Gut dass ich keine Schusterin bin! Das mit den Leisten kann ich mir nämlich nicht leisten. Wer schreibt, der bleibt nur, wenn er wagt (und vielleicht verliert, aber dann immer noch was zu erzählen hat). Ich hätte dabei bleiben können, Frauen zu interviewen, die ich mir ausgesucht habe und mit denen ich direkt ausmachen kann, wie lange und wo wir miteinander sprechen. So wie mit Robin Nagle, Angy Rivera oder Betsy Polivy zum Beispiel. Aber dann schneit mir eine dieser Anfragen ins Haus, die Bloggerinnen schon mal bekommen – und ich sage ja, wo ich sonst nein sage. Denn Laolu Senbanjo ist eine Inspiration.

Der nigerianische Künstler ist berühmt für seine Arbeit an “Sorry“, einem Video aus Beyoncés “Lemonade”, für die eigens ein neuer Jobtitel erfunden werden musste: artist on set. Laolu Senbanjo verbindet Geschichte und Gegenwart, Nigeria und New York, Kunst und Kommerz auf eindrucksvolle Weise – und seine Geschichte bringt Facetten an New York zum Vorschein, die einen Blick lohnen. Oder zwei. Das lest ihr im Interview weiter unten.

Diese Geschichte entstand, weil eine Firma ein Produkt verbreitet sehen will: Edelwodka. Geld bekomme ich dafür nicht, aber einen Interviewtermin. Mit dem Künstler Laolu Senbanjo und, wie ich dann ganz kurz vorher erfahre – auch mit dem CEO der Firma, die das alles eingestielt hat, und hinterher drückte man mir eine Tasche mit einer Flasche drin in die Hand. Hunderte Male habe ich solche Arrangements in meinem Beruf durchexerziert und mich geärgert, dass ich keine Redaktion hatte, die ihre Journalistinnen stets auf eigene Rechnung zu Interviews schickt (sondern sich Reisekosten und so weiter gerne von PR-Agenturen, Plattenfirmen und so weiter zahlen lässt). Hier im Blog ist so ein Gebaren neu, und ich kennzeichne es mit heller Freude:

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Laolu Senbanjo

Laolu Senbanjo
kommt aus Nigeria,
zog 2013 nach New York,
wohnt in Ditmas Park (Brooklyn)
und schöpft Inspiration aus der Gedankenwelt und den Ritualen der Yoruba.
(Foto Courtesy of Belvedere Vodka)

Es sieht so aus, als hätte Laolu Senbanjo binnen kürzester Zeit den amerikanischen Traum erfüllt – er ist aber gar kein Amerikaner, und wie ihr im Interview sehen werdet, ist das ein wichtiger Teil seiner Kunst und seiner Botschaft. Seine Familie in Nigeria hatte eine klare Vision für diesen Sohn: Er sollte Anwalt werden wie der Papa und viele andere Familienmitglieder auch. Dass Laolu ihnen schon als Junge buchstäblich seine künstlerische Ader zeigte, war einerlei. Aus Frustration darüber, dass sein Bruder die Muster nicht sehen konnte, die Laolu ihm im Marmorboden zu Hause zu zeigen versuchte, malte er sie mit Filzstift nach – und bekam Ärger mit den Eltern. Das war nicht der letzte Krach über Kunst.

Inspiriert von den Erzählungen seiner Oma über Yoruba-Traditionen malte Laolu Muster über Muster. Im zweiten Semester an der Uni entschied er: Das soll mein Beruf sein. Ich bin Künstler! Die komplette Familie war entsetzt.

Sein Vater kutschierte ihn sogar zu Slums, in denen Künstler und Kunsthandwerker lebten, und malte ihm ein düsteres Bild vom Hungertuch – eine Vorstellung, die auch New Yorkern vertraut ist, wovon Laolu aber noch nichts ahnte. Er ließ sich überzeugen, wenigstens das Studium zu beenden, und arbeitete danach einige Jahre als Anwalt mit Fokus auf Menschenrecht, später sogar im Auftrag der nigerianischen Kommission für Menschenrechte. Er sah Unrecht. Und er sah immer noch überall Muster.

Mit seinem Ersparten eröffnete Laolu Senbanjo eine Galerie. Dort fand er einige Gleichgesinnte, seine Eltern allerdings verstanden nicht ansatzweise, was er da eigentlich machte. Eine Sackgasse tat sich auf. Immerhin brachte ihm seine Malerei Kontakte zur Amerikanischen Botschaft ein, und ein Visum öffnete Laolu schließlich die Tür für einen Aufenthalt in den USA. Dort weitete er sein Schaffen aus, er machte Musik und malte auf alles, was nicht weglaufen konnte, inklusive Schuhe (viele Bilder findet ihr auf seiner Website).

Laolu Senbanjo AfromystericsSchließlich verband er seine Kunst noch enger mit Yoruba-Ritualen und -Konzepten – und malte auf Gesichter. Daraus entstand “The Sacred Art of the Ori”, und was dahintersteckt, erfahrt ihr in Laolus TED Talk.

Inzwischen sind seine “Afromysterics” – das Geheimnis afrikanischer Denkmuster – in der Markenwelt angekommen. Turnschuhe, Parfümflasche, Wodkaflasche, Musikvideos, überall folgen Linien einer Geschichte, verbinden sich Muster mit Gesichtern und Gegenständen. Und so kommt es, dass meine knappe Viertelstunde mit Laolu Senbanjo im Stehen und Hocken stattfindet, während Laolu ein Modell namens Esther für eine Produktpräsentationsfeier am Abend bemalt.

Laolu, warum hast du dir New York als Ziel ausgesucht, als du Nigeria verlassen hast?

Ich habe es mir gar nicht ausgesucht, ich war eigentlich nur zu Besuch. Ich wohnte in New Jersey, fuhr mal nach New York und war hin und weg von den Geschäften mit Künstlerbedarf. Was ich mit all diesen Materialien anstellen könnte! Dann entdeckte ich in Brooklyn Künstler und sah, was die machten, und dachte: Hier kann ich leben. Außerdem sah ich dort viele Yoruba aus Nigeria, woher ich stamme. In Brooklyn gab es überall nigerianisches Essen. Ich dachte mir, dass ich dort leben könnte, ohne allzugroßes Heimweh zu kriegen: Ich bekomme das Essen, die Leute, ich kann dort Kunst schaffen. Deshalb blieb ich in New York. Es ist ein fantastischer Treffpunkt, jeder kommt dort irgendwoher. Sie (zeigt auf Esther) ist auch Nigerianerin, sie wohnt in Brooklyn.

Mal abgesehen von der Kultur, mit der du dich gleich zu Hause fühltest: Was hat dich überrascht, als du nach Brooklyn gezogen bist?

Das Kreativitätsniveau hier ist Irrsinn. Obendrein empfangen einen die Leute so freundlich. Ich war überrascht, wie schnell Leute sich meiner Kunst zuwandten und sich dafür erwärmten, was ich mache. Das war eine Überraschung, weil meiner Kunst zu Hause nicht sonderlich viele Leute so viel, nun ja: Liebe entgegenbrachten. Ich kannte bislang keine Leute, die mir damit weiterhelfen wollten. Das fand ich faszinierend. Und dann die Chancen hier: Es spielte keine Rolle, dass ich aus Nigeria stammte. Dass ich von anderswo hergekommen war, war kein Grund, mir keinen Auftrag zu geben. Stattdessen steht hier die Frage im Mittelpunkt: Was hast du zu bieten? Es geht um dein Talent. Das mag ich an New York. Und dann die Chance zu haben, mit einer Marke wie Bulgari zu arbeiten, Entschuldigung: mit Belverede (lacht). Für Bulgari hab ich übrigens auch eine Flasche gemacht.

Viele Marken möchten mit dir arbeiten. Wobei würdest du nein sagen?

Belvedere Vodka Laolu Senbanjo Rodney Williams

Als ich Belvedere-CEO Rodney Williams um dieses Detailfoto bitte, sagt er: “Als Handmodell habe ich auch noch nie gearbeitet!”

Ich würde ablehnen, wenn die Marke nicht mit meinen Überzeugungen vereinbar ist. Bei dieser Marke ist für mich wichtig: Belvedere gibt der Gesellschaft etwas zurück, indem sie die Organisation (RED) finanziell unterstützt, die Menschen mit HIV/Aids hilft. Und zwar nicht bloß irgendwo, sondern in meinem Heimatland Nigeria. Das ist ein großer Gewinn: Mach Kunst, bring sie auf eine Flasche, und der Erlös hilft Menschen.

Noch mal zurück zu deinen Erfahrungen in New York: Ich wette, die meisten denken, du seist Amerikaner, wenn sie dich sehen. Ist das cool oder nervt dich das?

Also … das ist komplex. Ehe ich nach Amerika kam, hat mich nie jemand schwarz genannt. Doch in Amerika bist du wegen deiner Haut automatisch ein Schwarzer. Deshalb habe ich den Leuten am Anfang ständig gesagt: Nein, ich bin kein Schwarzer, ich bin Nigerianer! Und ich fragte mich: Warum sollte mir diese Farbe meine Identität nehmen? Aber wenn du in Amerika lebst, bist du schwarz, ob es dir passt oder nicht. Die Polizisten auf der Straße schauen dich nicht an und sagen: Ach so, du bist Nigerianer. Die fragen überhaupt nichts, die entscheiden. Eine Kugel fragt nicht, ob du schwarz oder weiß bist, Nigerianer oder Schwarzer. In diesem Land bist du schwarz. Denn die Wahrheit ist: Viele Menschen hier würden dich nie erst mal fragen, wer du bist, oder dir einen Vertrauensvorschuss geben (nach dem Grundsatz „im Zweifel für den Angeklagten“). Als in Amerika lebender Künstler spreche ich deshalb über soziale Probleme, über Black Lives Matter, darüber, wie Menschen hier getötet werden, über Schwarze. Das liegt mir sehr am Herzen.

Viele Amerikaner scheinen erstaunlich wenig mit ihrer Geschichte verbunden zu sein, zum Beispiel dem Teil, wie Afroamerikaner ins Land kamen. Alles, was du machst, scheint dagegen eng mit der Geschichte des Ortes verbunden, von dem du stammst. Sprichst du auch gern über die Verbindung zur eigenen Herkunft?

Viele der Menschen hier sind die Kinder der Kinder der Nachkommen von Sklaven, und manche versuchen einfach, von dem Trauma wegzukommen, das mit der Sklaverei einhergeht. Heute noch bekommen wir die Folgen zu spüren, ich meine, schau zum Beispiel auf die Polizeigewalt. Ich versuche, eine Brücke zwischen Afroamerikanern und Afrikanern auf dem Kontinent zu sein und die Menschen mit ihren Wurzeln zu verbinden, über die Kultur und die Kunst. Dabei erzähle ich den Leuten auch, woher ich komme, denn Westafrika ist ganz schön groß. Ich spreche über Yoruba, so begrenzt das auch ist. Und wenn du nun auf die Belvedere-Flasche schaust: Die wird überall auf der Welt zu sehen sein. Wenn die Leute das sehen, spüren sie die Verbindung: Das ist afrikanisch, dieser Künstler ist aus Nigeria. Sie sehen, dass ihre Kultur und ihre Kunst auf der Weltbühne vertreten ist. Und diese Sichtbarkeit, diese Repräsentation ist äußerst wichtig.

Laolu Senbanjo

Wenn mich jemand fragt, woher ich komme, und ich sage „Europa“, dann fragen sie nach dem Land, und sie haben ziemlich klare Vorstellungen von Deutschland. Wenn sie dich fragen …

Dann sagen sie so etwas wie: Oh, Afrika, ich war letzte Woche in Nairobi! Und ich muss dann erklären: Das hat mir mir nichts zu tun, ich bin aus Nigeria.

Was wäre denn nötig, damit mehr Amerikaner verstehen, dass Afrika ein ganzer Kontinent mit vielen verschiedenen Ländern und Kulturen ist?

Reisen. Ins Flugzeug steigen und hinfliegen, statt sich einzelne Facetten von Afrika herauszupicken, wie zum Beispiel Kleidung oder so. Sie müssen verschiedene Länder in Afrika besuchen, die Kultur erleben, das Essen essen, die Sprache lernen, die Probleme verstehen, mit denen Menschen in Afrika sich herumschlagen. Und nicht nur einen verengten Blick aus dem entwickeln, was man im Fernsehen gesehen hat. Das ist oft falsch.

In New York finden viele Leute, dass Essen die Kulturen verbindet. Findest du, auf diese Art kann man hier auch ein bisschen nach Nigeria reisen?

Zu einem gewissen Grad schon. Aber es ist nicht dasselbe. Das Essen hier ist anders als das Essen zu Hause, das kann ich dir garantieren (lacht).

Was fehlt denn?

Ein Großteil des Essens zu Hause beruht auf Bio-Lebensmitteln. Das schmeckt anders. Und wenn du es hier zubereitest … Wenn du in den Tropen kochst, schmeckt es einfach anders. Es ist dieselbe Zubereitung, wahrscheinlich auch dieselben Zutaten, aber in der heißen, schwülen Sonne schmeckt es anders. Wenn ich in Lagos bin, esse ich immer warm und sehr scharf. Das geht hier nicht, weil nicht jeder dermaßen scharfes Essen mag. Es ist einfach nicht dasselbe.

Mehr über Laolu Senbanjo findet ihr auf seiner Website.

Und hier findet ihr mehr Interviews mit Menschen aus New York.

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