Laut Kalender ist der Sommer noch gar nicht vorbei, und es ist auch noch schön warm. Aber in New York hat der Ernst des Lebens wieder begonnen, und da ist klar, wohin es mich zieht: weit weg an den Strand.

Natürlich nur wegen der Recherche.

Draußen am Meer sehen sie das Ende der Strandsaison mit gemischten Gefühlen. Einerseits rennen nicht mehr so viele aufgeregte Manhattanites mit ausgestreckten Handys auf der Suche nach Empfang herum. Andererseits verläuft der Wandel so schockartig, dass viele Ferienorte den Tag nach dem Labor Day-Montag Tumbleweed Tuesday nennen.

Nicht dass am Meer diese aus Westernfilmen bekannten Pflanzenballen durch die Straßen wehen. Die wachsen da gar nicht. Aber die Imbissbuden und Bars machen um diese Zeit meist die Schotten dicht.

Auch Baden ist nach Labor Day verboten, weil dann keine Rettungsschwimmer*innen mehr Dienst schieben. Eigentlich wollte die Stadt die Saison dieses Jahr wegen Schönwetterstimmung verlängern. Aber dann kam der Hurrikan Dorian, zerlegte die Bahamas und ein Stückchen von North und South Carolina und Virginia.

Und auch wenn die New Yorker Küste nur die Ausläufer des weit entfernten, schwachen Reststurms abkriegt, sind die Strände gesperrt. Auch für Surfer*innen. Aber die haben in New York den ganzen Sommer auf Wellen wie diese gewartet.

Rockaway Surfer Ausläufer von Dorian

Und ich habe auf rip currents gewartet. Das sind gefährliche Strömungen, die bei bestimmten Wetterbedingungen entstehen und eine starke Sogwirkung vom Strand aufs offene Meer entwickeln.

Für einen Text über dieses Phänomen hatte ich ein komplettes Training gemacht – aber nur mit Fotos, muss ja wetterunabhängig funktionieren, so was. Nun wollte ich mal sehen, ob ich die auch in der Natur erkennen kann. Weil der Wetterbericht ein hohes Risiko dieser gefährlichen Strömung vorhergesagt hat, stürze ich mich am Wochenende nach Labor Day morgens um zehn am Rockaway Beach … nein, nicht in die Wellen: ins Getümmel.

Rockaway Surfer Dorian

Ich habe noch nie so viele Surfer auf einen Haufen gesehen, nicht in Kalifornien, nicht in Florida, nicht in Montauk, und auf Hawaii war ich noch nie. Wer kein Surfbrett hat, traut sich hier nicht mal mit dem Füßen in die donnernden Wellen.

Rockaway Beach New York

Ich traue mich nicht mal, die Park Ranger, die ein paar Schritte neben mir stehen, nach rip currents zu fragen. Sie gucken grimmig; einer hat ein Megafon in der Hand.

Rockaway Surfer

Nach einer Weile oben auf der Promenade sehe ich ein paar Stellen, die rip currents sein könnten, aber so richtig eindeutig ist das alles nicht. Und wisst ihr was? Es ist mir schnuppe. Auch ohne Chance auf eine 1A-Warnfoto-Option kann ich mich an den Wellen nicht sattsehen.

Ich mache nur mal Pause, um mir eine herrlich ungesunde Pommes mit Beach Boys-Soundtrack im Rücken und Meer vor der Nase reinzuziehen. Und dann natürlich … Rock, Rock, Rockaway Beach. Wie jedes Mal denke ich, dass ich da öfter hinfahren sollte. Schließlich kriege ich in der U-Bahn jede Menge Zeug weggelesen, das spart Arbeitszeit. Und heute gibt es auch noch ein Gratiswellenspektakel.

Nur kurz fachsimpelt die Frau mit dem langen Zopf, die gerade mit ihrem hellblauen Surfboard über die Wellen gezischt kam, mit dem Surfer im Sand, der schon seit der Dämmerung da ist. “Ich muss wieder rein”, sagt sie, und der Typ nickt. Er schafft es, gleichzeitig zu gähnen und glänzende große Augen zu machen.

Derselbe Sturm, der viele Menschen um ihr Zuhause und all ihre Sachen gebracht hat – was so manche New Yorker*innen vor sieben Jahren selbst erlebten, und zwar inklusive der Bewohner*innen von Rockaway (wie es damals dort aussah, könnt ihr euch hier anschauen) – bringt die Gesichter, die aus den schwarzen Anzügen leuchten, zum Strahlen.

Prompt rutsche ich in Binsenweisheitspseudophilosophie ab, mit Medaillenseiten, Freud, Leid, Yin, Yang und was nicht alles. Achtzig Prozent Salzwasser, das auf einmal Heimatgefühle geltend macht. Und natürlich total mindful alle hier, bitte einmal Dankbarkeit auf tausend Notizbuchseiten …

Aber dann quäkt auf der Fähre zurück nach Manhattan so ein Typ in sein Handy, wie scheiße die anderen surfen, dass er da so richtig der Star gewesen sei mit Sachen, für die er in Kalifornien kein müdes Lächeln geerntet hätte … oder hat er “auf den Bahamas” gesagt?

Das Meeresglücksgefühl und diese seltsame Mischung aus Entspannung und Hibbeligkeit, die das in mir auslöst, schwappen als Strandgut in spe in meinem Kopf herum. “Mach was draus”, wispern die Wellen, “mach was draus.”

Rockaway Beach New York