Ich komme mir vor wie eine Diebin, als ich mit dem schwarzen Sack über die Schulter geworfen die Straße entlang laufe. Dabei schleppe ich darin meine eigenen Sachen – weil meine Tasche weg ist.

Während meine Wäsche ihre Runden in der Maschine dreht, verlasse ich kurz den Waschsalon, um ein paar Besorgungen zu machen. Meine Wäschetasche lasse ich wie immer in einer entfernten Ecke stehen. Aber als ich die Wäsche aus dem Trockner holen möchte, ist die Tasche weg.

Nein, sie habe die Tasche nicht woandershin gestellt, sagt die Waschfrau, die mich schon seit Jahren kennt (ich weiß nicht, ob es ihr recht wäre, wenn ich einfach ihren Namen hier hinschreibe). Sie hat auch niemanden gesehen, der diese Tasche mitgenommen hätte. Aber vielleicht könne ich ja den alten Mann fragen, der fast die ganze Zeit hier herumsaß, wenn er noch nicht so weit weg ist. Er sieht kränklich aus und geht am Stock. Vorhin haben wir einander zugenickt.

Wir schauen nach draußen, und aufgeregt ruft sie: “Schau mal, das ist er doch da an der Bushaltestelle, oder?” Sie sagt auch irgendwas auf Spanisch zu den Leuten draußen. Ich gehe zu dem Mann, er kommt mir sogar entgegen, weil alle irgendwas rufen. Ich frage ihn, ob er jemanden gesehen hat, der meine Tasche genommen hat.

“Nein”, sagt er. “Mensch, das tut mir so leid, Mädchen!” Er kommt mit in den Waschsalon, spricht auch noch mit der Waschfrau und wiederholt, wie leid ich ihm tue. Dann schleicht er wieder zur Bushaltestelle, wo sein blauer Einkaufswagen steht.

Ich bin versucht, aufzugeben. Aber die wunderbare Waschsalonfrau reißt die Augen auf und sagt: “Du musst dir das Überwachungsvideo anschauen!” In Nullkommanix trotte ich hinter einem der anderen Mitarbeiter her, die immer alles mögliche reparieren und saubermachen, und lande erstmals im Büro des Waschsalonbesitzers. Der telefoniert und wird kurz eingeweiht, was das Problem ist.

Als er aufgelegt hat, erkläre ich ihm noch mal, was passiert ist, und zeige ihm auf den vier Live-Monitoren, welche Kameraeinstellung wir brauchen. Dann schauen wir zusammen Video. Und genau so, wie die das im Fernsehen auch immer machen, merken wir auf, spulen zurück, gucken, noch mal zurück, noch mal gucken – und es ist offensichtlich: Der alte Mann, der extra noch mal in den Waschsalon mitgekommen ist und mir so herzlich sein Mitgefühl ausgesprochen hat, ist der Taschendieb.

Ich rufe dann mal die Polizei und warte. Weil nichts Besseres zu tun ist, falte ich meine Wäsche und frage mich, wie ich die nun nach Hause kriegen soll. Muss ich wohl erst mal zurück und irgendwelche Behältnisse suchen. Dann kommt der Anruf, ich soll bitte rauskommen, die Polizei sei da (so geht das hier). Als ich dem Wachtmeister erkläre, dass ich den Dieb auf Video identifiziert habe und dass der da vorne, etwa 30 Meter weiter, sitzt, sagt der Herr Polizist: “Der ist HIER?”

Und sein Gesicht, als ich ihm erzähle, dass der Mann sogar mit mir gesprochen hat und hinter mir her zurück in den Waschsalon gegangen ist! Da dreht er sich zu seinem Kollegen an und sagt: “Hast du gehört?” Nun denn, wenigstens sorgt mein Fall für Unterhaltung.

Der Cop fragt mich (wie alle anderen auch), was in der Tasche gewesen sei. Nur mein Waschmittel, sage ich (und das löst immer so eine leise Erleichterung gepaart mit “na was stellt sie sich denn so an” aus; offenbar lassen alle anderen Taschen voller Computer, Geld und Smartphones in der Gegend herumliegen). Die beiden Cops steigen aus, fragen erst, ob ich mitkommen will, sagen mir dann aber, ich soll warten.

Ein LKW schiebt sich in die Sichtlinie. Auf den Flurfunk hin (schätze ich mal), den es hier auf der Straße gibt, ist auch der Waschsalonbesitzer wieder erschienen. Er schaut hinter mir mit der Waschfrau zusammen durch die Scheibe auf die Szene an der Bushaltestelle, soweit man sie von da aus sehen kann. Ich warte.

Der Polizist, der mit mir gesprochen hat, kommt zurück. Natürlich mit leeren Händen. Keine schwarz-rote Tasche, sagt er. Aber er will mich etwas fragen. Er zeigt mir ein Foto auf seinem Telefon. Ob das mein Waschmittel sei. Ja, sage ich, das linke. “Hab ich mir gedacht”, sagt der Cop. “Reicht für 100 Maschinen. So was haben solche Typen nicht.” Damit ist er also überführt. Ob ich das Waschmittel wiederhaben will? Ich sage ja. Wenigstens etwas.

Nach einer ganzen Weile kommt der Cop mit meinem Waschmittel wieder. Er sagt mir, dass es sehr klug von mir ist, keine Wertsachen in meinen Taschen herumliegen zu lassen. Außerdem berichtet er, der Mann habe jetzt zugegeben, meine Tasche geklaut zu haben, er habe sie auf die Straße geworfen, und irgendwer habe sie dann von da mitgenommen. Die sei nun wirklich weg.

Als ich einwerfe, dass ich keine Worte dafür finde, wie dieser alte Mann mit seiner Krücke das Kreuz und das schauspielerische Talent hatte, mir mehrfach sein Mitleid auszusprechen, sagt der Cop: “Ach, der ist schon sein Leben lang ein Straftäter. Der kann so was.”

Dann verrät er mir noch einige Dinge aus seinem Erfahrungsschatz und zwei Tipps. Er bemüht sich sehr nett. Ich bedanke mich und wünsche mir, dass alle New Yorker Polizisten so sind. Mit meinem Waschmittel in der Hand gehe ich in den Waschsalon und enttäusche die erwartungsvollen Blicke. “Die Tasche ist weg”, sage ich und versuche zu lächeln. Mir geht im Kopf herum, was der Cop mir erzählt hat. “Aber schaut mal: Ich habe mein Waschmittel wieder, und das ist noch fast voll!”

Dann sage ich, ich laufe jetzt mal nach Hause und … die Waschfrauen (haben sich verdoppelt, Schichtwechselzeit) schütteln den Kopf. Sie haben eine Plastiktüte für mich hervorgekramt. Ich packe meine Wäsche ein und bedanke mich zum bestimmt dritten Mal (nach deren Blick zu urteilen) für den Tipp mit dem Überwachungsvideo. Dann werfe ich mir den schwarzen Sack über die Schulter und schleppe alles nach Hause. Es sieht fast wie eine Beute aus.

 

Mülltüte mit Wäsche und Waschmittel

 

Update! – 14.01.2014

Die Tasche ist wieder da! Ich erfahre davon, als ich zufällig meiner Lieblings-Waschfrau begegne, praktischerweise ganz in der Nähe. Und tatsächlich, sie (also die Tasche) liegt im Waschsalon hinter dem Tresen. Sie sagen, die Cops hätten sie später vorbeigebracht. “Endlich mal Leute, die ihren Job erledigen”, strahlt mich die Waschfrau an, als sie mir das Teil herüberreicht. Und ich sollte die Tasche lieber erst mal waschen, ehe ich da etwas hineinstecke. Wo sie recht hat, hat sie recht.