Als ich auf den Eingang des Supermarkts zusteuere, sehe ich ihn schon. Der Mann steht da, und gleich macht er bestimmt … genau. Er zieht die Tür weit auf und schaut mich an.

Das machen so manche Obdachlose in New York: Sie schaffen sich einen Job und viele potenzielle Arbeitgeber. Oder zumindest Spender. Meistens warten sie einfach still, dass man ihnen Kleingeld in die Hand drückt. Besonders später, beim Rausgehen.

Doch diesmal ist das anders. “Wenn du nachher rauskommst”, sagt der Mann zu mir, und ich sage fröhlich: “Klar, was kann ich dir mitbringen?” Ich höre irgendwas mit I. Ach so, dämmert es mir, und ich wiederhole: “A peach?”

Er hätte gern einen Pfirsich. Einen schön weichen, bitte. Ein paar Sekunden später finde ich mich in der Obstabteilung beim Pfirsichdrücken wieder. Die sind aber alle ganz schön fest. Ich nehme den, der unter ihnen der weichste ist. Und noch einen Apfel als Ausweichobst. Vielleicht kann er den Pfirsich ja solange noch in der Sonne weiterreifen lassen.

Unterdessen denke ich darüber nach, warum sich so viele Leute wohler dabei fühlen, Obdachlosen etwas zu essen zu schenken als Geld. Die sollen sich davon bloß keine Drogen kaufen. Bier auch nicht. Und bitte auch nicht diese überzuckerten Softdrinks. Oder Chips. Darüber habe ich schon oft mit anderen Menschen gesprochen. Und ich bin in dieser Frage immer noch zerrissen.

Denn: Da hängt immer so ein unappetitlicher Touch Geschmacksfrage dran. Mit welchem Recht dürfte ich denn anderswo, zum Beispiel auf der Arbeit, den anderen Leuten vorschreiben, was sie zu essen und zu trinken und zu kaufen haben? Bleibe ich in den gesetzlichen Grenzen, fiele von den genannten vier Beispielen nur eines aus dem Rahmen. Und der Rest ist Machtgefälle: Wer nichts zu essen hat, darf keine Wünsche mehr haben. Dieses Denken behagt mir nicht.

Deshalb muss ich in der Obstabteilung über mich selber schmunzeln: Toll, habe ich eben gedacht, der will Obst! Was Gesundes! Genauer gesagt: etwas, das ich für gut und richtig und gesund halte, aber trotzdem nie kaufe. Ich mag halt keine Pfirsiche.

Und ich kann mir das leisten. Und mich freuen, dass dieser arme Mann da sich frisches Obst wünscht. Weil ich eben auch diesen “Ich weiß am allerbesten, was gut für dich ist”-Stachel irgendwo in mir stecken habe. Mea culpa, denke ich, dabei weiß ich noch gar nicht, wie viel culpa sich da noch versteckt.

Ich bezahle meine Zuckerkekse und sein Obst, gehe raus und sage: “Hier ist deine Lieferung.” Ich erkläre dem Mann bedauernd, dass die Pfirsiche da drinnen nicht gerade superweich sind, dass ich aber den weichsten von allen herausgesucht habe. Und dass ich außerdem noch einen Apfel für ihn habe.

Er sagt nichts, aber ich sehe, dass er nicht begeistert ist. Ich sehe das, weil er seinen Mund aufmacht. Kein einziger Zahn blinkt mir dort entgegen. “Ich nehme den Pfirsich”, sagt er höflich.