Sirenen heulen, Hupen tröten, und oben drüber klingen die Glöckchen der Heilsarmee. Irgendwann im November fängt das an: In der Kakophonie New Yorks schwellen die Bittgesänge und übertönen den Rest. “Gebt uns euer Geld” rufen nicht nur die Geschäfte mit ihrem Wegwerfglitter und den praktischen Geschenkrückgabescheinen, sondern auch die gemeinnützigen Organisationen. Das ist ihre Chance, Gutes zu tun; und es ist auch meine und deine.

Aber die Konkurrenz ist groß bei der Wohlfahrt, so viele gute Zwecke, und so viele Ideen, wie man sie greifbar macht – oder vielleicht doch einen Gegenwert schafft? Die Museen locken mit Mitgliedschaften, Spende gegen freien Eintritt für ein Jahr – oder mehr, je nachdem, wieviel man gibt. In der Bibliothek darf man schon mit der günstigsten Mitgliedschaft im Advent zur Weihnachtsfeier für geladene Gäste. Im Namen der Hungerbekämpfung bietet City Harvest edlen SpenderInnen unter 40 Jahren Extra-Events – mit lecker Essen, versteht sich. Eine Kakophonie der Spendenaufrufe prägt die Zeit bis Ende Dezember. Um sie zu übertönen und ordentlich Geschenke für die Kunst, die Wissenschaft und die Bedürftigen einzusacken, braucht es immer neue Ideen.

Ich mag neue Ideen und Inspiration, wie ihr vermutlich wisst. Die schönsten Geschenke aus New York kamen deshalb für mich in dieser Saison aus einem Pop-Up-Shop und aus dem Automaten:

Geschenkeautomat Mormonen

Das ist ein Geschenkeautomat! Aufgestellt hat ihn die Church of the Latter Day Saints, besser bekannt als Mormonen-Kirche. Deren Mitglieder missionieren in jungen Jahren überall auf der Welt, ordentlich angezogen und mit schwarzen Namensschildern, auf denen sie als “Elder Soundso” ausgewiesen werden. Auch neben den Automaten vor deren großer Kirche gegenüber vom Lincoln Center stehen zwei fröhliche junge Damen, die Hilfe anbieten. Zwei PassantInnen sind gerade dabei, Geld einzuwerfen.

Sie drücken Knöpfe, und es fällt etwas nach unten, so wie in den Automaten mit Süßigkeitenriegeln. Die gibt es in der Giving Machine nicht. Stattdessen stehen Geschenke zur Auswahl, zum Beispiel der Festtagsklassiker “Socken”. Aber auch, unter anderem, eine Ziege für 50 Dollar.

Geschenkeautomat Giving Machine

Die gewählten Sachen rücken nach dem Kauf vor, fallen nach unten – aber man kommt nicht dran. Was dem Automaten anderswo wütende Tritte bescheren würde, zieht hier ein mildes Lächeln nach sich. Der Automat spuckt einen Kassenzettel aus. Es ist ein Spendenbeleg. Nach Aussage der Glaubensgemeinschaft, die ihren Mitgliedern 10 Prozent des Einkommens als Spende abverlangt, gehen die Spenden je nach Wahl an lokale oder globale Einrichtungen. In Zusammenarbeit mit Unicef, Care und den New Yorker Organisationen Art Start und West Side Campaign Against Hunger sollen die milden Gaben Kindern in New York den Weg zu Kunstkursen finanzieren oder einer Familie in einem fremden Land die Zukunft ein Stück rosiger malen. Die dazu benötigten Tiere seien ein Renner bei den Spendenwilligen, heißt es. Auch bei meinem Besuch liegen zwei Päckchen Hühner unten in der Geschenkemaschine.

Automat Geschenke Giving Machine

Der Automat bleibt allerdings nicht das ganze Jahr über in New York stehen – nur zur Feiertagssaison, ein bisschen ausgedehnt bis Ende Dezember 2018. Die andere Quelle für tolle Geschenke ist da schon geschlossen: ein Pop-Up-Shop namens Choose Love.

Choose Love Shop Soho

Da stehen Kinderstiefelchen für zehn Dollar. Für so ein Schnäppchen haben sie nicht einmal Tüten; die Stiefel bleiben, wo sie sind. Erst mal. Mit dem Kauf gehen sie an ein Kind in einem Flüchtlingslager. Später, nachdem der Laden seine Pforten geschlossen hat, werde ich erfahren, dass auf diese Weise sämtliche Kinder im griechischen Katsikas-Lager Winterschuhe bekommen haben.

Die Wohlfahrtsorganisation Help Refugees hilft Flüchtlingen, die übers Mittelmeer kommen. Obwohl das für New YorkerInnen ganz schön weit weg ist, bin ich längst nicht allein in dem Laden, den Help Refugees zusammen mit einem Kreativkolletiv namens Glimpse entwickelt hat; es gab einen in London und einen in New York (und – ist klar: online). Dort stehen Produkte und Dienstleistungen zur Auswahl. Ein Duschkopf steht für Letzteres; mit vier Dollar kann man dafür sorgen, dass Duschen in Flüchtlingslagern in Gang gesetzt oder gewartet werden. 20 Dollar bescheren einer Familie dort einen Vorrat an Shampoo, Seife, Zahnputzzeug und Damenbinden für drei Monate.

Choose Love Flüchtlinge

Und so weiter. Man kann psychologische Betreuung finanzieren oder einen Schlafsack, ein Zelt oder ein richtiges Dach über dem Kopf. Und so ein Laden passt bestens nach New York.

Choose Love Geschenkeladen Flüchtlinge

New York hat die Spendierhosen an. Daten der US-Finanzbehörde IRS zufolge sind dort im Jahr 2016 rund 22,1 Milliarden Dollar an wohltätige Zwecke gegangen (und von der Steuer abgesetzt worden). Auf dem 2. Platz in der Rangfolge der Spendenfreudigkeit steht der Großraum Los Angeles mit ungefähr der Hälfte, nämlich 11,2 Milliarden Dollar, gefolgt von San Jose mit 8,6 Milliarden Dollar. Kein Wunder, dass gemeinnützige Organisationen New York im Visier haben.

Hauptsaison fürs fundraising ist die rührselige Feiertagszeit. In den USA beginnt sie nicht erst mit dem Advent, sondern vor Thanksgiving. Das große Familienfest mit Fressorgie bis ins “traditionelle” food koma bietet eine prima Angriffsfläche, auf der man dafür werben kann, auch anderen einen Truthahn oder überhaupt mal ein warmes Essen zu gönnen. Und dann kommt Weihnachten, wo man prima an den Christlichkeitsschlager erinnern kann: Geben sei seliger denn Nehmen.

Für die Rockefellers und Bloombergs dieser Stadt bedeutet das allerlei höfliche Einladungen. Bereits im September starten die Bälle und Gala-Veranstaltungen, bei denen die Bestbetuchten Tausende Dollar hinblättern, natürlich für einen guten Zweck. Normalsterblichen bleiben Veranstaltungen wie der Angel Ball oder die Ripple of Hope Gala verwehrt.

Aber auch Kleinvieh macht Mist, und die meisten nonprofits in New York wissen, wie sie die Herzen und Schatullen der BürgerInnen öffnen. Wenn 8,6 Millionen jeweils einen Dollar gäben … fangen die Träume erst an. Und so ist spätestens ab November plötzlich fast jeden Tag Post im Briefkasten, und der Takt der E-Mails steigt wie ein aus der Kontrolle geratener Adventkalender. Ich gestehe, dass ich angesichts dieser Flut an Spendenaufrufen manchmal wünsche, ich hätte denen nie einen Cent gegeben und sie ahnten nichts von meiner hilfreichen Seite. Aber das ist ja keine Frage des Gebens, sondern der Kommunikation. Auch wenn die Botschaft manchmal zu lauten scheint: Wer gibt, mag Verteilerlisten auch noch ein wenig Aufmerksamkeit zukommen lassen.



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