Das hätte ich mir ja denken können: Wenn eine abgedrehte Geschichte der Marke “so was kann auch nur in New York passieren” mich dazu inspiriert, zu einem Baseballspiel ins Yankee Stadium zu gehen, dann entdecke ich dort natürlich auch … eine ebensolche Geschichte. Also der Reihe nach.

Der gewitzte Schriftsteller und Taxifahrer Eugene Salomon hat mir bei einem unserer Treffen eine Baseball-Geschichte erzählt, die ihr auch in seinem Blog “Cabs Are For Kissing” finden könnt: Sie heißt “The Fan Strikes Back“, und sie ist keineswegs erfunden. Darin kutschiert Eugene einen arroganten Fahrgast, der sich als Spieler der New York Yankees entpuppt – und dem Eugenes immenses Baseballwissen bald um die Ohren fliegt.

Nachdem mein Gekicher verklungen war, bekam Eugene mit, dass ich noch nie im Stadion war, um ein Spiel live zu sehen. Ihr ahnt, was kommt: Schon hatten wir eine neue Verabredung, die wir diesen Sommer dann endlich wahrmachten.

Vorher bat ich heimlich einen Nachbarn, der pensionierter Lehrer ist und Baseballkenner, mir die Grundregeln dieses seltsamen Sports beizubiegen, die ich bislang binnen Sekunden immer wieder vergaß. Er hatte sich richtig was ausgedacht, um meiner Erinnerungsleistung auf die Sprünge zu helfen, und als wir dann zur Übung ein Spiel im Fernsehen anschauten, lernte ich schnell, dass mein Tutor für den Yankee Stadium-Besuch ausgerechnet ein Fan der Erzrivalen der Yankees ist, nämlich der Boston Red Sox. Trotzdem war er ganz begeistert, als ich ihm aus dem Stadion ein Beweisfoto schickte:

Yankee Stadium Baseball

Aber so eine Geschichte hätte sich ja nun an vielen Orten und mit vielen Sportarten zutragen können. Die große Überraschung hatte ich in dem Moment schon erlebt. Für meinen ersten Stadionbesuch hatte Eugene natürlich auch ein Programm, bei dem ich bald merkte, was für eine tolle Show die Sportveranstalter abziehen.

Auch wenn manche Fans es liebevoll ball park nennen, als wäre es nur ein bisschen Rasen mit Sandstück: Das neue Yankee Stadium ist ein Milliardenbau, der 2009 das alte Stadion ersetzte. Mit umgezogen – und bei der Gelegenheit erweitert – ist der Monument Park. Dort ehrt die Baseballmannschaft die Träger der Trikotnummern, die mit ihrem Rückzug aus dem Sport nicht weiter vergeben wurden – von Loug Gehrig (4) und Babe Ruth (3) bis zu Joe Torre (6) und Derek Jeter (2). Selbstredend gibt es Fans, die gerne darüber debattieren, ob der eine oder andere diese Ehrung verdient hat oder nicht.

Yankee Stadium Monument Park

Ringsum gibt es auch Ehrungen für wichtige Manager und Trainer der Mannschaft, für beliebte, langjährige Stadionsprecher … und drei Päpste, die in diesem Stadion große Messen abgehalten hatten. Und dann sehe ich noch einen Namen, den ich bislang überhaupt nicht mit Ballsport verbunden hatte:

Nelson Mandela Yankee Stadium

Die Verbindung ist wie eine Sehne: dünn, aber stark. Einmal ist Mandela im Yankee Stadium aufgetaucht, nämlich im Juni 1990, auf seiner ersten Reise außerhalb Afrikas kurz nach seiner Haftentlassung.

Eine Ehrenfahrt mit 40 Wagen-Kolonne, Dutzenden Polizeimotorrädern und fast einer Million Menschen am Straßenrand in Manhattan führte Mandela vom Süden Manhattans nach Harlem und dann in die Bronx ins (alte) Yankee Stadium, wo der Legende nach Sprechchöre mit “Amandla! Amandla!” aufbrandeten. Es war das erste Wort, das Mandela nach seiner Haftentlassung mit erhobener Faust sagte. Das Zulu-Wort bedeutet auf Deutsch “Kraft” – einige der amerikanischen Zuschauer im Yankee Stadium dachten aber aufgrund von Übersetzungsschwierigkeiten offenbar, es bedeute “Freiheit” oder “Sieg”.

Mandela sollte sich in seiner weiteren Laufbahn noch häufiger als Sportsfreund erweisen, dem besonders gefiel, wie Sport die Menschen zusammenbringt. Doch an diesem Tag spielten die Yankees auswärts, und der Anti-Apartheids-Held war zum Reden gekommen. Zum Ende bedankte sich Nelson Mandela für den warmen Empfang in New York. “The people of New York, we admire you, we respect you and, above all, we love you”, sagte er.

In der Nähe stand der damalige Bürgermeister New Yorks, David Dinkins – der erste und bis dato auch der einzige schwarze Bürgermeister der Stadt. Er hängte Mandela an diesem Endpunkt der Rede eine Yankees-Jacke über die Schulter und drückte ihm eine Yankees-Baseballmütze auf den Kopf. Und was sagte Mandela dann zum Publikum im ausverkauften Stadion?

You know who I am. I am a Yankee.

(Ihr wisst, wer ich bin. Ich bin ein Yankee.)

Das ist der Mannschaft ungefähr so im Gedächtnis geblieben wie John F. Kennedy den BerlinerInnen. Nach Mandelas Tod setzten die New York Yankees ihm ein Denkmal und legten die Einweihungsfeier im Jahr 2014 auf den Jackie Robinson Day, an dem der erste schwarze Profi-Baseballspieler in der obersten Liga, dem Major League Baseball (MLB) geehrt wird.  Doch die Ehrengäste – unter anderem David Dinkins, Harry Belafonte (der Mandelas Reise koordiniert hatte), Rachel und Sharon Robinson (Witwe und Tochter der Baseballlegende) und Zondwa Mandela (Nelson Mandelas Enkel) durften erst einen Tag später feierlich über Mandelas Erbe sprechen. Denn am ursprünglichen Termin regnete es – und bei Regen ist Essig mit Baseball. Das hab ich mir gemerkt.