An der Fluke sollt ihr sie erkennen. So würde vielleicht das Buch der Buckelwale in der Walbibel beginnen. Meeresbiolog*innen und ihr walforschendes Umfeld schauen den Tieren auf die Schwanzflosse. Schwarz, weiß und ein paar Kratzer ergeben ein Muster und damit den Aha-Effekt bei den Forscher*innen, die sofort oder nach einem Blick in ihre Datenbank der Fluke einen Walnamen zuweisen.
Praktischerweise kommen Buckelwale beim Atmen ja an die Oberfläche, und beim Abtauchen heben sie sehr oft ihre Schwanzflosse komplett aus dem Wasser. Dieses Spektakel erlebe ich gleich mehrmals, weil … ich mir einen Beruf ausgesucht habe, der mir diese Art geistige Nahrung in Hülle und Fülle beschert.
Diesmal bin ich 190 Kilometer vom Times Square entfernt in Montauk an Bord der Viking Starship gegangen, um in sengender Sonne auf dessen Oberdeck den Walforscher Arthur Kopelman zu interviewen. Er ist Ökologieprofessor an einer New Yorker Uni, dem Fashion Institute of Technology, und der Leiter von Coastal Research and Education Society of Long Island (CRESLI), die im Sommer in Montauk Whale Watching-Trips macht. Weil ich da nach dem Interview mitfahren darf, entdecke ich die Öko-Variante von Moby Dick: Wir kommen in fast greifbare Nähe dessen, was ich nicht in die Finger kriege – zum Glück für alle Beteiligten, wie ihr noch sehen werdet.
19 verschiedene Arten von Walen und Delfinen kann man Kopelman zufolge heute zu verschiedenen Jahreszeiten in der New Yorker Bucht beobachten. Darunter Buckelwale, Zwergwale, Finnwale und zumindest auf Luft- und Tonaufnahmen auch den einen oder anderen Blauwal. Der Mann mit dem langen weißen Bart und dem goldenen Flukenohrring erforscht seit Ende der 1980er Jahre Meeressäuger in der Region, und zusammen mit zehn ehrenamtlichen Helfern hält er im Sommer bei drei fünfstündigen Trips pro Woche akribisch nach, wo genau welcher Wal wann gesichtet wurde.
„Was ich im Laufe der Jahre beobachtet habe, ist etwa eine Zunahme an Buckelwalen, die wir ziemlich nahe hier an Montauk sehen.“ Das liegt Kopelmans Einschätzung nach an einer Fischart: „Wir haben inzwischen viele Bunker hier, und die Wale folgen ihnen, um zu fressen.“ (Ein Foto davon hat Kopelman zum Beispiel hier veröffentlicht).
Der Atlantische Menhaden ist eine Heringsart, die im Volksmund als Bunker bekannt ist und deren besondere Eignung für Fischmehl, Dünger und Köder ihre Verbreitung in der Region so verringert hatte, dass es ab 2012 neue Fangquoten gab. Inzwischen hat sie sich laut Kopelman vom New Yorker Hafen aus nach Osten ausgebreitet. Ganz recht: Wale und Bunker tummeln sich nicht nur hinter den Hamptons vor der Küste der Südostspitze von Long Island, sondern auch vor den (noch nicht existenten Unterwasser-) Toren New Yorks – und es werden immer mehr.
Kaum hat das Boot den Leuchtturm an der Spitze der Insel hinter sich gelassen, da erspäht Kopelman einen Killer: „Auf ungefähr 10 Uhr“, sagt er über die Lautsprecheranlage. Mit Enterhaken bewaffnet gehen zwei Leute aus Kopelmans Team in Stellung. Da blinkt etwas im Licht: zwei Luftballons. Die heliumgefüllten Glückwünsche fliegen nicht etwa in den Himmel, sondern landen früher oder später im Meer – und bringen dort Säugetiere um. Denen gilt der nächste Fingerzeig auf diesem Trip.
Buckelwale sorgen dafür, dass man ihren Namen sofort versteht: So rund machen sie sich auf dem Weg von der Oberfläche in die Tiefen, dass es fast so aussieht, als drehe sich über Wasser ein riesiges schwarzes Rad mit kleiner Flosse dran. So was von erhaben!
Lapidar stellt Kopelman fest, der Wal habe gerade gekackt, und tatsächlich kann man auf dem Wasser einen ziemlich großen, bräunlichen Fleck sehen.
„Sollen wir hinfahren und etwas abschöpfen?“, fragt er, und zu spät merke ich, dass das nur ein Scherz ist. Die Forscher*innen haben schon öfter solche Proben genommen, um herauszukriegen, was die Wale gefressen haben. Die Bemerkung über die Bunker kommt also nicht von ungefähr. Ich hatte bislang überhaupt nicht darüber nachgedacht, was bei Walen am Ende der Verdauung steht.
Das Whale Watching-Boot, auf dem Gäste viel über Wale lernen können, hält viel Abstand zu den Tieren. So verlangen es die Wissenschaftler*innen an Bord – und auch das Gesetz.
Manchmal, so erzählt Kopelman, entscheidet aber ein Wal plötzlich, sich auf das Boot zuzubewegen – und dann kann es vorkommen, dass der Blas, also die meterhohe Fontäne, die er ausatmet, jemanden in einem stinkenden, öligen Gemisch aus Walatem duscht. Tapfer bleibe ich mit einigen anderen an der Reling stehen. Ob das Seemannsgarn ist oder nicht, finden wir bei diesem Whale Watching-Trip nicht heraus.
Wenn ihr auch Whale Watching vor Long Island machen möchtet, könnt
- ihr eine Tour mit CRESLI reservieren (Infos auf der Website). Dazu müsst ihr dann nach Montauk fahren (mind. 3 Stunden pro Weg, also am besten mit einer Übernachtung).
- Oder ihr bucht eine Walbeobachtungstour mit der American Princess in Rockaway (Queens), die in Zusammenarbeit mit Gotham Whale ebenfalls ein wissenschaftliches Programm mit der Fotosafari auf dem Meer verbinden (Infos gibt es hier).
Anke von Heyl
August 25
Das ist wunderbar und danke, dass ich dank dir mal reinschnuppern konnte. Ich werde leider ziemlich schnell seekrank. Wale finde ich faszinierend. Aber ich habe auch riesigen Respekt. In Köln gibts übrigens eine Kirche, in der hängen Walknochen. Marias Rippen werden die genannt! Es kam tatsächlich schon vor, dass ein Wal den Rhein hinauf geschwommen ist. Der letzte in den Sechzigern war sogar weiß!
Herzliche Grüße über den großen Teich.
Anke
Petrina Engelke
August 25
Liebe Anke,
wer hätte gedacht, dass Köln so tolle Walgeschichten zu bieten hat? Danke für deine Anmerkungen! Ich bin schwer beeindruckt, und falls ich jemals gebeten werden sollte, einen neu erspähten Wal zu benennen, muss der natürlich Maria heißen. ;-) Freut mich sehr, dass dir meine kleine Geschichte gefallen hat. Ich überlege, das Thema noch einmal ausführlicher aufzugreifen … vielleicht finde ich ja sogar in Deutschland passende Medien dafür.
Liebe Grüße in die Walstadt am Rhein
Petrina