Als ich ein Interview mit der Frau anfragte, die einen bekannten Flohmarkt auf der Upper West Side leitet, überraschte mich die Antwort gleich doppelt. Es antwortete keine Frau, sondern ein Mann. Und zwar auf Deutsch.

So stellte sich heraus, dass Marc Seago den Flohmarkt von Juli Ra übernommen hatte, kurz nachdem er 2016 in Grand Bazaar NYC umbenannt wurde (vorher hieß er 40 Jahre lang Green Flea). Grand, also echt groß, ist auch Marcs Vision für den Markt: Er möchte, dass er DER New Yorker Markt wird und sich der Schulhof in diesem Viertel sonntags in etwas verwandelt, das die ganze Stadt repräsentiert. Und wenn man mit ihm darüber spricht – was einfach ist, weil man ihn jeden Sonntag auf diesem Schulhof oder drinnen im Gespräch mit den Händlern in der Schulmensa antrifft – dann hört er gar nicht auf, von diversity zu schwärmen. Von Vielfalt auf dem Markt. Und anderswo. Er muss es ja wissen.

Marc Seago

Marc Seago
ist in New Orleans geboren und wuchs in Korea, Taiwan und Deutschland auf, zwischendrin noch in Australien und der Dominikanischen Republik,
arbeitet als Marketingberater und leitet den Grand Bazaar NYC,
zog 1997 nach New York,
wohnt in Kips Bay (Manhattan),
und setzt seine Meetings lieber auf Dachterassen als in Büros an.

Marcs Eltern zogen von Kontinent zu Kontinent, als er klein war, und so wuchs der in Amerika geborene Junge in Korea, Taiwan, Australien und Deutschland auf – er ging in Hamburg auf eine internationale Schule und arbeitete später auch dort. Glücklicherweise – nicht nur für mich, sondern auch für euch – war er bereit, auch darüber zu sprechen. Und mir auch zu erzählen, wie das Aufwachsen in vielen verschiedenen Kulturen sein Leben und seinen Blick auf die USA geprägt hat. Obwohl Marc jede Möglichkeit nutzt, sein (sehr gutes) Deutsch zu pflegen, haben wir das Interview auf Englisch gemacht. Dies ist die Übersetzung.

Beim Interview gab es noch eine weitere Überraschung: Nachdem ich nun all diese privaten Sachen über Marc erfahren hatte, bat ich ihn, mal eben für ein Foto zu posieren – und er zuckte zusammen. Das wollte er nicht. Erst mal habe ich mich gefragt, wie er es geschafft hat, in mindestens 60 Ländern herumzureisen, ohne dass er ständig fotografiert wird. Dann zeigte er mir, wie das Foto auf seinen sozialen Netzwerk-Profilen aussieht, und ich musste lachen.

Marc hat mir erlaubt, dieses Foto für den Artikel zu benutzen – und mir später sogar noch ein zweites Bild geschickt, das ihr weiter unten findet. Auf dem Weg dorthin erfahrt ihr, warum die zweithäufigste Small Talk-Frage ein Eiertanz für ihn ist, was es heißt, einen New Yorker Flohmarkt zu leiten, was ein Third Culture Kid ist, und wie wir beide mal Frisurprobleme hatten. Na ja, genauer gesagt waren andere Leute … ach, seht selbst.

Marc, wie würdest du den Begriff Third Culture Kid (auch: Drittkulturkind) erklären?

Ein third culture kid oder TCK ist jemand, der nicht im Herkunftsland seiner Eltern aufgewachsen ist. Die Eltern leben wegen ihrer Jobs im Ausland, sie arbeiten dort entweder für eine Firma oder im Dienste ihrer Regierung, oder sie sind beim Militär oder, allerdings seltener als früher, sie sind Missionare. Einige, wie Militärangehörige, sind dabei mehr abgeschottet als andere. Das hängt auch vom jeweiligen Land ab. Ein Expat in Kuwait kommt natürlich weniger mit Land und Kultur in Berührung als einer in Hamburg. In Deutschland kann man sich überall frei bewegen: Selbst als zehn- oder elfjähriges Kind wird man allein auf den Schulweg geschickt, man braucht keinen Bus oder Chauffeur. Welche Erfahrungen Third Culture Kids machen, hängt also sehr von Land, der Stadt, dem Zweck und der Länge des Aufenthalts ab. Und, zumindest meiner Erfahrung nach, von den Eltern. Meine Eltern waren sehr offen, wir verreisten oft und zwar fernab der üblichen Reiserouten. Andere gehen in die bekannten multi-nationalen Hotels, sie wohnen in bewachten, umzäunten Wohnanlagen. All das hinterlässt ganz unterschiedliche Eindrücke.

Bei dir stammen diese Eindrücke aus Taiwan, Korea, Australien und Deutschland. Wie lange hast du in Hamburg gewohnt?

Mit etwas Hin und Her sind es 14 Jahre, wenn ich mich recht entsinne.

Und teilweise warst du da noch in der Schule?

Ja, ich bin in Hamburg auf die internationale Schule gegangen.

Sind deine Eltern Amerikaner?

Mein Vater war Amerikaner, meine Mutter war sogar Deutsche, sie kam aus Sylt, und sie lernten sich in Nigeria kennen, in Lagos. Sie zogen ständig um, weil mein Vater in der Ölbranche arbeitete und meine Mutter im Gastgewerbe.

Du bist in so vielen verschiedenen Orten aufgewachsen. Wo gehörst du dem Gefühl nach hin – hast du dieses Gefühl überhaupt?

Das ist ein interessantes Thema. Viele Leute tun sich schwer damit zu verstehen, wenn jemand sich nicht sonderlich nationalistisch definiert. Aber so wie ich aufwuchs, mit Reisen in aller Herren Länder, als Third Culture Kid und mit interkulturellen Eltern, immer von internationalen Gruppen umgeben, hatte ich nie eine Identität, die mir sagte: Oh, ich bin Amerikaner. Eine Weile lang fand ich das beunruhigend, weil jeder sich als irgendetwas identifizeiren musste. Man musste da hineinpassen. Aber ich hatte oft gar keinen Bezug zu dem, wovon andere redeten, ich verstand nur Bahnhof, weil ich so lange Zeit nicht in den USA gewesen war.

Wie hat sich das verändert, als du in die USA gezogen bist?

Wir sind relativ früh mal kurz zurückgezogen, und ich kann mich erinnern, wie ich als kleines Kind ungefähr zwei oder drei Wochen, na, vielleicht einen Monat nach unserer Rückkehr nach New Orleans aus der Schule kam und zu meiner Mutter sagte: „Ich will wieder nach Hause! Nach Taiwan!“ Zu dieser Zeit war also Taiwan mein Zuhause. Denn dort war ich bis dahin aufgewachsen. Meine Identität kam also aus der Umgebung, in der ich aufwuchs, von den Menschen, dem Drumherum, und nicht von einem Geburtsort, einem Pass oder so was. Heute liebe ich es an New York, dass mich nur eine U-Bahn-Fahrt von Chinatown, Koreatown, Little Italy und so weiter trennt. Diese Vielfalt spiegelt wider, wie ich aufwuchs, und ich glaube, dass ist einer der Gründe, warum mir New York gefiel. Es ist wohl auch sehr typisch für ein Third Culture Kid, sich zu Metropolen wie New York und London hingezogen zu fühlen, insbesonders wenn sie als Kinder und Jugendliche ein ganz anderes Umfeld und ganz andere Kulturen erlebt haben.

Wenn ich es recht verstehe, nehmen einige Drittkulturkinder sich etwas von jeder der zwei oder drei Kulturen, in denen sie aufgewachsen sind, und basteln sich daraus ihre eigene. Kannst du beschreiben, wie deine kulturelle Identität aussieht?

Definitiv Deutsch/Europäisch, und dann Amerikanisch, und der Rest ist eine Mischung, er ist weltumspannend, ein Hybrid. Ich fühle mich in einem Zimmer voller Asiaten genauso wohl wie in einem Zimmer voller Afrikaner. Ich sehe die Welt als Spielplatz, als einen fröhlichen, bunten Ort. Oft werde ich gefragt, woher ich komme. Manche Leute können mich nicht einordnen, weil ich einen sehr gemischten Akzent habe.

Das stimmt! Jetzt gerade klingst du ein bisschen Holländisch.

Ich kriege alles Mögliche zu hören! Leute erkennen meine Aussprache als Niederländisch, Irisch, Südafrikanisch, Australisch. Jemand sagte sogar: „Du klingst, als kämst du aus Hongkong.“ Da war ich aber anderer Meinung (lacht).

Was geht in dir vor, wenn dich jemand fragt, woher du kommst?

Als Third Culture Kid ist das schwer zu beantworten. Du musst immer bedenken, wer fragt und warum. Es gibt Leute, die das nur wissen wollen, weil, na, sagen wir mal so: Sie wollen, dass es negativ weitergeht.

Du meinst so wie: Geh dahin zurück, woher du gekommen bist?

Nicht nur das. Wenn du einem Amerikaner sagst „Ich bin Amerikaner“, dann findet der immer noch etwas Negatives zu antworten, wenn er darauf aus ist. Er glaubt dir einfach nicht. Und wenn es nur eine neugierige Frage ist, und du sagst: „Ich bin Amerikaner, aber ich bin da und dort aufgewachsen“, dann fragen viele weiter: „Okay, aber woher kommst du denn jetzt?“ Wenn du dich in keine Schublade stecken lässt, sind sie beleidigt oder verwirrt. Deshalb ist es manchmal knifflig zu entscheiden, wie ehrlich man diese Frage beantworten will. Du kannst sagen: „Ich bin Amerikaner, ich hab so einen komischen Akzent weil ich lange hier in New York gelebt habe.“ Du kannst aber auch sagen: „Jau, ich hab in mehreren Ländern gelebt, ich bin mehr so international, ich habe keine nationale Identität“ oder so. Mit beiden Antworten kannst du Leute verärgern. Aber unter Strich sage ich: Wir teilen uns doch alle denselben Planeten, also was macht das schon?

Ha, na also! Antwortest du schon mal mit „Ich bin vom Planeten Erde“?

Es gibt viele Leute, die sich davon angegriffen fühlen. Besonders je nationalistischer sie sind. Für die musst du in die Schublade passen.

Was hat dir an Hamburg gefallen, als du dort wohntest?

Oh, da muss ich sagen: Wenn das Wetter richtig schön ist in Hamburg ist es wohl eine der schönsten Städte überhaupt! Jeder lächelt, jeder bewegt sich langsam, es ist so grün, es gibt so viele Flüsse und Seen. Mir gefällt auch, dass die Stadt ganz schön vielfältig ist, da gibt es alles von der alten, hanseatischen, traditionellen Seite, es gibt den Hafen, das Nachtleben, die Bars, den schmuddeligen Teil, und dann aber auch Blankenese und Pöseldorf, das Äquivalent zur Upper East Side hier in New York. Und selbst die Reeperbahn, der schmuddelige Teil, ist supersauber im Vergleich zu New York. Hamburg hat viele Kreativagenturen, Models und Designer, und auf der anderen Seite traditionelle Geschäfte und sehr konservative Menschen. Und generell gesprochen sind die Menschen dort sehr geradeheraus und freundlich. Amerikaner meinen mit „freundlich“ meistens dieses „Hey, how are you doing?“, aber in Deutschland, in Hamburg jedenfalls, bedeutet „freundlich“ eher: Wenn du eine Frage hast, bekommst du normalerweise eine Antwort, und zwar geradeheraus. Diese Dinge schätze ich sehr an Deutschland und Hamburg.

Auf deiner geschäftlichen Website wirbst du ganz offen damit, dass du im New Yorker und im deutschen Stil arbeiten kannst. Wie reagieren deine Kunden darauf?

Ichglaube, ich bin ganz gut darin, so viele Schritte wie möglich vorauszudenken. Da wende ich meiner Ansicht nach den deutschen Stil an. Allerdings kann das ein Problem werden, weil man manchmal auf einen Kunden oder Chef trifft, der diese Vision nicht teilt. Manche Leute wollen von A nach B, B nach C, und sie denken nicht daran, was nach B kommt, ehe sie B fertig haben. Dann erst wollen sie weiterplanen. Da sagt man dann: Wenn wir dies hier machen, um zu B zu kommen, dann wird das zum Problem, wenn wir zu C wollen – und ihnen ist das schnurz.

Beide Ansätze haben ihre Vor- und Nachteile: Du kannst planen, planen, planen, und in der Zwischenzeit die Chance auf eine Umsetzung deines Plans verpassen, und auf der anderen Seite, wenn du erst mal schnell was machst, ehe du richtig planst, testest du deine Idee unweigerlich aus. Ich glaube, das führt dazu, dass Amerikaner weniger Angst vor Fehlern haben.

Ja, das ist ein sehr wichtiger Aspekt. Wenn du in Amerika pleite gehst, fragen sie dich: Was hast du dabei gelernt? Sie glauben also oft, dass du diesen Fehler nicht wiederholen wirst. In Deutschland dagegen ist es für jemanden, der eine Pleite hinter sich hat, sehr schwierig, wieder im Geschäftsleben Fuß zu fassen. Sie hätten wahrscheinlich eine wertvolle Lektion aus der Pleite lernen können und danach Tolles vollbringen können, aber sie tragen den Fehler aus der Vergangenheit für den Rest ihres Lebens mit sich herum. In den USA betrachtet man Fehler meist so: So lange du verdeutlichst, dass das ein Fehler war, und ausdrücklich sagst, was du daraus gelernt hast, kannst du ziemlich schnell weitermachen. Obwohl du für einen Fehler sehr schnell gefeuert wirst.

Stopp: Wie bitte?

Das ist eine blöde Vorstellung von Rechenschaft: Wer den Fehler macht, wird gefeuert. Der macht dann anderswo weiter. Und statt innerhalb der Filma zu fragen: Was hast du gelernt?, stellen sie jemand Neuen ein, der jenen Fehler höchstwahrscheinlich nie gemacht hat und dann, wer weiß. Es besteht durchaus die Möglichkeit, dass dieser Fehler wieder passiert.

Hast du in Hamburg irgendetwas gelernt, dass du anderswo nicht hättest lernen können?

Das ist schwer zu sagen. Ich hatte ja immer internationale Menschen um mich herum, weil ich in internationale Schulen gegangen bin. Ich bin also nicht wie ein typischer Deutscher in Hamburg aufgewachsen. Aber ich habe Wettkampfsport betrieben, Leichtatlethik, meine stärkste Disziplin war Hochsprung. Was ich in Hamburg gelernt habe und, so glaube ich, wohl nicht anderswo gelernt hätte, ist ein gewisses Maß an Disziplin, Dinge zu erledigen. Wenn in Deutschland jemand sagt „Ich mach das“, dann macht er das auch, mehr oder weniger jedenfalls. Sagt das dagegen hier jemand, muss man nachhaken, kontrollieren, und das ist eine riesige Zeitverschwendung. Das war einer der größten Wandel in meinem Berufsleben, und es ist etwas, das ich  vermisse, schätze und an Deutschland zu respektieren gelernt habe.

Heutzutage gehört die Leitung eines Flohmarkts zu deinen Aufgaben. Wie bist du zum Grand Bazaar NYC gekommen?

Ich war Marketingberater, und ein- oder zweimal im Jahr arbeite ich pro bono. Da sah ich ein Gesuch für einen Marketingplan für einen Flohmarkt, und ich dachte: „Oh! Das sind 20, 40 Stunden Arbeit, das geht ja fix.“ Dann baten sie mich, ihnen bei der Umsetzung zu helfen, und wir benannten ihn von Green Flea nach Grand Bazaar NYC um. Das war im September 2016, und kurz darauf fragten sie, ob ich den Markt übernehmen und leiten will.

Grand Bazaar NYC Flohmarkt

Was gehört da alles dazu?

In unserem Slogan sagen wir „artisans, antiques and edibles“ [übersetzt: Kunsthandwerk, Antiquitäten und Lebensmittel], also stellen wir eine runde Mischung aus diesen drei Kategorien zusammen und platzieren die dazugehörigen Händler auf unserem Gelände, und zwar jede Woche neu. Obendrein gehen die Gewinne vom Grand Bazaar – die sich aus den Standgebühren und aus Spenden zusammensetzen – an vier öffentliche Schulen und kommen rund 4000 Schülern zugute.

Dieser wohltätige Aspekt gehört schon lange zum Green Flea. Wohin genau fließt das Geld denn?

Der Markt, der seit mehr als 30 Jahren auf diesem Platz stattfindet, ist von den Eltern von Schulkindern gegründet worden. Heute gibt der Markt das Geld an die Elternpflegschaften dieser vier Schulen ab. Sie setzen es so ein, wie ihr Budget es verlangt, sie kaufen Schulbücher oder Klimaanlagen, organisieren ein Schachturnier oder Klassenfahrten.

Welche Art Händler suchst du für den Markt aus?

Grand Bazaar NYC FlohmarktWir haben Kunsthandwerker die alles von Möbeln über Lampen und Schmuck bis hin zu Kleidung machen. Einige werden in New York handgemacht, andere sind international. Die türkischen Handtücher, die wir manchmal haben, sind zum Beispiel aus einem Familienunternehmen das fast ein ganzes Dorf beschäftigt. New York ist eine multikulturelle Stadt, und so haben wir persische und afghanische Teppiche, tunesische Kissen, afrikanische Masken, chinesische Skulpturen. Zu unserer zweiten Kategorie, Antiquitäten, gehören auch Secondhand- und Sammlerwaren. Larry zum Beispiel, auch bekannt als King of Flea, bringt jede Woche etwas anderes mit. Wir haben auch einen Händler, der fast hundert Jahre alte Toaster so aufbereitet, dass sie funktionieren. Und jemanden, der eine Mischung aus Vintage und Kunsthandwerk ist: Er stöbert antike Radios auf und repariert sie nicht nur, sondern macht sie auch Bluetooth-fähig. So kuratieren wir: Wir wollen Sachen, die man sonst nirgends findet. Die dritte Art Händler verkauft Essen, und diese Abteilung hat zwei Teile: Imbisse für sofort und Lebensmittel für zu Hause. Zum Beispiel haben wir preisgekrönte Pupusas aus El Salvador, italienische Arancini-Bällchen, twisted potatoes und so weiter. Außerdem Ahornsirup, diverse scharfe Soßen, oder ab und an Olivenöl aus familieneigener Kleinproduktion.

Und eingelegte Gurken!

Ja, jeder große, wichtige Markt hat stets saure Gurken und Oliven (lacht). Ab und zu stellen wir Foodtrucks daneben.

Wie kommt’s?

Wir machen themengebundene Veranstaltungen parallel zum eigentlichen Markt. Zum Beispiel haben wir ein Foodtruckfestival mit 12 bis 15 Gourmet-Foodtrucks, die zusätzlich zu den normalen Händlern aufkreuzen. Für einen ganz besonderen Tag haben wir zwischen 15 und 20 Eisverkäufer. Wir machen auch einen Kid’s Bazaar, da kommen rund 25 Händler mit Kindersachen zu den 140 regulären Ständen. Diesen Händlern geben wir einen Extrateil auf dem Platz. Derzeit sind wir der größte Markt in New York und auch der vielfältigste. Alle anderen konzentrieren sich entweder auf eine Nische oder auf bestimmte Kategorien. Es gibt Pop-Ups von freien Künstlern, die nur alle paar Wochen stattfinden, oder Flohmärkte, die nicht sonderlich viel Kunsthandwerk oder Essen bieten.

Aber was ist denn mit dem Brooklyn Flea oder …

Brooklyn Flea war mal viel größer, die haben sich verkleinert. Sie haben zwei Orte, und ihre Maximalgröße liegt derzeit bei ungefähr 80 Händlern. Wir haben im Schnitt 140 Händler.

Trotzdem, deren Ausrichtung wirkt ähnlich.

Sie haben etwas zu essen und einige Kunsthandwerker, ja. Aber sie sind längst nicht so vielfältig wie wir. Auf anderen Flohmärkten findest du jedes Wochenende mehr oder weniger dieselben Stände. Wir dagegen lassen die Händler beim Grand Bazaar rotieren. Dieses Jahr werden wir voraussichtlich insgesamt mehr als 800 Händler auf den Markt bringen. Einige sind ständig da, und andere kommen nur für einen speziellen Themen-Sonntag. Manche würden gerne jeden Sonntag dort stehen, aber wir lassen sie nur zwei, dreimal im Jahr zu.

Ich hab mir den Kopf zerbrochen, wie ich höflich nach etwas fragen kann, das ich beobachtet habe: Viele Antiquitätenhändler scheinen etwas älter zu sein …

Ich glaube, das ist ziemlich treffend. In der Vintage-Kategorie gibt es ein paar jüngere, hippe, trendige Leute. Sie wollen originell sein, nicht Mainstream, und sie stehen total auf Secondhandmode. Und wir haben die jungen Unternehmer, die Backwaren, Seife oder Schmuck herstellen und sehr kreativ dabei sind, ihre Produkte und Designs zu entwickeln. Und ganz weit am anderen Ende haben wir die vermutlich älteste Händlerin der Welt, sie heißt Mathilde Freund.

Oh, die ist immer noch auf dem Flohmarkt? Sie muss ja jetzt schon 101 sein, knapp vor 102 im August!

Das stimmt! Man trifft also wirklich alle Generationen auf dem Markt. Manche sich total freundlich, andere eher brummig, andere kennen sich super aus und wollen ihr Wissen teilen, andere wollen nur ein Geschäft aufgauben und das Leben genießen, und sie sind auf allen sozialen Netzwerken unterwegs.

Warum halten sich einige Händler komplett von Webshops oder sozialen Netzen fern?

Sie sagen, dass die Pflege einer Website zu viel Arbeit macht, sie kommen lieber zum Markt und verkaufen gelegentlich an den Großhandel, wenn ein Laden etwas kaufen möchte. Ich würde sagen, insbesondere im Bereich Vintage, Antiquitäten und Sammlerware haben 80 Prozent unserer Händler keine Website. Wenn nicht mehr. Auch viele der Kunstgewerbler haben keine Website, und das hat zwei Gründe: Entweder stellen sie Einzelstücke her, oder sie haben Angst, dass ihre Designs geklaut werden. Das werden manche tatsächlich. Weil ja nun jeder zum Markt kommen und ihre Designs kaufen kann, wollen machen der Händler nicht verkaufen wenn sie den Verdacht haben, dass ein Käufer ihre Sachen in die Massenproduktion geben will. Es ist ein interessanter Job, sich die Geschichten und Sorgen dieser Händler anzuhören. Manche von ihnen wollen so viel Publicity wie möglich, andere wollen nur verkaufen, sie wollen keine Reklame.

Marc Seago

Selbst die Herausforderungen sind bei dir vielfältig, wie es scheint. Woran musstest du dich erst mal gewohnen, als du nach New York gezogen bist?

Gute Frage, das ist lange her. Damals war New York in einigen Ecken noch zwielichtig, und nur weil ich lange Haare hatte, dachte jeder, ich sei ein Junkie. Die Vorurteile waren also, was ich hier hasste, und ich glaube, das trifft auf viele Orte zu. Es war zeitweise schwierig, einen Job zu kriegen. Man sagte mir: „Das ist jetzt nur unter uns, aber … Wir würden Sie gerne einstellen, aber sie müssen sich die Haare schneiden.“ Das habe ich in Deutschland nie erlebt, obwohl das Land seine eigenen Nachteile hat. Jedenfalls: Wenn ich in den USA mit meinen langen Haaren auf Reisen war, hat mich die Polizei angehalten.

Aber diese Zeiten sind vorbei.

Na ja, ich habe ja auch keine langen Haare mehr.

Und die Polizei hat vielleicht auch ihren Ansatz geändert?

Der hat sich in dem Moment geändert, als ich meine Haare abgeschnitten habe. Sobald ich kurze Haare hatte, musste ich nicht mehr meinen Ausweis zeigen, wurde nicht mehr rausgewunken, das hörte alles auf.

Das ist aber keine US-Besonderheit. Mit Dreadlocks in Deutschland durfte ich diesen Drogenhändlerverdacht mit dir hier drüben teilen.

Oh, das würde dir hier auch passieren, je nachdem, wo du bist.

Nein, das ist mir hier nie passiert. Und ich glaube, das liegt daran, dass ich weiß bin. An Privilegiertheit, an Vorrechten, die lediglich auf eine Hautfarbe beruhen.

Das stimmt. Da fällt mir etwas Lustiges an New York ein, das ich schnell gelernt habe: Wenn man bei Begegnungen mit der Polizei mit ausländischem Akzent spricht und sie dann denken, man sei Tourist, sind sie nett. Wenn sie glauben, du bist kein Tourist, sind sie nicht so nett. Das habe ich schon oft gesehen.

Intereressant. Und ebenso etwas, das dir und mir als Möglichkeit offensteht, vielen Amerikanern aber nicht.

Früher wohnte ich ganz in der Nähe eines Freundes von mir, und wenn der ein Taxi nehmen wollte, habe ich das meistens herbeigewunken, weil die für ihn nicht anhielten. Er ist schwarz. Ich habe sogar Schwarze weiter die Straße rauf gesehen, die die Hand gehoben hatten, und das Taxi fuhr einfach an denen vorbei zu mir. In solchen Fällen habe ich die Tür geöffnet und die anderen herbeigewunken.

Das sind genau diese Kleinigkeiten, die man nicht einmal bemerkt, geschweige denn ändert, wenn man sich seiner Privilegiertheit nicht bewusst ist.

Es ist frappierend wie viele Menschen hier in den USA, sogar die Politiker, behaupten, es sei nicht so schlimm. Was reden die denn? Das ist eine Sache, die mir aufgefallen ist, als ich aus Deutschland hierher kam: wie rassistisch viele Leute sind, und wie rassistisch die Kultur ist. Und sobald man New York verlässt, wird das greifbar. Als Kind in New Orleans wurde ich auch gehänselt, bloß weil meine Mutter Deutsche war. Da musste ich mir viele hässliche Sachen anhören.

Das andere Wort mit N?

Ganz genau. Ich wollte das jetzt nicht sagen. Aber das habe ich oft zu hören gekriegt. Es ist eine unangenehme Wahrheit, dass das durch Verleugnen nicht verschwindet. Das tut es nicht.

Hast du dich schon mal irgendwo fehl am Platze gefühlt?

Da ich immer von Menschen umgeben war, die ein bisschen anders aussahen, gab es Zeiten, in denen ich mich ein bisschen fehl am Platz fühlte, wenn in einem Raum alle aussahen wie ich. Sobald die Gesichter unterschiedlicher wurden, fühlte ich mich wohler und entspannter. Für mich hat die Hautfarbe oder die Nationalität nie eine Rolle gespielt. Wer ist dieser Mensch? Ist das ein netter Mensch oder nicht, ist er interessant oder langweilig? Das ist das, worauf es wirklich ankommt.

Grand Bazaar NYC Flohmarkt

 

Der Grand Bazaar NYC findet das ganze Jahr über sonntags von 10 bis 17.30 Uhr auf einem Schulhof und im Schulgebäude an der Adresse 100 West 77th St (Ecke Columbus Avenue)statt. Details auf der Website.

 

Wie, ihr habt immer noch nicht genug?