Ich lande hier immer in demselben Laden. Dabei gibt es in meiner Fantasie hier irgendwo ein Café, in dem betagte, beringte Damen Torte essen, Tee aus dem Samowar schlürfen und zwischendurch einen Wodka kippen. Nur finde ich ihn nicht. Also gehe ich mal wieder in den Feinkostladen, in dessen oberer Etage die Torten auf mich warten und ein paar Tische stehen. Da sitze ich, trinke starken russischen Tee und esse italienischen Kuchen dazu und verfolge auf dem Fernseher einen Technicolor-Film mit zickigen Damen und einem lustigen Musikanten, den ich auch ohne Sprachkenntnisse verstehe.

Die anderen Tische füllen sich derweil. Da kommt noch ein älteres Paar. Er fragt mich, ob sie sich zu mir setzen dürften, ich sage: Na klar, aber dann brauchen Sie noch einen Stuhl. Darum kümmert er sich selbst, während sie schon am Tresen bestellt. Sie haben sich noch nicht hingesetzt, da ist mir schon klar: Das sind furchtbar nette Menschen. Sie machen mir als erstes klar, dass ich in ihren Augen ganz, ganz jung bin und dass es da keine Widerrede gibt. Sie kommen aus Israel, sagen sie, und schwärmen mir von Jerusalem vor. Ich entblöde mich, sie zu fragen, ob sie dort geboren und aufgewachsen sind – und in dem Moment fällt mir ein: Sie sind sicherlich älter als Israel. Sie übergehen das aber freundlich.

“Ich bin Asiatin”, sagt sie, und ich schaue irritiert auf ihr kurzes, gelocktes, rotes Haar und die blassen Sommersprossen. “Ich komme aus Kasachstan”, fügt sie hinzu. Eine Erdkundestunde bekomme ich also gleich noch dazu. Er kommt aus der Ukraine. Aber sie mögen russisches Essen.

Sie haben so lange in Israel gelebt … Ach, und Jerusalem. Ich bräuchte in Israel nirgendwo anders hinzureisen als nach Jerusalem. Ich erzähle ihnen, dass ich noch nie in Israel war, dass mir Bekannte aber schon öfter von Tel Aviv vorgeschwärmt haben.

“Ach, Tel Aviv”, winkt er ab. “Das ist wie jede andere Großstadt auch, da finden Sie nichts Besonderes.” Ich frage, was denn an Jerusalem so anders sei. Das Gefühl, sagen sie, schwer zu erklären. “Die Geschichte, die alten Häuser?”, frage ich. Aber das trifft es nicht, es sei die ganze Atmosphäre – “aber nicht einmal in religiöser Hinsicht”, sagt sie gleich dazu. Und das Licht. Das Licht sei einfach anders als sonstwo, einzigartig. Ganz klar, weil Jerusalem weit oben liegt, und dann seien ja auch die Häuser alle aus rosa Stein gebaut, etwas anderes gibt es da eben kaum, und das mache das Licht erst recht besonders.

Schließlich gibt mir der alte Herr seine Reiseweisheit mit auf den Weg. Als Physiker hat er die ganze Welt bereist. Wenn ich ihm irgendeinen Ort sagte, kenne er den vermutlich. Und sein Rat? “Vergessen Sie Tourismus”, sagt er. Besonders in New York. “Nach Paris wegen der Museen? Bleiben Sie in Manhattan, da haben Sie alles, was Sie sehen wollen. Nach Paris wegen der Boutiquen? Bleiben Sie in Manhattan. Das finden Sie heutzutage dort alles. Wenn Sie ein Künstler sind und unter fremde Menschen wollen und Sie das wirklich interessiert, dann reisen Sie nach Paris.”

Die beiden leben in Long Island, ihre Kinder und Enkelkinder wohnen in Brooklyn Heights. Sie haben eingekauft hier in Brighton Beach, das auch unter dem Namen “Little Odessa” bekannt ist. Es gibt ja alles hier, und so günstig. “Das hält wahrscheinlich für einen Monat vor”, sagt er mit einem Blick auf die Tüten, auf denen russische Schriftzeichen stehen. Sie schaut skeptisch. Nachdem wir einander ein schönes Wochenende gewünscht haben, mache ich mich auf den Weg. Ich bin in Versuchung, kleine Teigtaschen zu kaufen, aber ich finde nicht heraus, womit sie gefüllt sind. Am Ende kaufe ich Nutella – zwei Gläser für 5 Dollar sind ein Argument. Ich glaube, es stammt aus Polen. Dort versteht man, was ich seit Jahren predige: Haselnusscreme gehört nicht in den Kühlschrank.