Water Tank Projekt New York

Mary Jordan an einem Wasserturm des Water Tank Project: “Psychogeographies” von Dustin Yellen.

 

„Ich arbeite für Wasser“, sagt Mary Jordan, als ich sie frage, wie sie heute ihren Beruf bezeichnen würde. „Buchstäblich: Die haben mich bei Wasser festangestellt, ich bin da eine der Projektleiterinnen.“

Erfrischende Vorstellung, so eine plätschernde Personalabteilung, aber jenseits der Metaphernwelt hat sich Mary den Job natürlich selbst geschaffen. Um auf ein drängendes Problem aufmerksam zu machen, bringt sie mit ihrer Organisation New Water Culture Kunst auf Wassertürme, hoch oben auf den Dächern New Yorks. Dorthin begleite ich sie. Aber vorher sprechen wir in einem Café mit Plätscherbrunnen über das Water Tank Project.

 

Mary, du hast dich schon mit vielen Problemen in der Welt befasst, zum Beispiel mit 18 Jahren eine Doku über Frauenbeschneidung in Afrika gedreht. Das ist jetzt auch schon eine Weile her. Wie wurde Wasser zu der Problemstellung, die du dir vorknöpfen wolltest?

Ich war schon in punkto Menschenrechte aktiv, das Thema lag mir nahe. Aber plötzlich wachte ich nach einer Art Nahtoderfahrung auf, die mit Wasser zu tun hatte, und mir wurde überaus bewusst, wie oft es bei Unrecht gegenüber Frauen und Kindern und anderen Menschenrechtsverletzungen einzig und allein um Wasser geht.

Zum Beispiel?

Mary Jordan, New Water Culture

Mary Jordan
geboren in Kanada, aufgewachsen in New York,
lebte u.a. in Australien, San Francisco und seit 2005 (wieder) in New York,
wohnt im West Village,
hat sich das Water Tank Project vor fast sieben Jahren ausgedacht,
ist Filmemacherin – kommt aber gerade nicht dazu, ihre Doku über eine Perfomance Art-Gruppe aus dem San Francisco der 70er Jahre fertigzustellen.

Da bekommen Mädchen keine Chance, in die Schule zu gehen, weil es ihre Aufgabe ist, das Wasser für die ganze Familie zu besorgen – dafür sind sie aber stundenlang unterwegs. Ihnen wird also Bildung verweigert.
Firmen oder Organisationen bauen Brunnen und besetzen sie mit bewaffneten Wächtern, um anderen den den Zugang zum Wasser verwehren. Oder ganze Regionen werden übernommen, durchwühlt, Dörfer plattgewalzt, damit Konzerne wie Coca-Cola sich das ganze Süßwasser nehmen und damit ihre Cola produzieren können. Es sterben Kinder an von Wasser verursachten Krankheiten, völlig unnötigerweise, während wir einfach Trinkwasser sinnlos aus dem Hahn laufen lassen. Diese Ungleichheit … Meiner Ansicht nach ist Wasser das größte Menschenrechtsproblem der heutigen Welt. Mir ist es egal, welche 20 oder hundert Dinge rund ums Wasser einer tut, aber jeder sollte irgendetwas tun.

Viele Leute sehen: Oh ja, in Afrika, da haben die Menschen kein Wasser. Aber doch nicht bei mir zu Hause.

Inzwischen gibt es die Wasserprobleme ja auch bei uns. Nimm nur die Dürre in Kalifornien: Da mussen die Leute jetzt für Wasser bezahlen. Die Gegend war einmal die Kornkammer Amerikas, und jetzt kommt von dort kein Essen mehr. Wir haben schon New Orleans davon betroffen gesehen, wir sehen es jetzt in Nepal. Schau nach Arizona, Texas, ins Colorado Basin – der Hoover Dam wird zu einem ausgetrockneten Krater. Hätte man die Leute vor fünf Jahren gefragt, ob so etwas passieren könnte, hätten sie nein gesagt. Als ich die Statistik hörte, dass einer von fünf Menschen keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser hat, wurde mir klar, dass dieser eine Mensch jederzeit ich sein könnte. Wir wissen nicht, wo Wasserknappheit auftreten wird. Dieses Problem kann sich jederzeit ganz tief auswirken, auf jeden von uns oder jemanden, den wir kennen.

Welche Auswirkungen siehst du denn zum Beispiel bei Gegenden, die keine Wasserknappheit kennen?

Wasser

In New York zahlen Mieter nichts für Wasser. Viele finden es normal, die Dusche schon anzustellen, wenn sie noch ihre Zähne putzen.
Vermieter und Hausbesitzer wissen, dass sich der Wasserpreis in New York in den vergangenen 15 Jahren beinahe verdreifacht hat.

Es gibt kein Land auf der Welt, das kein Wasserproblem hat. Nur weil man welches hat, heißt das ja zum Beispiel noch lange nicht, dass das Wasser gut ist. Land- und Zugangsrechte spielen ebenso eine Rolle wie Gift- und Verschmutzungsgehalt, Müll, Sicherheit und so fort. Das Problem wird immer komplizierter, weil die Bevölkerung so stark wächst. Es gibt bereits Wasserflüchtlinge, es gibt Krieg um Wasser. Und das wird schlimmer. Wer meint, das betreffe ihn nicht, ist verrückt. Denn wenn du Wasser hast und jemand anderes hat keines, dann rate mal, was passiert? Wasser ist Leben. Wenn du Menschen an den Rand des Lebens drängst, dann werden sie dich angreifen, weil sie und ihre Kinder überleben wollen. Darüber denken die Leute nicht nach. Wasser wird zunehmend zu einer Frage der Besitzenden und der Besitzlosen. Ich würde sie nicht gerne gegeneinander in den Krieg ziehen sehen, denn die Besitzlosen sind in der Überzahl.

Aber die Besitzenden haben Wasser und womöglich Waffen.

Korrekt. Genau deswegen müssen wir sehr genau hinschauen, wen wir mit der Verantwortung auf der Wasserbesitzerseite betrauen.

 

Radikal? Aber immer doch. Wenn es um Wasser geht jedenfalls. Freimütig erzählt mir Mary, dass sie Leute auf der Straße anspricht, die einem der „Ice cold water, one dollar, one dollar“-Rufe folgen und sich eine Flasche Wasser kaufen. Denen geigt sie dann gehörig die Meinung. Wasser abzufüllen und dann Geld dafür zu verlangen findet Mary hochproblematisch – von den gigantischen Umweltproblemen durch Plastikmüll ganz zu schweigen.

Als Sprachrohr für die Wasserproblematik wird sie inzwischen zu internationalen Konferenzen eingeladen, und das Water Tank Project ist zum Teil einer Organisation geworden, die Wasseraktivisten zusammenbringt und schon Spendengelder für ein indisches Kinderheim ohne Wasser vermittelte oder Politiker in Mexiko über Wasserreinigung, Müllreduzierung und Recycling beriet.

Vor allem aber hat sie geschafft, wovon so viele Leute zuvor sagten, das ginge nicht, sie könne nicht einfach die New Yorker Skyline übernehmen: Sie hat Künstler wie Jeff Koons, Laurie Simmons, Bruce Weber und John Baldessari davon überzeugt, wasserbezogene Werke über den Dächern von New York auszustellen.

 

Wassertürme des Water Tank Project

 

Sag mal, Mary, in New York nach oben auf die Dächer schauen – tun das nicht einzig und allein die Touristen?

Nein, die Skyline von New York ist für alle interessant. Deshalb leben die Leute in New York: Sie sind Ameisen unter den Riesen. New York ist eine sehr design-, architektur- und modeorientierte Stadt. Da schießen ständig neue Gebäude hoch und andere verschwinden. Dafür haben die Leute ein waches Auge. Wenn sich etwas verändert, was sie jeden Tag sehen, ist das, als hätten wir sie aus ihrem Nine-to-Five-Einerlei aufgeweckt.

Okay, ich sehe jetzt also einen der Wassertürme aus dem Water Tank Project. Was, hoffst du, mache ich als nächstes?

Meine Hoffnung ist, dass sich dein Bewusstsein verändert. Du hasst das Kunstwerk oder liebst es. Vielleicht hast du danach eine Unterhaltung in einem Coffeeshop darüber, die andere dazu bringt, hinzusehen, nachzudenken, etwas zu unternehmen. Ich finde, Kunst hat eine einzigartige Art, etwas zu sagen, ohne etwas zu sagen. Ich stelle fest, je mehr man den Leuten sagt, was sie tun sollen, wie sie sich verhalten sollen, oder wie sie zu Aktivisten werden, desto weniger interessiert es sie. Diese neue Millennial-Bevölkerung ist sehr selbstbezogen. Mit wie vielen Selfies können sie ihre Zeit verschwenden? Wie mobilisiert man die? Ich sehe die bildenden Künste da als Trend wachsen, deshalb habe ich den Eindruck, dass Kunst ein guter Weg ist, die Leute zu erreichen, ohne dass Religion, Rasse, Geschlecht, Herkunft, Sprache oder Alter eine Rolle spielen. Kunst wirkt auf jeden.

Wie lange hat es denn gedauert von der Entscheidung, dieses Projekt anzufangen, bis zum ersten Wasserturm auf einem New Yorker Dach?

Ungefähr sechs einhalb Jahre.

Wow. Was hat dich bei der Stange gehalten?

Mary Jordan; Water Tank art by Dustin YellenWasser. Ein Versprechen, Loyalität. Zu wissen, dass das Problem nicht verschwindet. Und dass es eine lohnende Arbeit ist. Ich weiß, dass ich jeden um mich herum beeinflusst habe, keiner von denen trinkt noch Wasser aus der Plastikflasche. Ich weiß, dass ich Hunderte Aktivisten geschaffen habe, die in die Welt gezogen sind und ihr Anliegen vervielfacht haben. In gewissem Sinne ist es eine Praxis-Gemeinschaft von Leuten, die ihre Kraft und Macht zusammenlegen, um bei dem Problem stärker Druck zu machen. Und das brauchen wir: eine Gemeinschaft gegen dieses Problem. Und sie muss exponentiell wachsen.

Dazu brauchst du natürlich auch Geld …

Das ist kein geldbringendes Geschäft, wenn du danach fragst, überhaupt nicht (lacht).

Nein, aber ein geldverschlingendes Geschäft.

Man muss sehr viel Geld beschaffen.

Wie machst du das?

Geld sammeln ist so ziemlich der entmenschlichendste Akt, den man begehen kann. Es ist extrem schwierig, extrem mühsam, und man braucht ein dickes Fell. Aber ich habe daraus eine Menge gelernt. Ich lernte, dass die Leute, die am meisten geben, nicht die Leute mit dem Geld sind. Ich lernte, dass es nicht die Milliardäre sind, die wirklich einen Wandel herbeiführen und etwas bewegen. Ich war lange Zeit sehr dagegen, sie die One Percent zu nennen – bis ich in den letzten fünf Jahren begann, Gelder zu sammeln. Jetzt weiß ich, warum sie die One Percent sind: Weil sie das gierigste, egoistischste Element unserer Bevölkerung sind. Sie haben die Mittel, alles zu verändern, und trotzdem tun sie überhaupt nichts. Sie sind besessen davon, immer mehr anzuhäufen, während es anderen richtig wehtut, wenn sie versuchen, etwas zu unternehmen. Aber ich hatte auch das große Glück, einige wunderbare Spender zu finden, mehrere Stiftungen haben uns toll unterstützt, zusammen mit einigen wegweisenden, philantropischen, klugen, umweltbewussten Menschen, die dem Projekt Zeit, Energie und finanziellen Mittel gespendet und es damit verwirklicht haben. Mit solchen Menschen möchte man auch zu tun haben.

Warum ist das Spendensammeln denn entmenschlichend?

Man muss sich damit abfinden, das Ego einer Millardärsfrau zu streicheln, die schnell von irgendeinem Kommentar tödlich beleidigt ist. Man muss ihre Namen auf goldene Gedenktafeln meißeln und diese dann auf Hochglanz polieren. Es geht nur darum, dass sie gut dastehen, ihnen geht es bloß um ihren Namen. Um welches Problem es eigentlich geht, ist ihnen völlig egal. Das ist entmenschlichend. Manchmal muss man ein freundliches Gesicht aufsetzen und nett sein, um Geld zu kriegen von jemandem, der bloß ein Arschloch ist, und man will ihm genau das ins Gesicht sagen und auf dem Absatz kehrtmachen, aber um des guten Zweckes willen muss man stark bleiben und sich vor Augen halten, dass man dieses Geld braucht, um etwas zu bewegen. Man denkt, man kämpft für ein wichtiges Thema und ein wichtiges Projekt, hört aber ständig „nein“.

 

Mary Jordan auf dem Weg zu einem New York Water Tower

 

Auch die willenstärkste Person hat schon mal zu oft „nein“ für einen Tag gehört und denkt: Das ist mir zu viel, wie soll ich morgen in diese Besprechung gehen, ich will einfach niemanden mehr sehen. Wie gehst du mit solchen Situationen um?

Ich konzentriere mich dann wieder auf das Problem. Ich schließe die Augen und sage mir: Denk an all die Menschen, die kein Wasser haben. Denk an die jungen Mädchen. Denk daran, wie viele Menschen sterben. Ich gehe noch mal zurück tief in das Problem und warum ich das überhaupt mache.

Du konzentrierst dich auf die schlimmen Dinge.

Und die guten! Ich sage mir auch: Denk an all die Leute, denen wir geholfen haben. Denk an diejenigen, die uns aus aller Welt geschrieben haben. Denk an die Leute, denen das auch wichtig ist, von Deutschland bis Indien, die diese Stimme teilen und weiterverbreiten wollen. Du bist ja nicht alleine. Wenn du dir erst einmal ausgesucht hast, ein Sprachrohr für ein Problem zu sein, bist du Teil einer Gemeinschaft, ob du es weißt oder nicht, ob du ihr schon begegnet bist oder nicht. Ich schätze mal, daraus ziehe ich meine Kraft. Ich gebe zu, das ist manchmal schwer. Da muss man tief durchatmen und noch mal ansetzen. Inzwischen kommt noch etwas hinzu: Ich habe so viele „nein“ gehört, von so vielen verschiedenen Leuten, man sagte mir, das ginge auf gar keinen Fall, niemals  – ich habe jedes nur mögliche „Nein“ zu hören bekommen. Aber ich wusste, dass es möglich ist, und jetzt stehen die Wassertürme da. Alles Interessante und Kreative stößt auf Hürden. Das muss man wissen. Wenn du etwas Tolles machst, wird das nicht einfach.

Woher wusstest du denn, dass das Water Tank Project toll ist – und du dich nicht etwa verrennst?

Ich wusste das, weil viele Leute es auch toll fanden, und die ganzen Künstler fanden es toll. Und weil ich bereit dazu war, dieser Sache sechs Jahre meines Lebens zu opfern.

Inzwischen sprichst du zum Thema Wasser auf Konferenzen, du sitzt bei internationalen Treffen am Tisch. Wie kommt man da hin, wie wird man zum Sprachrohr für ein Thema?

Mary Jordans spezieller RingIch wusste ja nicht, dass ich einmal ein Sprachrohr werde, darüber habe ich gar nicht nachgedacht. Alles was ich dazu sagen kann, ist: Die Leute wollen Leidenschaft. Es inspiriert, jemanden zu hören, der etwas unbedingt will und gerne tut. Das kann man nicht kaufen, das kann man niemandem vorspielen. Du musst an das glauben, was du tust, du musst unglaublich entschlossen sein, und du darfst ein „Nein“ nicht gelten lassen. Du musst wirklich, wirklich, wirklich hartnäckig sein in deinem Drang, voranzukommen, und niemals aufgeben. Daran darfst du nicht einmal denken. Und du musst dich mit Leuten umgeben, die das unterstützen.

 

Du möchtest nach den Dächern des Water Tank Projects Ausschau halten? Auf der Website gibt es eine Karte mit allen bisherigen Ausstellungsorten.

Mehr inspirierende Menschen aus New York? Hier findest du weitere Interviews.

Und drei weitere Geschichten über die New Yorker Wassertürme findest du hier:

Die Wassertürme von New York – Warum die Water Towers heute noch aus Holz sind (Audio-Slide).

Kauf dir doch nen Wasserturm!

Kunst im Wasserturm