Endlich. Endlich darf ich in die riesige Müllwagen-Garage in East Harlem, die den offiziellen Namen MN 11 – oder auch DSNY Manhattan 11 Garage – trägt und gerade Schichtende hat. Ein fröhlicher Müllmann in Uniform gibt mir an der wenig einladenden Stahltür quasi die Klinke in die Hand und zwinkert mir zu. Er weiß, dass Leute wie ich dort normalerweise nichts zu suchen haben – aber auch, dass heute Besuch eingeladen ist.

Meine Ehrenamts-Uniform für Open House New York plus die passende Begleitung der städtischen Müllabfuhr DSNY öffnen mir die Tür zum Quartier der Leute, die einem der gefährlichsten Jobs der USA nachgehen. Mein Traumziel könnt ihr jetzt so lange für bekloppt erklären, bis ihr gesehen habt, was es dort zu entdecken gibt. Spoiler alert: Müll. Aber ganz besonders schönen Müll.

Müllmann Sammlung New York

Es ist kaum zu fassen, was alles im Müll landet. New YorkerInnen ziehen häufig um, sie sind mit der Uni fertig oder gehen ins Altenheim, werfen Haushalte zusammen oder dividieren sie auseinander, wachsen aus dem Spielzeugalter heraus oder sterben, schwören plötzlich auf Entrümpel-Bibeln oder haben ihren Krempel satt. Und dann fliegt jede Menge Zeug aus der Bude und wartet in schwarze Tüten verpackt am Gehsteig auf die Müllabfuhr. Aus den Augen, aus dem Sinn. Doch ein Augenpaar und ein siebter Sinn machen da nicht mit.

Der New Yorker Müllmann Nelson Molina hat immer wieder Sachen aus dem Müll gezogen, die er einfach nicht in die Müllpresse werfen mochte. Aber Mitnehmen ist nicht. New Yorker Müllmänner dürfen sich am Müll von Rechts wegen nicht bereichern – was sie finden, gehört der Müllabfuhr, also der Stadt. 34 Jahre lang arbeitete Molina für das Department of Sanitation, und zunächst landeten seine Fundstücke im Depot, am Rande des Umkleideraums neben den Müllautos.

Doch Nelson Molina sammelt nicht einfach nur Müll, der zum Wegwerfen zu schade ist. Er hat auch ein Händchen dafür, die Sachen zu gruppieren und zu ordnen.

Treasure in the Trash Museum

Treasure in the Trash Museum

Treasure in the Trash Museum

Über seine gesamte Karriere hinweg dokumentiert Molina, wie New YorkerInnen leben. Und Müll erzählt Zeitgeschichte.

Treasure in the Trash Beepers

Molina nennt das Ganze “Treasure in the Trash” (Schätze aus dem Müll). Der Name passt: KollegInnen bescheinigen Molina einen siebten Sinn für derartige Schätze. Viele von ihnen bekommt die Müllabfuhr schließlich gar nicht zu sehen, da der New Yorker Restmüll in undurchsichtigen Säcken verpackt ist – und die großen Müllwagen stets im Weg und entsprechend unter großem Zeitdruck stehen. Molina sagt, die Form der Müllsäcke hilft ihm beim Entdecken ebenso wie ihr Klang – offenbar kann er nach vielen Jahren Übung das Geschepper von Schraubgläsern und dem von schönen Vasen unterscheiden.

Müll Sammlung Nelson Molina

Bald wird die Molina-Sammlung zur Legende unter Müllmännern. Sie heißt unter InsiderInnen nun auch Trash Museum, und er bekommt “Spenden” von anderen Bezirken, von denen aber nur die besten gnädig Einlass finden.

Treasure in the Trash Müllmuseum New York

Der meiste Müll in dieser Sammlung stammt von Molinas Route – und den Haushalten aus East Harlem zwischen der 96th und 106th Street zwischen First und Fifth Avenue in Manhattan. Der begrenzte Radius rückt die Ausstellungsstücke in die Nähe von archäologischen Artefakten, und er bleibt eng. Nur Molinas Müllmuseum breitet sich im Laufe seiner Karriere aus. Heute ist ein Großteil des Obergeschosses der Müllwagen-Garage MN 11 von Fundstücken besetzt.

Baseball Trash Museum

Buddha-Figuren und Brillen, Schreibmaschinen und Perlenketten, Uni-Diplome und Gitarren, Stuhlreihen und Superhelden: Was Nelson Molina 1981 begann, ist in 34 Jahren zu zehntausenden Objekten gewachsen.

Im Jahr 2015 hat der mit Ehrungen dekorierte Müllmann seinen Dienstabschied gefeiert. Noch immer kommt er zweimal pro Woche zu Besuch … und putzt Staub. Durch stets ausgebuchte Touren während des jährlich im Oktober stattfindenden Open House New York bekanntgeworden, erlaubt die DSNY inzwischen fast jeden Monat Führungen.

Treasure in the Trash Museum

Doch das alles wirkt nur wie eine gewachsene Institution. Ewig wird Molina sich nicht als Kurator betätigen können, und sein Treasure in the Trash Museum wird bald ein neues Zuhause brauchen. Die Müllsammlung konnte sich überhaupt nur deshalb so über das Obergeschoss der Garage ausbreiten, weil die Bausubstanz des alten Ziegelbau für die schweren Müllautos zu marode geworden war. Das schaffte Platz, startete aber auch eine tickende Uhr. Müllautos stehen nur noch im Erdgeschoss, und das Gebäude steht vor dem Abriss.

Molina träumt von einem eigenen Museum. Und so sehr er seine Sammlung liebt, immer wieder neu arrangiert und poliert, so klar ist seine Botschaft: “Wir werfen zuviel weg”, sagt er in so gut wie jedem Interview. Sein Müllmuseum zeigt das ganz hervorragend, finde ich.

Müll Sammlung Nelson Molina

Vielleicht bringt dieser Umstand der Sammlung ja eine neue Heimat ein. Schließlich hat sich die Stadt New York der Devise “Zero Waste” verschrieben und meint damit: Bis zum Jahr 2030 soll kein Restmüll mehr auf Lastkähnen und LKWs zu Deponien auf dem Festland gebracht werden – auf unseren Inseln New Yorks ist dafür eh schon lange kein Platz mehr.

Wenn ihr Nelson Molinas Treasure in the Trash Museum besuchen wollt: Das DSNY arbeitet mit dem New York Adventure Club zusammen, der etwa einmal im Monat eine kostenpflichtige Tour anbietet.

Was es heißt, einen New Yorker Müllwagen zu fahren und wohin der Müll verschwindet, erfahrt ihr in meinem Interview mit der Forscherin und Ex-Müllfrau Robin Nagle.

Mehr Reisetipps und Geschichten aus der irrsten Stadt der Welt? Lass dir mit der Wochenschau jeden Sonntag das Neueste aus New York schicken!