Erst bin ich ein bisschen enttäuscht. Susan Shapiro, die Moderatorin des Abends, scheint all ihre Studenten mobilisiert zu haben, sie dirigiert, wer wo sitzen soll – und nervt. Gerade als ich mich frage, ob das vielleicht schon zum Programm gehört, geht es los.

Es ist nämlich so: Die Therapeuten New Yorks verlassen im August in Scharen die Stadt (wie alle, die mental und monetär halbwegs beisammen sind). Zum Trost für all die anderen (selbstverständlich therapiesüchtigen) New Yorker hat Susan Shapiro “The Shrinks are Away!” erfunden, eine Lesung zum Thema.

Shapiro selbst liest als Vierte, monoton und blitzschnell, eine unglückliche Kombination, wenn man nicht der eigenen Muttersprache lauscht. Aber vorher habe ich ja schon spannende Geschichten gehört, zwei ehemalige Schüler von ihr haben gelesen, über eine irre Bombenlegerin und eine junge Frau, die mit dem Verschwinden ihrer Mutter klarkommen muss, und dann war eine verhuschte Schriftstellerin dran, der Shapiro später, im Zusammenhang mit der Frage, wie man einen Buchvertrag bekommt, das Geständnis entfoltert, sie sei die Tochter von Erica Jong (“I wanna die right now”, sagt die junge Frau, deren Namen ich hier jetzt extra nicht erwähne – sie tut mir immer noch leid). Und als dann eben Shapiro so schnell und monoton liest, merke ich, wie meine Ohren beschließen, den Abend zu beschließen.

Aber dann kommt noch ein Shapiro. Harvey Shapiro nämlich, der 87-jährige Dichter, der sich vor der Veranstaltung auf dem Stuhl neben mir ausgeruht hatte. Und dann ist alles wieder richtig.

Harvey Shapiro arbeitete bei der New York Times (hatte einen normalen Job, wie er sagt) und schrieb abends Gedichte. Und was für welche! Inspiriert von seinem Weg zur Arbeit, von der Stadt, aber eben auch von einem langen Leben.  So manches davon inspiriert von Momentaufnahmen. Zum Beispiel “New York Notes”:

I

Caught on a side street
in heavy traffic, I said
to the cabbbie, I should
have walked. He replied,
I should have been a doctor.

II

When can I get on the 11:33
I ask the guy in the information booth
at the Atlantic Avenue Station.
When they open the doors, he says.
I am home among my people.

Hinterher gehe ich in der Poetry-Abteilung zum Buchstaben S. Nach Shakespeare kommt da Shelley. Banausen!