Der designierte Präsident der USA sitzt in einem goldenen Turm in New York. Viele Menschen hätten es nie für möglich gehalten, dass wer diesen Satz als Tatsache niederschreibt. Das habe ich aber soeben getan. Zuvor sind einige Fragen bei mir eingetrudelt, was in New York nach der Wahl von Donald Trump passiert und was speziell die New Yorker nun beschäftigt. Ein Überblick.
New Yorker sind doch bestimmt alle gegen Donald Trump.
Nein, das stimmt nicht. Es gibt eine interaktive Karte, auf der ihr nachschauen könnt, in welchen Teilen der Stadt wieviele Menschen (auch in absoluten Zahlen) für den Reality-Show-Darsteller gestimmt haben. Und nicht nur Herr Trump, sondern auch sie fühlen sich als Wahlgewinner.
Die New Yorker Polizei sieht mit Sorge, dass nach der Wahl sogenannte “hate crimes” zugenommen haben. Die Bandbreite dieser Vergehen in NYC reicht von Hakenkreuzen auf einem Kinderspielplatz bis zu tätlichen Angriffen. In New York leben mehr als 600.000 Muslime und mehr als eine Million Juden.
Es scheint so, als stünden den Tätern und ihren Sympathisanten in New York eine Menge Menschen gegenüber, die nicht nur Hass und Gewalt ablehnen, sondern auch dagegen aktiv werden. Eine New Yorkerin, die wegen Belästigungen und Gewaltandrohung in der U-Bahn muslimischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern einen Begleitservice auf dem Weg zur Arbeit anbieten wollte, konnte sich beispielsweise vor Hilfsangeboten kaum retten.
Gibt es immer noch Anti-Trump-Proteste?
In den ersten Tagen nach der Wahl sind offenbar viele Bilder von Protesten durch eure Nachrichten geflimmert. Ein Leser hat mich gefragt, ob es die noch gibt – und ob sie “immer noch gewalttätig” seien. Öhm. Es gab einige Tage nach der Wahl bei einer Demonstration in Portland (Oregon) Krawalle. In New York habe ich nichts dergleichen mitbekommen.
Und ja, die Proteste dauern an. Nachdem New York in den ersten fünf Tagen nach der Wahl täglich Demonstrationen erlebte, konzentrieren sich diese nun vorwiegend aufs Wochenende (das Foto ist vom vergangenen Sonntag) – aber nicht ausschließlich. Beispielsweise organisierte eine High School-Schülerin in strömendem Regen einen “Walk out”, dem sich die Kids aus mehreren Schulen anschlossen.
Sehr viele Passanten machen Fotos von einem vorbeiziehenden Marsch und dessen Plakaten, immer wieder applaudieren Leute. Taxifahrer (hupen) und Tourbusguides (recken die Faust in die Luft) fallen dabei besonders auf.
Neben örtlichen Protesten bereiten viele New Yorker Großveranstaltungen wie den Women’s March on Washington am 21. Januar vor. Andere üben sich beim Weihnachtseinkauf im Boycott von Produkten, deren Herstellerfirmen in irgendeiner Form mit Trump verbunden sind. Damit jeder diese Firmen schnell findet, hat eine Anti-Trump-Super-PAC flugs eine “Boycott Trump”-App finanziert.
Was das Fernsehen nicht zeigt: Wie New Yorker den Hintern hochkriegen
Seit der Wahl rücken Gruppen in den Fokus, die sich um die Rechte von all denjenigen kümmern, die Trump ein Dorn im Auge sind: Einwanderer, Schwarze, Schwule, Lesben, Transgender, Frauen … Entsprechende New Yorker Hilfsorganisationen melden, dass sich noch nie so viele neue Helferinnen und Helfer für ein ehrenamtliches Engagement angeboten haben. Manchen geht es schlicht darum, einem der großen Slogans der Anti-Trump-Bewegung Leben einzuhauchen:
Eine weitere starke Bewegung produziert keine Spektakelbilder, und mich würde sehr interessieren, ob ihr davon überhaupt etwas mitbekommt: New Yorker (und auch viele Menschen in anderen Teilen der USA) besinnen sich auf die Grundlagen der Demokratie.
Sie rufen die für ihren Bezirk zuständigen Abgeordneten in Kongress und Senat an und sprechen mit ihnen über konkrete Anliegen. Auch bei Mitgliedern wichtiger Ausschüsse laufen vor dem Thanksgiving-Feiertag die Telefone heiß. Wählerinnen sprechen sich etwa explizit für Obamacare aus oder fordern, dass das House Committee of Oversight Trumps Finanzen überprüft und akribisch nach etwaigen Interessenkonflikten sucht.
Was sagen die New Yorker Politiker?
Sowohl der Bürgermeister von New York City als auch der Gouverneur des Bundesstaates New York haben sich nach der Wahl mehrfach zu Wort gemeldet – und im Gegensatz zu Trump sich auch Pressekonferenzen gestellt. Tenor dabei: New York ist ein spezieller Fall und stolz drauf. Unterton: Von dem Typen lassen wir uns gar nix gefallen.
Gouverneur Andrew Cuomo rückt sich dabei einmal mehr in den Ruf eines Wendehalses. Kurz nach der Wahl kriegt er direkt Ärger für die Äußerungen, Trump könne der Wirtschaft des “Empire State” Auftrieb geben. Kurz darauf hängt auch er an buntes Post-It an die “Therapy Wall” des Künstlers Matthew Chavez an der U-Bahn-Haltestelle Union Square, die nach der Wahl irrsinnigen Zuspruch fand (und immer noch findet).
Zudem schreibt Cuomo in einem Gastbeitrag für die Daily News, dass er und der Bundesstaat sich mit allen Mitteln gegen Fremdenhass, Frauenhass, weißen Nationalismus etc. wehren werden. Eine Woche später hat Cuomo sich etwas Konkretes ausgedacht, mit dem New York Einwanderern ohne Papiere finanzielle Hilfe für Rechtsbeistand beisteuern kann.
Beide Politiker haben separate Termine mit Donald Trump. Hinterher berichten sie, dass sie die Bedenken der Bürger mit ihm besprochen haben – mehr oder weniger jedenfalls.

Titelseite der Gratiszeitung “Metro New York” am 17.11.2016.
Bürgermeister de Blasio schaut auf Trumps Äußerungen zur umstrittenen Praxis des Stop-and-Frisk und betont, dass die Regierung der New Yorker Polizei keine Anweisungen geben kann. Ihm liegt auch am Herzen, dass New York eine Einwandererstadt bleibt – so verspricht er beispielsweise, juristische Schritte einzuleiten, falls Trump Muslime zu einer Registrierung zwingen will. Und das ist nicht alles.
My promise to ALL New Yorkers. #AlwaysNewYork pic.twitter.com/F6IUfYBeRp
— Bill de Blasio (@NYCMayor) 22. November 2016
Und was passiert derzeit am Trump Tower?
Demonstrationen von allen möglichen Orten aus haben meist den Trump Tower als Ziel. Direkt vor dem Wohnsitz von Donald Trump und seiner Familie ist aber alles abgesperrt – allerdings nicht undurchlässig. New York hat sich schlicht geweigert, ganze Straßenzüge für Autos und Fußgänger zu sperren.
Mehrere Häuserblocks weit stehen Gitter- und Betonabsperrungen am Rand der Bürgersteige, direkt gegenüber vom Trump Tower ist ein Sonderbereich für die Presse abgeteilt. Davor machen Button-Verkäufer ein gutes Geschäft.
Einen Block entfernt ist eine Fahrspur in eine Art Corralls (kennt ihr aus Westernfilmen) umgewandelt: Demonstranten haben je einen Bereich für Trump-Fans und Trump-Gegner, und dazwischen ist eine Pufferzone, in der sich Polizisten tummeln. Auf dem Gehsteig davor halten selbige die Leute an, bitte weiterzugehen.
Verkehrsbehinderung wegen Trump nervt New Yorker
Diese ganzen Absperrungen und die Behinderung des Verkehrs liefern Gesprächsstoff in New York. Gerade jetzt, wo das Weihnachtsgeschäft anläuft, weiß niemand, wie das eigentlich funktionieren soll. Der Haupteingang des Trump Tower liegt immerhin an der Fifth Avenue.
Nebenan ist Tiffany & Co, das seine jährliche Feier zur Enthüllung der Weihnachtsschaufenster diesmal absagte: zu gefährlich. Schräg gegenüber liegt das Edelkaufhaus Henri Bendel, und vor Omega, Gucci und Polo Ralph Lauren stehen Demonstranten.
Eigentlich gondeln fünf verschiedene Busse die Fifth Avenue hinunter, halten alle zwei Blocks, so dass man bequem einkaufen kann. Das ist auch vorbei. Und mitten im neuesten Dauerstau der Stadt scheint die NYPD sich häuslich einzurichten.
Etwa 50 Polizisten sind regulär am Ort, zu Stoßzeiten mehr. Sie durchsuchen schon vor dem Häuserblock Taschen derjenigen, die in den Trump Tower möchten (das Gebäude beinhaltet ja einen öffentlichen Raum, dort gibt es auch Geschäfte, unter anderem Trump-Merchandise und ein Restaurant). Auch wer bloß durch die 56th Street zwischen Fifth und Madison Avenue laufen will, muss durch eine Sicherheitskontrolle.
Entsprechend “begeistert” sind viele New Yorker von der Mitteilung, Trumps Gattin Melania und der gemeinsame Sohn Barron werden auch nach der Amtseinführung im Trump Tower wohnen bleiben.
So, und zum Schluss meine Frage an euch: Was bekommt ihr in Deutschland von New York nach der Wahl mit? Und gibt es etwas, worüber ihr gern noch mehr erfahren würdet?
Sa
Dezember 9
Toll, dass es auch einige positive Seiten gibt: mehr Menschen, die ein Ehrenamt übernehmen wollen, Bürger, die ihre Abgeordneten anrufen, Demonstrationen. Die Therapy Wall ist auch großartig, zumal wirklich viele Menschen Wünsche äußern und freundlich bleiben.
Welche Erklärungen gibt es denn für die hohe Zustimmung auf Staten Island (fast 80%) und in Borough Park (ein Bezirk in Brooklyn …)?
So und nun müssen wir Europäer uns für Demokratie und Toleranz stark machen. Da können wir uns von den New Yorkern dieser Tage inspirieren lassen …
Petrina Engelke
Dezember 9
Hi Sa,
danke für deine Frage zu den Trump-Wählern!
In Borough Park lebt u.a. eine ultraorthodoxe Minderheit innerhalb der jüdischen Bevölkerung, die Trump als Pro-Israel sieht und sich von dessen Hetze gegen Einwanderer nicht betroffen sieht. Hier eine Geschichte dazu:
http://forward.com/news/353811/riding-anti-hillary-mood-trump-finds-hasidic-allies-in-brooklyn/
Für Staten Island gehen die Erklärungen in Richtung “klassische Protestwähler”. In Staten Island gibt es viele Viertel, die so gar nichts mit dem Melting Pot-Wesen New Yorks zu tun haben. Viele Bewohner fühlen sich ohnehin als Stiefkinder der Stadt, und Trumps Vater hatte dort Eigentum, was ihn offenbar für einige aus der entsprechenden Gegend zu “einem von uns” macht. Hier kannst du nachlesen, was diverse Staten Islander zur Wahl sagen:
http://gothamist.com/2016/11/08/staten_island_trump_voters.php#photo-1
Schönen Gruß
Petrina