Da hockt eine Schnee-Eule auf dem Broadway, mitten im Juni, und sie ist aus Holz. Ans Original reicht das Riesentier nicht heran. Schnee-Eulen sind quasi antizyklische Tourist*innen: Sie fliegen im tiefsten Winter zuweilen nach New York, um das leckere Essen zu genießen, wenn in ihrem Zuhause im hohen Norden die Lemminge zur Neige gehen. Kalt genug ist es ihnen im New Yorker Winter ja immer noch.

Aber das wird sich wohl ändern. Und dann landen in Gegenden wie Governors Island oder Breezy Point keine Schnee-Eulen mehr. Deshalb steht dieses Tier da jetzt auf dem Broadway (Ecke 148th St). Nein, nicht um sich für Sommertemperaturen zu erwärmen, sondern um zu zeigen, was in puncto Klimawandel auf dem Spiel steht – aus der übersichtlichen Vogelperspektive betrachtet.

Brautente Birds on Broadway Vogel Wood Duck

Ein paar Häuserblöcke weiter den Broadway hinauf, an der 157th Street, hockt eine Brautente. Den überraschend bunten Wasservogel sieht man oft im Central Park, aber vielleicht nicht mehr lange. Dem “Birds & Climate Change Report” der Vogel- und Naturschutzorganisation National Audubon Society aus dem Jahr 2014 zufolge werden 69 Prozent der Tiere ihr Sommerquartier nach Kanada verlegen, weil es ihnen dann in New York zu heiß wird.

Auf diesem Bericht beruht die Idee für “Birds on Broadway”. Der in Brooklyn ansässige Künstler Nicolas Holiber hat in Zusammenarbeit mit der Audubon Society zehn Vögel ausgesucht, die in New York anzutreffen sind – ob sie nun für einen Teil des Jahres vorbeischauen oder im Stadtgebiet zu Hause sind. Wie etwa Wanderfalken, deren holziges Abbild sich an der wuseligen Haltestelle 72nd Street findet. Der lustige Rothalstaucher (64th Street) kommt dagegen zum Brüten nach New York.

Red-Necked Grebe Rothalstaucher Birds on Broadway

Die dunkelbäuchige Ringelgans (96th Street) wiederum besucht die Region im Winter. Da sie Salzwasser liebt, sieht man sie dann am ehesten im Hafen und auf dem East River – und fände Tauben in der Nachbarschaft sicher gewöhnungsbedürftig.

Birds on Broadway Gans Nicolas Holiber

Sie ist sehr wählerisch, was ihre Nahrung angeht – ob die auch umzieht, wenn der Klimawandel die Gans in den Norden treibt, ist fraglich. Auf einmal sieht das Holztier wie ein Piratenschiff aus: Du, ja, du da, du gehst über die Planke! Wenn die Temperaturen steigen, ist in New York nicht mehr genug zu essen an Bord. Besonders für Lebewesen, die nicht unter oder auf dem Wasser wohnen.

Birds on Broadway von Nicolas Holiber

Im Central Park kann man Ohrenscharben ebenso ihre Flügel trocknen sehen wie auf den Bojen im New Yorker Hafen. Die Erderwärmung wird die Tiere aus der Familie der Kormorane in die kanadischen Nadelwaldregionen treiben, so die Prognose. Sich die Viecher als Tannenbaumspitze vorzustellen, ist lustig. Ob sie dort klarkämen, ist fraglich.

Die Audubon Society verschönert Manhattan schon seit fünf Jahren mit Vögeln; das Audubon Mural Project hat sich vor allem im Norden der Insel mit bunten, teils haushohen, teils auf Ladenrolltoren tagsüber versteckten Wandgemälden ausgebreitet. Und nun gibt es in dem Mittelstreifen des Broadway zwischen der 64th Street und der 157th Street das erste Audubon Sculpture Project.

Um es zu verwirklichen, hat Nicolas Holiber im vergangenen Jahr eine Kickstarter-Kampagne gemacht. Denn auch wenn mehrere Organisationen sich hinter “Birds on Broadway” gestellt haben: Es kostet Zeit und Geld, solche Skulpturen zu bauen.

Schnee-Eule auf dem Broadway

Ungefähr ein Jahr lang hat Nicolas Holiber im Grunde nichts anderes gemacht. In einem fast tausend Quadratmeter großen Lagerhaus in Brooklyn hat er zusammen mit einem Assistenten seine Entwürfe, die auf Zeichnungen des amerikanischen Vogelkundlers James Audubon beruhen, mit Altholz in Form gebracht: Ehemalige Bodendielen, Fußleisten und Bettpfosten hat Holiber mit Hammer und Meißel bearbeitet und zusammengenagelt. Die fertigen Vögel sind zwar angemalt, aber nicht wetterfest lasiert – auch sie sollen sich mit den klimatischen Bedingungen verändern.

Die zehn “Birds on Broadway” bleiben bis Januar 2020 auf den Mittelstreifen des Broadways stehen. Eine Karte mit allen Standorten und Informationen über die Vogelarten gibt es hier.


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