Da lebe ich seit Jahr und Tag in New York und schicke all diese Geschichten in meiner Muttersprache in den Äther, und erst jetzt kriege ich mit, dass es schon seit dem Jahr 2000 einen Tag der Muttersprache gibt – nämlich heute, am 21. Februar. Er geht auf eine Initiative der Vereinten Nationen zurück und heißt International Mother Language Day. Das klingelt direkt in meinen Ohren wie so’n (fälschlich) Wort für Wort übersetztes Deutsch. So wie “das macht Sinn” – aua! Ich hätte schwören können, auf Englisch würde man von native language sprechen … und hab erst mal nachgeschaut, ob sich das bei der Uno vielleicht jemand ausgedacht hat, dessen Muttersprache nicht Englisch ist, sondern Deutsch. Federführend war dabei aber Bangladesch (die Hintergrundgeschichte könnt ihr euch bei UN News anhören).
In New York leben ungefähr 8,6 Millionen Menschen. Die Hälfte von ihnen spricht zu Hause eine andere Sprache als Englisch. Nicht ganz so viele, aber immer noch beeindruckende 3,4 Millionen New YorkerInnen sind in einem anderen Land als in den USA geboren. Ich gehöre zu allen drei Gruppen.
Aber die verschiedenen Sprachen, die zu meinem Leben gehören, sorgen hin und wieder für Verwirrung und Widersprüche. Zum Beispiel interviewte ich vor einige Jahren Margot Friedländer, eine Holocaust-Überlebende aus Berlin, die nach der Befreiung nach Amerika gegangen war mit ihrem inzwischen verstorbenen Mann. Obwohl sie Deutsch mit mir sprach, habe ich sie gefragt, ob sie mit ihrem Mann Deutsch oder Englisch gesprochen hat. Irgendwie dachte ich, sie sagt “Englisch”. Als ob ein Sprachwechsel nur eine Frage der Zeit wäre – und auch für mich irgendwo eine Uhr tickte.
Aber sie sagte “Deutsch”, ganz schnell und ein bisschen verwundert über die Frage. Sie erzählte mir, wie ihr Mann und sie auf der Arbeit beide den ganzen Tag Englisch sprachen, aber abends schon auf dem Heimweg in ihre Muttersprache wechselten. Auch wenn nichts und niemand ihren Mann zurück auf deutschen Boden gebracht hätte.
Und dann denke ich an Leute, die “speak English!” schreien und damit “Ausländer raus” meinen. Mir ist so was noch nie passiert. Aber ich bin schon oft ganz ernsthaft gefragt worden, ob ich mit anderen Deutschen Deutsch oder Englisch spreche.
Ich dachte, das liegt auf der Hand: Englisch, sobald auch nur ein Mensch dabei ist, der kein Deutsch spricht. Und Deutsch, wenn nur Deutsche beteiligt sind. Da fühlt sich Englisch so gekünstelt an, als wollte man einen Teil seiner Identität verbergen. Schlecht verbergen, würde ich jetzt mal für die meisten sagen. Seltsamerweise habe ich immer noch Schwierigkeiten damit, Englisch mit starkem deutschen Akzent zu verstehen.
Mit Muttersprache kann man aber auch prima Leute erschrecken überraschen. Ich erinnere mich gern an den verdatterten Blick der Gruppe neben mir, die mit vielen Blicken auf die Karte direkt hinter mir lang, breit und ergebnislos diskutiert hatte, wie sie zu ihrem Ziel kommt, und der ich plötzlich in “tadellosem Deutsch” sagte, wo sie aussteigen soll. Und dass ich im Übrigen auch zu diesem Konzert im Park gehe und sie alle nach Belieben auch einfach hinter mir herlaufen können.
In solchen Situationen umwabert mich manchmal die Erwartungshaltung, ich müsste doch wenigstens einen amerikanischen Akzent einflechten. Dazu sagt mein innerer Kompass: Näää, bisse bekloppt? Und der zeigte auch bei diesem Wortwechsel in der U-Bahn vehement Richtung Heimat. Ich hatte mehr als nur meine Muttersprache gehört, nämlich … Ruhrgebiet. Die Begegnung wurde zu einem langen Abend mit netten Menschen in dieser verrückten, schönen Art, die die Sprachen- und Kulturvielfalt New York hervorbringt. Nur diese Vielfalt, möchte ich sagen.
Nur für eins taugt die Muttersprache in New York nicht: als Geheimsprache. Mehr als 200 Sprachen sollen den Daten der Stadtverwaltung zufolge in New York gesprochen werden. Wenn ihr in der U-Bahn glaubt, ihr könntet euch heimlich auf Deutsch über die Leute um euch herum unterhalten, überlegt euch das gut. Es könnte euch schließlich glatt jemand wie ich gegenübersitzen.
P.S.: Das Büro der UN Ombudsman and Mediation Services sucht anlässlich des Internationalen Tags der Muttersprache nach Sprichwörtern zu den Themen Frieden, Harmonie, Konfliktlösung, Achtsamkeit, Resilienz und Wohlergehen. Wer ein deutsches Sprichwort einreichen möchte, sollte neben dem Original auch eine Übersetzung auf Englisch oder Französisch mitliefern und kurz erklären, wie/wann man es sagen würde. Hier geht’s zum Formular. Ich habe “Der Klügere gibt nach” eingereicht – und ganz schön überlegt, wie sich das ins Englische übersetzen lässt. Macht doch auch mit – und schreibt mir in die Kommentare, welche deutschen Sprichwörter euch zu diesen Themen einfallen; ich versuche auch gern, mit dem Übersetzen zu helfen. Mal gucken, ob ich meiner Muttersprache so nah bin, dass ich eure Sprichwörter überhaupt kenne!
Joe
Februar 24
Ja, das kann ich gut nachvollziehen!
Ich bin ja öfters wegen meiner Familie in den USA und da hatte ic schon so einige sprachliche Erlebnisse:
1) Bin im Hard Rock Cafe NYC, um mir ein T-Shirt zu kaufen und unterhalte mich mit dem Verkäufer in Englisch wegen der passenden Größe. Nebenan ein älteres,deutsches Ehepaar, die sich unschlüssig waren, welche Größe denn nun dem Enkel passt. Da sie gar kein Englisch konnten, habe ich mich eingeklinkt, um Ihnen zu helfen.
Da waren sie zuerst total baff, daß da ein Deutscher die ganze Zeit neben ihnen steht und alles mithört :-)
2) In Florida (Fort Myers) zu Besuch bei meiner Schwester. Wir sind in den Everglades und haben gerade eine 2-Stunden Tour mit einem Guide gebucht. Mit uns ein Ehepaar im Boot. Angeregt unterhalten wir uns alle in Englisch – und erst nach ca. 30 Min. kommt die Frage: “Sind sie Deutscher?”
Ich antworte mit Ja. Sehr lustig, weil wir dort nun so gar keinen Deutschen erwartet hatten und die beiden sehr gut englisch konnten. Sehr lustig zum Abschluß die Tatsache, daß ich aus Wiesbaden, die beiden aus Frankfurt kommen…..tja, so klein ist die Welt!
3) Und dann war da noch die Sache mit dem “Deutsch vergessen”. Wenn ich meine Familie besuche, dann switche ich ja ab Ankunft ins Englische und da ich dann nur mit Einheimischen zu tun habe (meine Schwester spricht kein Deutsch), bin ich ca. 3 Wochen nur englisch unterwegs.
Da ist es mir schon öfter passiert, daß ich mal Freunde in D anrief und es nicht merkte, daß ich in englisch telefoniere…..
P.S.
In Berlin, Ohio war ich in einem Restaurant, das von Amish-People gelietet wurde. Da ich wusste, daß die Amish Deutsch lernen, habe ich einfach mal auf deutsch eine Unterhaltung mit der Kellnerin gestartet. Und zack! war ich heißbegehrt bei ihren Kolleginnen und auch den Kids, weil es nicht so oft Gelegenheit gibt, Muttersprache zu hören und zu sprechen.
Das Ende vom Lied war eine sehr nette Begegnung mit höchst aufgeschlossenen Menschen und jede Menge strahlende Gesichter zum Abschied.
Gruß
Joe
Petrina Engelke
Februar 24
Lieber Joe,
danke für deine Geschichten – so schön vielseitig und positiv, eine tolle Ergänzung zum Text!
Bei Punkt 2 kann ich dir von meinem Eindruck berichten, dass man möglicherweise nach längerer Zeit in den USA einen Sensor für Deutsch(e) entwickelt. Bei mir war das so, es ist fast unheimlich, aber wahrscheinlich ganz simpel Erfahrungssache (bestimmte Klänge prägen sich ein, und das scheint auch auf Akzente zuzutreffen). Das für eine Weile nicht zu bemerken macht das Leben aber deutlich lustiger und überraschender, wie deine Geschichte zeigt.
Und Nummer 3 ist ein Klassiker! Mir fließen zuweilen unbewusst einzelne englische Worte in eine deutschsprachige Unterhaltung ein, und danach finden dann oft Füllwörter (z. B. “also”, “öhm” …) ihren Weg in die nächste englischsprachige Unterhaltung, die ich führe. Deutsch als Sprechpausenclown sozusagen.
Mit Amish habe ich mich leider noch nicht unterhalten, das stelle ich mir interessant vor, gerade weil deren Sprache ja auf einem altmodischen (Schweizer-) Deutsch basiert. Deine Geschichte macht mir arg Lust auf einen Ausflug nach Pennsylvania. :-)
Liebe Grüße
Petrina