Wer die Feste feiert, wie sie fallen, hat am Sonntag möglicherweise eine Kerze angezündet – entweder einer christlichen oder einer jüdischen Tradition folgend. Der deutsche Zauber mit den Adventskränzen zählt nicht zu den Exportschlagern, amerikanische Familien kennen diesen Brauch eher nicht. Aber an der Hanukkiah haben viele New Yorker Familien sehr wohl am Sonntag eine Kerze angezündet, dazu fröhlich gegessen, getanzt und gespielt, und das nicht nur im heimischen Wohnzimmer.

So ähnlich wie das öffentliche Weihnachtsbaumkerzenanzünden (hallo, Rockefeller Christmas Tree!) hat das Anzünden der Kerzen zu Hanukkah in New York einen volksfestartigen Charakter angenommen: Dazu gibt es gigantische Designs, einen Guinness-Rekord – und zuletzt auch noch rekordverdächtige Haarspalterei. Von diesen lustigen Wirrungen erzähle ich euch in diesem Jahr, gerade weil die achttägige Feier des jüdischen Lichterfests diesmal ungewöhnlich ernst begonnen hat.

Wenige Wochen ist es her, dass sich in New York wie in vielen anderen US-Städten die Menschen zu Mahnwachen versammelten. In Philadelphia war Ende Oktober ein bis an die Zähne bewaffneter Mann in eine Synagoge eingedrungen, hatte dort antisemitische Äußerungen gerufen und 11 Menschen getötet. In Brooklyn musste eine Veranstaltung in einem jüdischen Gemeindezentrum abgesagt werden, nachdem in dem nicht leicht zugänglichen Gebäude antisemitische Symbole gefunden wurden, und erst in der vergangenen Woche fand eine Professorin der Columbia University ihr Büro und den Flur davor mit Hakenkreuzen beschmiert vor. Sie zündete am Sonntag die erste Kerze an der Hanukkiah auf dem Campus an.

Hanukkiah? Hanukkah? Menorah?

Denn dieses Jahr fielen der erste Advent und die erste Hanukkah-Nacht auf denselben Tag (in New York sagen wir Hanukkah, und wie ich lese, sagt man in Deutschland Chanukka – ich bleibe hier mal bei der englischen Schreibweise). Das jüdische Lichterfest erinnert an ein Wunder, das den heiligen Schriften dieser Religion zufolge während eines Bürgerkriegs geschah. Da eroberten Aufständische den Tempel von Jerusalem zurück, und dort sollten natürlich dann auch die ewigen Kerzen der Menorah wieder brennen. Obwohl nur genug geweihtes Öl für einen Tag da war, brannten die Kerzen wundersamer Weise acht Tage lang – so lange, wie die Herstellung neuen geweihten Öls dauert.

Zu Hanukkah werden als Erinnerung an das Wunder acht Tage lang jeden Abend eine weitere Kerze angezündet, und zwar an einem speziellen Leuchter, der Hanukkiah. Anders als die siebenarmige Menorah hat die Hanukkiah (meist) neun Kerzen: Je eine für jeden Hanukkah-Abend plus den “Diener” (shamash) in der Mitte, mit dessen Licht die anderen angezündet werden. Der wird gleich noch eine entscheidende Rolle spielen. In der Geschichte nennen die Leute die beteiligten Hanukkiahs immer Menorah – vielleicht wegen des höheren Bekanntheitsgrades dieses Begriffs. Das mach ich dann einfach mal mit.

Riesig mit Obergrenze: Die größte Menorah der Welt

Ein New Yorker Rabbi namens Shmuel Butman wollte dem Fest mehr Aufmerksamkeit verschaffen und kam auf die Idee, einen riesigen Kerzenleuchter auf einen öffentlichen Platz zu stellen.

Größte Menorah der Welt

1977 war es erstmals soweit, und auf dem Bild bekommt ihr einen Eindruck, wie groß diese Menorah auf dem Grand Army Plaza in Manhattan ist. Sie ist so groß, wie es nur geht! 20 Ellen, umgerechnet 32 Fuß (9,75m) darf eine Menorah nach jüdischen Regeln messen, höher nicht. Die Begründung: Die Leute sollen sich nicht den Kopf verrenken müssen, um das Licht zu sehen. Und ja, das könnt ihr gern auch im übertragenen Sinne verstehen.

An dieses Maß hielt sich auch ein Rabbi-Kollege, Shimon Hecht, der 1985 eine ebenso riesige Hanukkiah in Brooklyn aufstellte. Praktischerweise gibt es dort auch einen Grand Army Plaza. Wollte da etwa jemand Verwirrung stiften? Ein amerikanischer Höher-Schneller-Weiter-Wettbewerb ist angesichts der Obergrenze ja ausgeschlossen. Sollte man meinen. Doch mit einem Trick konnte der neue Kerzenleuchter den anderen Riesen in Manhattan überholen: Seine shamash, die mittlere Kerze, war etwa 15 Zentimeter höher.

In ganz anderem Zusammenhang las ich neulich mal, dass Ehrgeiz sich in positive Bahnen lenken lässt, wenn er sich an etwas bindet, das letztlich alle weiterbringt. Also zum Beispiel ein Dauerwettkampf in Freundlichkeit. Kann man so einen Wettbewerb auch nutzen, um das Licht und die Botschaft von Freiheit in die Welt hinauszutragen? Was meint ihr?

In New York war davon erst mal nix zu spüren. Die beiden Rabbiner stritten um den Titel der größten Menorah der Welt. Und so kam es, dass es jahrelang zu Hanukkah hieß: “Hier können Sie zum Lichteranzünden der größten Menorah der Welt gehen” – und dann zwei Orte genannt wurden. Das hätte vielleicht gutgehen können, ging es aber nicht.

Wo der Streit um den größten Leuchter endet

Rabbi Butman holte das Guinness Buch der Rekorde nach Manhattan. 2006 bekam seine Menorah ihren Eintrag. In Brooklyn sammelten sich die Leute trotzdem unbekümmert vor ihrer größten Menorah der Welt. Sollen sie reden, da drüben in Manhattan, wer hatte denn die höhere Kerze?

Wenn ich das Foto da oben anschaue, frage ich mich, ob es da eine Verlängerung gegeben hat … Aber so oder so: Der Streit endete erst 2016 vor einem gemeindeinternen Tribunal. Die Entscheidung fiel nicht mit dem Zentimetermaß (das gibt’s ja hier eh nicht), sondern mit Blick auf den Kalender: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Rabbi Butman darf seine Menorah als die größte der Welt bezeichnen, und Rabbi Hecht soll sich für die Konkurrenz in Brooklyn – für die er sich die Website mit dem passenden Namen gesichert hatte – etwas anderes ausdenken.

Der Rabbi mit der Menorah am Grand Army Plaza in Brooklyn nahm das Urteil gelassen, jedenfalls in der Öffentlichkeit. Die Website hat er behalten – aber angepasst: Der unterlegene Riese heißt dort jetzt “die größte Menorah … von Brooklyn”.

In Brooklyn gibt es noch mehrere andere Riesenleuchter zu Hanukkah. Eine davon liegt gegenüber vom Rathaus des New Yorker Stadtbezirks – und deren Rabbi bezeichnet sie gern als die offizielle Menorah von Brooklyn, weil die örtlichen PolitikerInnen es nicht weit haben und entsprechend leicht bei der Zeremonie anwesend sein können. Weiter draußen in Coney Island nennen sie ihre (kleinere) Hanukkiah fröhlich “die größte Menorah von Süd-Brooklyn”, und vor meinem geistigen Auge sehe ich Augenzwinkern.

Über Konkurrenz aus Übersee hingegen können all die New Yorker Hanukkah-Leuchter nur den Kopf schütteln (können sie gar nicht, die haben ja weder Köpfe noch Muskeln, Mensch!): In Indonesien wurde im Jahr 2009 eine knapp 19 Meter hohe Menorah aufgestellt – aber die, so Rabbi Butman gegenüber der “New York Times”, sei nicht koscher.

Orrr, nu vertragt euch mal schön! Mein Lieblings-Hanukkah-Lied heißt übrigens “A Candle for Peace” (von Lois Brownsey und Marti Lynn Lantz).

The World’s Largest Menorah, Grand Army Plaza, Manhattan (Fifth Avenue Ecke 59th Street), 2. bis 9. Dezember 2018

Brooklyn’s Largest Menorah, Grand Army Plaza, Brooklyn (am Prospect Park), 2. bis 9. Dezember 2018