat durchaus Grund dazu, die Profitmöglichkeiten zu vergleichen.

903 Dollar pro Quadratfuß brachte die damalige “The Mall at the World Trade Center” im Jahr 2000 ein, und Westfield hatte die Örtlichkeiten damals schon gepachtet – und diverse Pläne. Zum einen wollte der Einkaufszentrenbetreiber einen neuen Namen, zum anderen wollte er das Ganze ausbauen. Doch dann kamen Terroristen in Flugzeugen, statt Standort gab es plötzlich einen Ground Zero, und New York hatte wichtigere Probleme als Ladendekoration.

Inzwischen stehen das One World Trade Center (früher unter dem Namen Freedom Tower geplant), das 9/11 Memorial mit den beiden klaffenden Löchern, wo die Fundamente des ursprünglichen World Trade Center standen, und das dazugehörige 9/11-Museum, plus weitere Gebäude des World Trade Center-Komglomerats und – immer noch – zig Baustellen. Und die Zeiten für Einkaufszentrenbetreiber haben sich obendrein geändert.

Schaufenster in der World Trade Center Mall

Abkehr von den ewig gleichen Ladenketten?

Die World Trade Center Mall soll sich mal hübsch vom benachbarten Rivalen Brookfield Place abgrenzen – vor allem mit anderen Läden. Für Gucci, Hermès oder J. Crew muss man also rüber ins ehemalige World Financial Center.

Stolz verkündet Westfield außerdem, dass es in New York nicht seine anderen Einkaufszentren klonen will. Etwa 50 der gut 100 Läden hier sind in den anderen Westfield-Shoppingcentern (zum Beispiel Garden State Plaza in New Jersey oder San Francisco Center in Kalifornien) nicht vertreten.

Trotzdem sehe ich viele ausgelutschte Logos: Victoria’s Secret, Sephora, Pret A Manger, Camper, Pandora, Banana Republic. Und gerade als ich mich frage, ob die Gastronomie-Einrichtung wohl wegen des Extraaufwands so überdeutlich unterdurchschnittlich eröffnet ist – wer kochen will, braucht ein bisschen mehr als ein paar Lämpchen im Laden und in New York vor allem drölftausend Genehmigungen von zweihundertdreiundsechzig verschiedenen Behörden -, da fällt es mir ins Auge:

Nunu Chocolates aus Brooklyn

Das Logo von Nunu Chocolates. Auch so ne Baustelle.

Ich hätte jetzt sehr, sehr gerne Schokolade gekauft und denke deshalb im ersten Moment nur: Och Mööönsch, da war ich doch eh schon ewig nicht mehr, das wäre es jetzt gewesen. Und im zweiten Moment denke ich: Moment mal?!

Ladenmischung mit süßer Überraschung

Nunu Chocolate kenne ich nämlich vom Brooklyn Flea. Es mag 2008 oder 2009 gewesen sein, dass dort gar herrlicher Süßkram auftauchte, gemacht von einer Frau aus Brooklyn. Bald darauf eröffnete sie zusammen mit einem Partner einen kleinen, blauen Laden auf der Atlantic Avenue, bei dem ich dachte: Clever, ein Schokoladenladen (super Wort, wa?), in dem man auch Bier und Wein trinken kann.

Und jetzt denke ich erst, da habe ich was verpasst. Die sind aufgekauft worden. Oder ich bin damals irgendeiner US-Kette mit gutem Storytelling auf den Leim gegangen, die ich bloß nicht schon aus Deutschland kannte. Aber nix da.

Die Schokoladenleute aus Brooklyn sind zwar mit ihrer Ware inzwischen in unzähligen Läden und Restaurants in New York und darüber hinaus vertreten. Aber dies hier ist erst deren zweiter Laden. Das mit dem individuellen Flair scheint den Betreibern der World Trade Center Mall ernst genug zu sein, dass sie einheimische Läden einbeziehen. Das hätte ich nicht erwartet.

Aber deshalb nenne ich diesen Konsumtempel noch lange nicht so, wie die Betreiber das gerne hätten. Als erstes ihrer Einkaufszentren haben die Australier das Ding nämlich nach sich selbst benannt: Westfield World Trade Center. Das sagt doch kein Mensch. Oder?

Eingang zur World Trade Center Mall

Dem Ungetüm in den Hintern kriechen? Ein Schelm, wer an diesem Eingang Böses denkt.

Wenn ihr nach New York gekommen seid, um in einem Einkaufszentrum zu prassen oder dort als artige Bildungsbürger über die irre Architektur zu staunen:

  • World Trade Center Mall, 185 Greenwich Street, Lower Manhattan (es gibt zig Eingänge, zum Beispiel von Church Street Ecke Dey Street), Website.
  • Bis vor kurzem hieß das hier noch World Trade Center Transit Hub – und auch weiterhin ist es ein Verkehrsknotenpunkt (teils noch in Bau). Vor ein paar Monaten schrieb ich bereits über Idee, Architektur und Kosten(falle) des New Yorker Superbahnhofs.
  • Der Betreiber dieses Einkaufszentrums bestückt auch die Läden in einem weiteren Architektur-Prachtstück ganz in der Nähe, das seltsamerweise auch Oculus heißt – guckt euch mal die U-Bahn-Station Fulton Street an.