Neulich erst sagte jemand aus Deutschland, ich kenne New York wie meine Westentasche. Das wäre schade. Denn eine der New Yorker Eigenschaften, die mir am liebsten sind, ist: Diese Stadt überrascht.

Was mich dieses Foto gekostet hat? Kurz gesagt: 26 Dollar. Den Preis wusste ich vorher, aber das Motiv war ein anderes. Für ein spannendes Projekt, von dem ich euch bald auch erzählen werde, brauchte ich ein ganz bestimmtes Bild. Nämlich den Eingang einer gated community. Diese geschlossenen Wohnsiedlungen gibt es auch in NYC, sie heißen zum Beispiel Seagate oder Breezy Point und liegen verkehrsungünstig für mich. Vor allem aber faszinierte mich der Name einer gated community in New Jersey: Port Liberté. Hafen der Freiheit. Für eine Siedlung hinter Zäunen und Schranken. Das war definitiv mein Fotomotiv!

Port Liberté liegt ein bisschen abgelegen, von Manhattan aus gesehen hinter der Freiheitsstatue nahe Greenville, einige Bahnstationen von Jersey City. Der Fußweg von der Bahn zum Pförtnerhäuschen zieht sich ganz schön, wie ich mit Hilfe von Karten herausfand; einen verlockend aussehenden Spazierweg fand ich auch, allerdings bedeutete jener mindestens eine Stunde pro Weg, plus noch eine gute halbe Stunde mit der Bahn nach Manhattan, und noch mal viel länger bis zurück an meinen Schreibtisch. An dem viel ungetane Arbeit leise vor sich hin nörgelte. Ich hatte keine Zeit, für ein Foto einen halben Tag zu investieren.

Doch ich fand auch eine Alternative: Die Siedlung hat ihre eigene Fährhaltestelle, und ihre Fähre steuert keine Zwischenstationen an. Sie verkehrt nur zwischen Port Liberté und Manhattan, morgens bis halb zehn, dann nachmittags wieder zwischen vier und sieben. Letzteres war zu spät für mich; im Winter geht die Sonne in New York um kurz nach vier unter. Eine Fahrt kostet 13 Dollar.

In Manhattan ist ein Kartenverkauf gar nicht vorgesehen, ist ja irgendwie logisch, aber mir musste es der (angesichts meiner Anwesenheit perplex dreinschauende) Mann auf der Fähre erklären. Alle anderen Fahrgäste kannte er persönlich.

Sie wohnen in ihrer eigenen Welt und haben einen herrlichen (aber teuren) Weg zur Arbeit und zurück: Die Fähre bleibt eine ganze Weile im Kanal für die Berufsschiffahrt im New Yorker Hafen, in dem z. B. auch die Staten Island Ferry fährt. Nach der Freiheitsstatue biegt sie dann aber ab und fährt in Richtung Festland, zwischen Hafengelände und Wohnsiedlung vorbei.

Port Liberté ist eine seltsame Siedlung, soweit ich es sehen kann. Auf dem Gelände war einmal ein Naturstrand – quasi auf Sand gebaut. Kanäle ziehen sich an den Häusern entlang, und an ihrem Rand ist ein Stück öffentliches Gelände: der Hudson River Waterfront Walkway. Weil ich eine Dreiviertelstunde Zeit habe, bis die letzte Fähre nach Manhattan fährt, folge ich diesem Spazierweg in der Hoffnung auf einen Blick über die Upper New York Bay.

Manhattan Skyline

Da stehe ich und sehe meine Lieblingsstadt aus einem Winkel, aus dem ich sie noch nie sah, und mache dieses Foto. Zaghaft schiebt sich die Sonne durch den Morgendunst. Auf dem gesamten Rückweg in der Fähre bekomme ich den Song “Hazy Shade of Winter” von Simon & Garfunkel (oder auch den Bangles) nicht mehr aus dem Kopf.