New York war mal die Stadt aus Stahl, Glas und Beton. Jetzt sehe ich Sperrholz. Nicht überall, natürlich. Das ist mal wieder so ein verzerrtes Bild, das darauf beruht, dass Konflikt die Augen auf sich zieht und nicht Frieden oder gar der ganz normale Alltag. Ich sehe Sperrholz, und mein Gehirn macht sich an die Arbeit.

Der Funke springt von Hirnzelle zu Hirnzelle und bringt mich von New York ins Ruhrgebiet, in ein anderes Leben, und zwar mit dem Bus. Da rauschte eine Zechensiedlung an mir vorbei. Deren Vorgärten sind jetzt im November ordentlich gemulcht und bepflanzt mit winterharten Augenweiden. Alle. Jahreszeitenwandel wie auf Kommando.

Im Frühjahr ruhen die Blumen. Bis einer anfängt zu wühlen. Ich war immer fasziniert davon, dass schon einen Tag später auch andere Vorgärten “gemacht” waren. Dasselbe Phänomen, wenn wo frisch Unkraut gejätet war. Irgendwer muss ja den Anfang machen. Und ich hab mich immer gefragt, ob die Nachbarinnen und Nachbarn dann fluchen. Mist, jetzt müssen wir den Vorgarten beackern. Oder läuft das umgekehrt? Warten die alle unsicher, ob das Wetter wohl hält, und sind erleichtert, wenn irgendwer anfängt?

Solche Fragen beschäftigen gerade einige New Yorker Geschäfte. Erst haben ein paar von denen ihre Schaufenster verbarrikadiert, und andere haben nachgezogen. Das hatten wir schon mal, im Sommer, mit Fotos. Daraufhin haben mir damals Leute aus Deutschland erklärt, dass sich New York gerade auf Krieg auf der Straße einstellt. Aha.

Wie viel Gewalt hätten’s denn gern? Und reden wir von Gewalt gegen Menschen oder Gewalt gegen Dinge, auch bekannt als Sachbeschädigung? Bilder können in solchen Fällen nichts über das Ausmaß sagen, aber die Einordnung fehlt auch in vielen Berichten. Immer noch. Dabei hat das Armed Conflict Location & Event Data Project verständlich aufbereitete Daten zum Verhältnis zwischen friedlichen Protesten und Gewalt. Sonst beobachten die internationalen Wissenschaftler*innen den Jemen, Somalia, den Libanon, die Sahel-Zone auf politisch motivierte Gewalt. Und neuerdings also auch die USA. Da musste ich erst mal schlucken, als ich das erfuhr.

Der US Crisis Monitor erfasst beispielsweise, auf wie vielen Black Lives Matter-Protesten die Demonstrant*innen Gewalt ausübten – egal in welcher Form, also z.B. auch Sachbeschädigung. In der Summe passierte das bei 6,27 Prozent dieser Demos. Daher stammten diese Feuer-Plünder-Steineschmeiß-Bilder, die ständig zu sehen waren. Obwohl fast 94 Prozent der BLM-Demonstrationen bislang komplett friedlich verliefen.

Aber Schiss guckt nicht auf Einordnung, Schiss guckt gebannt auf ein Bild von einer brennenden Pommesbude. Schiss wispert von splitternden Scheiben. Schiss schiebt das Wort “Plünderung” nach ganz oben auf die Alptraumliste.

In New York hat es tatsächlich Zwischenfälle gegeben. Kleine Gruppen räumten Anfang Juni einige Luxusläden in Soho leer, und das war dann die große Story – zum Entsetzen von Tausenden Demonstrant*innen, die täglich friedlich auf der Straße für eine gerechtere Welt eingetreten waren. Das Kaputtmachen und Klauen ist passiert, keine Frage. Und es ist illegal und fies und doof und schadet allen.

Insgesamt wurden mehrere hundert Geschäfte in New York beschädigt oder geplündert. Das klingt erschreckend. Sie stellen allerdings nur einen winzigen Teil der Einkaufslandschaft in der Stadt dar. Allein an Ladenketten gibt es in New York rund 8000; im großen Ganzen sind die von Vandalismus betroffenen Läden eine Randnotiz. Aber Schiss schiebt sie tief unten in den Saurierteil des Gehirns, der ohne Sinn und Verstand regiert – und reagiert.

Das schien alles vorbei und vergessen. Bis kurz vor der Wahl. Auf der grünen Wiese nahm die Supermarktkette Walmart medienwirksam die Waffen aus den Regalen, und in Manhattan war wieder das Zechensiedlungvorgartenprinzip angesagt. Mit jeder Menge Gehölz. Sperrholz-gespicktes Soho! Bretter am Broadway! Latten vor dem Laden!

Das produziert blöderweise aber auch Bilder der Angst. Statt Glassplittern und Durcheinander im Dunkeln nun eben verbarrikadierte Ladenzeilen im Herbstlicht. Ein Signal des Misstrauens. Ey, ihr da, Bevölkerung: Zivilisiertes Verhalten erwarten wir von euch nicht. Ganz im Gegenteil.

Es ist kompliziert. Wenn du einen Laden in Soho hättest, wo neulich mal Menschen ganz in der Nähe was kaputtgemacht haben, würdest du sagen: Och, Leute, lasst uns doch mal Ruhe bewahren? Oder würdest du deine Schaufenster zunageln? Würdest du Verantwortung dafür empfinden, welche Wirkung dein Sperrholz-Statement auf andere Menschen hat? Und wenn, was wiegt schwerer?

Jetzt ist der Krieg auf der Straße ja doch ausgeblieben. New York hat am Wochenende vor Freude getanzt. Aber die Läden zögern. Und gucken erst mal, was die anderen machen. Das erfährt auch die Reporterin Gwynne Hogan, die sich in Soho umgehört hat – ihren Radiobeitrag für WNYC könnt ihr hier anhören.