In New York wimmelt es vor Barrikaden. Nicht nur die vielen Baugerüste machen jeden Weg im New York-Tempo zum unbeabsichtigten Hindernisparcour. Nein, es steht auch was ganz absichtlich im Weg. Nachdem ich eine dieser anderen Hürden entdeckt habe, ist New York nie mehr dieselbe Stadt. Ich kann nicht mehr übersehen, was mir einmal ins Bewusstsein vordrang. Plötzlich sehe ich sie überall, und zwar als das, was sie sind: Barrikaden. Meine Stadt, die Trutzburg?

Union Square Barrikaden

Offener Platz? Schaut mal am unteren Rand. Das ist übrigens der Union Square an einem eisigen Morgen.

Mächtige Betonblöcke mit höchst legalem “NYPD”-Graffiti begleiten mich schon lange. Vor acht Jahren entdeckte ich sie vor der Tennismeisterschaft und dachte mir: Ach so geht das also, wenn nicht alle auf einmal die Kassen stürmen sollen. Immer schön eins nach dem anderen. Die Polemikerin in mir fügt teuflisch zischend hinzu: Sonst kommt die digitale Gesichtserkennung nicht hinterher.

Das ist natürlich Quatsch. Damals war Gesichtserkennung der Marke China noch Science Fiction.

NYPD Barrikade US Open 2010

Die heutigen Hindernisse stehen da als Grenze. Bis hierher und nicht weiter! Kein Auto kommt an ihnen vorbei, nicht versehentlich und nicht absichtlich. Hinter ihnen sind Fußgänger sicher vor Autofahrern.

Grand Central Terminal

Am Times Square kämmen die Barrikadenpoller obendrein noch Touristenhorden in etwas leichter navigierbare Reihen. Als ein psychisch Kranker sich im Mai 2017 gedrängt sieht (er hört Stimmen), Menschen zu überfahren, viele Menschen, hat er keine Chance. Poller trennen ihn von möglichen Opfern.

Bis er das Ende der Gefahrenzone findet. Ein Teenager stirbt, 20 Menschen sind verletzt, schließlich stoppt ein Poller den Fahrer. Die Barrikaden funktionieren also durchaus, aber sie säumen längst nicht jeden Gehsteig in New York. Wen – und was – schützen die eigentlich?

Union Square Blöcke Barrikaden

Am Union Square erscheinen die dicken Blöcke und gigantischen Blumenkübel über Nacht. Der Platz ist ein beliebter Treffpunkt, dort warten Schachspieler auf Gegner, ruhen sich Touristen aus, protestieren jede Woche aufs Neue Bürger gegen den Krieg im Jemen. Ich hätte gern ein New York, in dem dicke Blöcke das Gratisherumsitzen schützen, die Redefreiheit, die Versammlungsfreiheit, die Demokratie. Aber ich habe Zweifel.

Die Barrikaden tauchen am Union Square auf, als der Weihnachtsmarktveranstalter seine Buden aufbaut. Wegen Berlin vielleicht. Oder wegen business?

Barrikaden Herald Square

Die Idee scheint bestechend einfach und diskret: Unauffällig gestaltete Hindernisse halten Autos auf, ehe sie zu Todesfallen oder Waffen werden. Vor einer Weile erst habe ich darüber gestaunt, was es so alles gibt, das unbemerkt schlimme Dinge vereiteln kann (lest mal Sicherheit im Eimer).

Ist der Präsident in der Stadt, sperren übrigens mit Sand gefüllte Müllwagen die Straße ab. Das ist gleichzeitig ein prima Sichtschutz gegen Demonstranten, die dem Präsidenten so lästig sind, und für Leute, die unerkannt beim fundraiser dinner ihre Beziehungen spielen lassen wollen.

Wenn Menschen überfahren werden, kommt die Polizei zu spät; sie kann ja nicht jedes Auto wegballern, das die Straße entlangfährt, nur weil dessen Fahrer möglicherweise gleich mal einen Fehler macht. Oder Mordgelüste hegt. Oder doch?

Im Namen der Bekämpfung einer neuen Terrormethode dürfen Polizisten in mehreren US-Städten – inklusive New York – neuerdings auf fahrende Autos schießen mit der Begründung, sie könnten damit “Schlimmeres” verhindern. Jahrelang war das verboten, jetzt geht’s rückwärts.

Die Designlösung hat die New Yorker Stadtverwaltung aber offenbar überzeugt: Zu Beginn des Jahres kündigte sie an, 1500 Poller gegen vehicle attacks aufzustellen – zum vieldiskutierten Kostenpunkt von 50 Millionen Dollar.

Blumenkübel Flatiron Building

Kein Wunder, dass Stahlpoller und Barrikaden aus Beton (mit oder ohne Blumendeko) nicht überall stehen, dabei könnten sie besonders auf Fußgängerübergängen beste Arbeit leisten – erst im März überfuhr eine Frau mit mehreren Strafmandaten wegen überhöhter Geschwindigkeit auf dem Kerbholz eine rote Ampel, zwei Kinder und verletzte eine Schwangere, die später ihr Baby verlor.

Geht ja nicht, da alles mit Blümchen vollzustellen. Dann könnten die Autos schließlich nicht mehr durch New York gurken. Oh, prima: Eine autofreie Stadt wäre komplett sicher vor Autounfällen und Autoanschlägen. An dieses Maß an Schutz kommen Stahlbetonberge nicht ran. Kann Sicherheit deshalb nun nicht mehr das Motiv für die Barrikaden sein?

Immer öfter sehe ich uniformierte, behelmte Polizisten mit Maschinengewehren irgendwo herumstehen oder -gehen. Eine Übung vielleicht, denke ich dann. Oder da ist grad ein Würdenträger vom Panzerauto zum Galadinner gelaufen. Oder die zeigen einfach Präsenz. Damit die Bösen sich nix trauen. Oder das soll dazu führen, dass ich denke: Oh, jetzt fühle ich mich aber bestens beschützt. Moment mal: Soll ich etwa nicht in Sicherheit sein, sondern mich nur so fühlen?

Klappt beides nicht. Ein Maschinengewehr kommt in meinem Hirn nicht als Willkommensgruß an, selbst wenn dessen Träger nicht nervös aussieht. Irgendwas stimmt da vielleicht nicht, denke ich unweigerlich, und wenn, willst du da nicht dabeisein. Mit den nicht-aggressiven Maßnahmen ist mir leichter ums Herz. Erst mal.

Blumenkübel Verkehr Hürden

Blumenkübel schießen nicht, sie sehen auch nicht furchterregend aus. Einzeln jedenfalls. Je mehr dieser Hürden ich sehe, desto mehr frage ich mich, ob das nötig ist. Schweben New Yorkerinnen ständig in Gefahr, bedroht von unbekanntem Bösen? In der Masse macht mir die noch so niedlich dekorierte Barrikade irgendwann Angst.

Angst ist aber ein schlechter Ratgeber. Und eine bewährte Grundlage, um die Abschaffung von Bürgerrechten zu rechtfertigen.