Mit diesem Text mache ich mit bei der Blogtour “Deutschlandreise” – mehr darüber zum Schluss!
Wer (länger) im Ausland lebt, versteht sich selbst immer besser – weil dieses Leben immer wieder zum Nachdenken über die kulturellen Werte von Herkunftsland und Wahlheimat zwingt bringt. Das ist das Ergebnis einer im März 2018 veröffentlichten Studie mehrerer Wirtschaftswissenschaftler. Und ihr glaubt ja gar nicht, wie erstaunt ich während meiner Anfangszeit in New York darüber war, dass ich viel weniger über “die Amis” nachdachte als darüber, was eigentlich Deutschsein bedeutet.
Das mag daran liegen, dass die meisten Menschen in New York irgendetwas im Sinn haben, das für sie German ist – und damit nicht hinterm Berg halten. Ich erzähle euch jetzt mal, was in New York als typisch Deutsch vermarktet wird. Ihr werdet euch noch wundern.
Am Rande der Steuben Parade kann man im September mit schwarzrotgoldenen Fähnchen winken oder vergeblich auf etwas warten, das sich wie zu Hause anfühlt. Beim großen Fest der Deutschen in New York sieht man zum Beispiel Bier, Marschkapellen, Fußballtrikots, Dirndl, mindestens einen Trabbi, Volkstanz und Kirmestechno (glaubt ihr nicht? Einmal bin ich extra hin, um dort zu filmen). Und hinterher gibt’s Oktoberfest und lecker Fleisch. Die berühmte Internationalität in New York funktioniert schließlich vor allem über die Küche. Liebe, Magen, Katerfrühstück.
Ist noch gar nicht so lange her, da flüsterten sie: Du musst nach Yorkville, da kannst du Deutsch essen! Ahnungslos ließ ich mich mitschleifen ins Heidelberg, wo es knackwurst und schnaps gab und an den Klos “Herren”- und “Damen”-Schilder die Kundschaft mit einer 50:50-Chance ringen ließen. Was ich allerdings noch nicht ahnte, als plötzlich ein New Yorker von mir wissen wollte, was denn wohl gentlemen auf Deutsch heißt.
Früher einmal gab es um die 86th Street auf der Upper East Side jede Menge Läden deutscher Einwanderer, und dieser Ruf der Gegend hält sich unter Anderswohnenden hartnäckig. Aber viel ist da nicht mehr. Nur gleich neben dem Heidelberg: Schaller & Weber.
Die jüngste Generation der Besitzer hat die Zeichen der Zeit erkannt – und sich neu aufgestellt. Früher einmal standen staubige Humpen im Schaufenster, stein nennen die Amerikaner diese Bierkrüge begeistert. Heute baumeln Würste oben drüber und daneben eine volle Kelle Branding. German Delicatessen. Deutsch sind die Rezepte vielleicht noch, doch die Grammatik basiert mehr so aufs Geratewohl.
Vor allem aber hat der 1937 eröffnete Metzger- und Feinkostladen (ratet mal, wo ich die passenden Zutaten fürs Weihnachtsgebäck finde?) erkannt, dass Tradition in New York nicht mehr mit aussterbenden alten Schachteln ins Geschäft kommt, sondern mit Coolness. Deshalb gibt es neuerdings nebenan preisgekrönte deutsche Wurst unter Hipsterleuchtern, das funktioniert und heißt The Stube – Schaller’s Sausage Bar. Im alten Laden ist auch alles aufgehübscht, mit Logo und vollgeletterten Kreidetafeln und … diesem Wort. Das englisch ausgesprochen … ausgesprochen schlimm klingt. Wi ah waiting for ze Wörst!
Im Süden Manhattans schickt sich unterdessen ein aus Bayern entronnener Musiker an, neue Traditionen aufzubauen. Sylvester Schneider stellte bald fest, dass das Musikerleben in New York ganz schön schwierig ist, also machte er im Jahr 2000 einen Biergarten auf. Logisch, oder? Platz dafür war zwar nicht recht vorhanden, aber man kann ja auch drinnen bayrische Volkslieder schmettern und Maßkrüge stemmen, wenn die Plätze draußen alle besetzt sind. Oder es zu heiß ist.
Längst hat sich herumgesprochen, dass man bei “Zum Schneider” schon mal auf die Pauke hauen kann (wir nennen es oompah music). Im Herbst baut der Chef ein Zelt am East River auf – und rühmt sich zum Entsetzen der Konkurrenz mit dem einzig wahren Oktoberfest in der ganzen Stadt. Und das Restaurant serviert authentic German food. Zum Beispiel Wiener Schnitzel. Und Weißwurst. Und am Wochenende gibt’s Schweinshaxe.
Aber das ist nun auch schon fast 18 Jahre alt. In der Zwischenzeit kamen und gingen mehrere Versuche anderer Leute, eine Currywurstbude in New York zu etablieren. Klappt einfach nicht. It’s the Wurst! Aber neuerdings hat New York wieder einen Trend, der die deutsche Küche zum heißen Scheiß gemacht hat:
Genau. Döner.
Kotti Berlin hat vorletztes Jahr mit einem Stand auf der (auch bei Touristen äußerst beliebten) Imbissmeile Smorgasbord begonnen und inzwischen an zwei Standorten in Brooklyn feste Niederlassungen. Besitzer Erkan Emre ist mit dem Döner aufgewachsen, der am Kottbusser Tor in Berlin serviert wird – und behauptet, nach seinem Umzug in New York keinen Ersatz gefunden zu haben.
Tadaaa: Während das Fleisch vom Drehspieß in Deutschland auch drei Generationen nach dem Gastarbeiter noch als türkisch gilt, ist der döner in New York eine deutsche Spezialität. Hätte ihn jemand nicht in Berlin, sondern in Boston erfunden, wäre er typisch Amerikanisch. So wie … der angeblich von deutschen Hafenarbeitern in New York erfundene Hamburger.
Seht ihr? Vom Ausland betrachtet sieht vieles ganz neu aus! Denk ich an Deutschland in der Nacht … ach nee, doch nicht. Hinter diesem Text steckt nicht Heinrich Heine, sondern Silvia von Leckere Kekse. Zusammen mit ihrer Kollegin Astrid veranstaltet sie diesen Sommer abermals eine Blogtour, und zwar … eine Deutschlandreise.
Nee, hab ich gesagt, dahin kann ich jetzt nicht fahren, sorry. Allerdings bin ich beim letzten Mal ja auch nicht nach Sizilien gejettet, sondern hab für “Bella Italia” erzählt, wie die Pizza nach Amerika kam. Also habe ich gerne wieder mitgemacht – und lade euch dazu ein, auch die anderen Beiträge zu lesen. Diesmal machen mindestens 19 Blogs mit.
Kirsten
Juli 13
Moin liebe Petrina!
Ist schon sehr gediegen was für den den Amerikaner typisch deutsch ist.
Wir Norddeutschen kommen da total zu kurz, aber das ist wirklich Okay.
Aber schön das der deutsche Einwanderer nicht auf die „oompah music“ verzichten muss! Herrlich
Herzliche Grüße aus Hamburg,
Kirsten
Petrina Engelke
Juli 13
Liebe Kirsten,
na, aber wir haben doch die Hamburger aus Norddeutschland! ;-)
Das Lustige ist ja, dass diese Läden nicht auf etwas beruhen, was der eine oder andere Amerikaner für typisch Deutsch hält, sondern sie allesamt von Deutschen eröffnet wurden. Wieviel vom Image der Deutschen wohl davon abhängt, wer sich bemüßigt fühlt, ein Lokal zu eröffnen? Dunkel erinnere ich mich, dass es auch mal einen friesischen Laden gab, ich glaube, der Besitzer kam aus Föhr …
Liebe Grüße nach Hamburg
Petrina
Andrea Karminrot
Juli 13
Man kann nur immer wieder staunen, was man im Ausland von Deutschland hält… Döner…Ich habs nicht geglaubt. Und das alle in Deutschland nur Dirndl tragen, wurde mir auch schon vermittelt. Als ich vor Jahren in Los Angles war, bin ich fast verhungert, weil ich kein Brot bekam, das zu meinem Wohlbefinden beitragen konnte. Wäre ich mal nach New York geflogen, da wäre es mir besser gegangen.
Lieben Gruß
Andrea
Petrina Engelke
Juli 13
Liebe Andrea,
oh, Brot ist auch ein hervorragendes Thema! Und zwar eines, nach dem mich wiederum Deutsche oft fragen, die über Amerika lästern wollen. ;-) In einigen Ortschaften im New Yorker Umland gibt es eines, das sie dort sauerkraut landbrot nennen – Überraschungen gibt es eben nicht nur in New York.
Liebe Grüße
Petrina
Astrid
Juli 15
Liebe Petrina,
vielen Dank, daß Du wieder ein Thema für unsere Blogparade gefunden und mitgemacht hast. Es ist immer wieder spannend, was Du aus dem fernen New York berichten kannst ;-)
Viele liebe Grüße
Astrid
Silvia
Juli 15
Spannender Artikel! Ich habe mich schlapp gelacht: Döner als deutsche Spezialität! Das muss ich unbedingt meinen türkischen Kollegen erzählen!
Als Fast-Vegetarierin finde ich es auch urkomisch, dass hauptsächlich Wurst als deutsch angepriesen wird. Und Bier, welches ich auch nicht trinke…
Sehr lustig. Danke, dass du wieder dabei warst und mir diesen Blick auf die deutsche Küche eröffnet hast.
Liebe Grüße
Silvia
Petrina Engelke
Juli 15
Liebe Astrid,
freut mich, dass du mit meinen Geschichten etwas anfangen kannst. Ich danke euch für die Inspiration, mir mal etwas über Deutsche in New York einfallen zu lassen. Bin gespannt, was bei der Blogparade noch so alles erscheinen wird!
Liebe Grüße
Petrina
Petrina Engelke
Juli 15
Liebe Silvia,
freut mich, dass du Spaß am Lesen hattest! Zwei Dinge sollte ich zum Thema “Döner” wohl noch erwähnen:
1. wurde der Döner in dieser Form, die Dönerbuden in Brooklyn wie auch in Deutschland anbieten (mit Hähnchenfleisch und mit Gemüse in der Teigtasche), tatsächlich in Deutschland erfunden.
2. Es sind lustigerweise nicht “die Amerikaner”, die Döner für Deutsch halten, sondern ein Deutscher, der Döner als deutsches Gericht in New York vermarktet. Ich finde, zu Recht. ;-)
Gemüse mit deutschem Namen gibt es in New York übrigens auch: Sauerkraut. Das allerdings ist erstens sozusagen eingemeindet (Hot Dogs im New Yorker Stil werden mit Sauerkraut und Senf serviert) und spielt zweitens auch in vielen osteuropäischen Restaurants in NYC eine prägnante Rolle. Oh! Nun hast du mich doch glatt zu einem weiteren Thema inspiriert …
Liebe Grüße
Petrina