In New York gibt es keine Altkleidersäcke, dachte ich. Dann klingelte mir mein Mantra “In New York gibt es nichts, was es nicht gibt – außer Platz” im Ohr, und ich schaute genauer hin. Altbewährte Altkleidersäcke fand ich hier und da bei speziellen Sammelstellen, zum Beispiel auf einigen Wochenmärkten; aber dann fiel mein Blick auf diese schwarzen Beutel …

Fabscrap Modemüll

… und New York zeigte sich mal wieder wieder von ihrer Schokoladenseite, die mich so an diese Stadt klettet: Sie überrascht, inspiriert und fordert. In diesem Falle mit einem Stoffladen. So einen Laden gibt es nirgends sonst auf der Welt: Alles, was man dort relativ günstig kaufen kann, ist Müll.

Nachhaltigkeit New York: Fabscrap Stoff-Recycling

Ob Knöpfe oder Pünktchenstoff, eleganter Besatz oder Lederfetzen: Fabscrap sammelt Stoffreste nicht von Menschen wie dir und mir, sondern von Modeunternehmen. Denn so schön es auch ist, wenn alle in ihrem Alltag auf Nachhaltigkeit achten, so wenig wie möglich wegwerfen und so viel wie möglich recyceln: Am meisten Wirkung hat es, bei den Herstellern anzusetzen. Und die Modeindustrie zählt zu den größten Umweltverschmutzerbranchen überhaupt, gleich hinter der Ölindustrie. Fabscrap konzentriert sich bei der Suche nach Lösungen auf ein Detail: Abfall aus der Modeproduktion.

Im New Yorker Garment District fällt jede Woche tonnenweise Modemüll an. Und das, obwohl dort schon lange nicht mehr massenhaft Kleidung genäht wird. Aber allein die quadratischen Stoffproben, die Modemacher*innen zur Inspiration dienen, häufen sich rasant, und ganze Stoffrollen bleiben liegen, wenn Pläne sich ändern. Was sie oft tun. So wie die Mode. In New York lassen so manche Marken und Designer*innen ihre samples nähen, weil die Qualitätskontrolle für Musterstücke in New York schneller geht als mit Firmen in Übersee. Außerdem gibt es dort Werkstätten, die sich auf Schnittmusterentwicklung spezialisiert haben oder ein Design auf die gewünschte Bandbreite an Kleidergrößen übertragen oder unter strengster Geheimhaltung exklusive Applikationen anfertigen, es gibt ExpertInnen fürs Fälteln, Besticken und so fort. Und überall bleiben Reste von Stoffen und Verzierungen, deren Ausgangsmaterial quasi direkt für die Müllkippe produziert wurde.

Im Jahr 2018 hat Fabscrap 106 Tonnen Stoffreste von Marken wie Hanky Panky, Rebecca Taylor, Esprit oder Steven Allan und Zulieferfirmen wie KRD Imports oder Ultrafabrics eingesammelt. Sie sind aus Polyester oder Seide, Spitze oder Denim, mit Pailetten, Perlen oder Pelz verziert, es gibt kleine Fetzen, meterlange Stoffrollen und ganze Tierhäute, dazu Besatz, Knöpfe, Schnallen und so fort.

Fabscrap Stoff Recycling

Um das alles auseinanderzudividieren, sortieren ehrenamtliche Helfer*innen im Fabscrab-Lager in Sunset Park (Brooklyn) die Inhalte der Beutel. Zum Dank dürfen sie sich hinterher im angeschlossenen Reuse Store fünf pounds (etwas mehr als zwei Kilo) Stoff aussuchen und gratis mitnehmen. Das haben auch die New Yorker Modestudent*innen rasch mitbekommen. Gratis-Stoffreste gibt Fabscrap außerdem an Lehrer*innen, andere Nonprofits und wohltätige Projekte ab.

Etwa 40 Prozent seiner gesammelten Modeberge hat Fabscrap auf diese Weise im vergangenen Jahr verschenkt, 60 Prozent hat die Organisation verkauft – und weil das Interesse gestiegen ist, gibt es inzwischen nicht nur die ans Lager angeschlossene Verkaufsstelle, sondern auch einen schicken Laden in Chelsea (den ihr auf den Fotos seht) und einen Online-Store (Infos zu allen dreien findet ihr hier).

Nachhaltigkeit in New York: Fabscrap Stoffladen

Doch längst nicht alle Reste aus der Modeproduktion können von Nähfans, Theatergruppen und Schulklassen benutzt werden. Etwas mehr als 40 Prozent aus den eingesammelten Beuteln sortiert Fabscrap auf einen Recycling-Haufen. Das hat mehrere Gründe, unter denen einer hervorsticht:

Viele Modemarken lassen markenrechtlich geschützte Sachen herstellen, zum Beispiel Stoffe mit einem Logo. Die geben sie nur aus der Hand, wenn gewährleistet ist, dass sie nicht anderswo auftauchen (das ist übrigens auch die fadenscheinige Begründung dafür, warum manche Luxusmarken ihre Überproduktion und Retouren zerstören).

Stoffe vom Recycling-Haufen wandern in den Schredder. Was dort herauskommt, heißt Shoddy (Reißwolle) und nutzt als Isolationsmaterial im Bau, Matratzenfüllung, Teppichpolsterung oder wird zu den graubunten Decken, mit denen Umzugsfirmen Möbel schützen.

Aber eines kann nicht in den Schredder: Spandex. Das ist offenbar nicht nur ein super Stoffdehnbarmachzeug, sondern auch ein fieser Maschinenzerstörer und damit zumindest für mein Hirn ein wunderbares Spielzeug: Eine Maschine, die zum Zerstören dient, wird von dem kaputtgemacht, das sie kaputtmachen soll … wenn Rio Reiser das wüsste! Seit ich das weiß, sehe ich auf Klamotten-Etiketten ständig einen Spandex-Anteil.

Zurück im Fabscrap-Laden in Chelsea lasse ich die Finger über Designerseide, Glitzerstoff und Bommel-Litzen gleiten und bleibe an einer Kleiderstange mit Mode eines gewissen Zero Waste Daniel hängen, die aus solchen Resten gemacht ist: Röcke, Shirts und sogar Aufnäher aus Kleinstresten.

Fabscrap Zero Waste Daniel

Als mein Blick zwischen denen und den nach Farben sortierten Mini-Stoffresten gegenüber hin und her schießt, kommen mir jede Menge Ideen in den Sinn – und die Frage, wieso ein Stoff… – wie nenne ich das jetzt: Geschäft? – wie dieses in den Modemetropolen der Welt nicht längst Standard ist.

Und wenn ich jetzt nicht wieder an die Hacke müsste, würde ich eine lustige Geschichte über einen Kultführer in spe schreiben, der mit einer Spandexverschwörung die Weltherrschaft zu übernehmen gedenkt, sobald Roboter sich auf seinem Arbeitsplatz breitmachen, aber das scheitert an … das könnt ihr euch jetzt selber zusammenschneidern.