“Europa ist auch kein Paradies”, sage ich und fühle mich hilflos. Da kann ich noch so viele Artikel mit Arbeitslosenquoten, College-Schuldenbergen und Mindestlöhnen lesen, es ist jedes Mal etwas anderes, wenn einer einfach mal aus seinem Alltag erzählt. Bei einer Podiumsdiskussion mit dem Titel “Minimum Rage” (Mindestwut; das englische Wort für Mindestlohn ist “minimum wage”) erfahre ich schon so einige gruselige Details aus der Welt derer, die sich nach dem Uni-Abschluss in Jobs wiederfinden, die sie für eine Übergangslösung halten, und dann entdecken, dass sie froh sein müssen, überhaupt so einen Job zu haben. Als Kellnerin oder als Verkäufer.

Und während eine Minderheit die Freiheit besingt, die es bringt, als lustiger Freelancer kurzfristig einsetzbar zu sein und jeden Tag flexibel zu gestalten, ist dieselbe Unberechenbarkeit für viele New Yorker – ob mit oder ohne Uniabschluss – ein Gefängnis. In solchen Mindestlohnjobs, ob nun in einem kleinen Restaurant oder bei Starbucks, wird selten lange geplant und oft mit Bereitschaftsdienst gearbeitet.

In größeren Firmen ist es ganz normal, dass die Schichten per Computer vergeben werden – immer nur für eine Woche, man erfährt es nur wenige Tage im Voraus, und egal wie viele Zeiten der Verfügbarkeit man angegeben hat, was in einer Woche 25 Stunden bezahlte Arbeit waren, können in der nächsten Woche schon nur 5 sein. Das macht es nicht einfacher, die Miete zusammenzukriegen. Erst recht nicht, den oder die anderen Jobs zu organisieren, die man braucht, um über die Runden zu kommen. Als Nachhilfe oder Yogalehrerin.

Naoki und Omar erzählen mir von Facebook-Seiten, auf denen die Kollegen aus dem hippen Klamottenladen mit der ohrenbetäubend lauten Musik verzweifelt Schicht-Tausch organisieren. Was auch immer dort auftaucht, ist binnen Minuten vergeben. Und Talisa erzählt von einer Kollegin im Buchladen, die gefeuert wurde, weil sie ihre Arbeitszeiten abändern wollte – sie hatte begonnen, ihre kranke Mutter zu pflegen. Und dann schauen sie mich an und fragen: Stimmt es, dass es in Europa begrenzte Öffnungszeiten gibt, die das alles viel einfacher machen?