William Wegman hat seinen Hund mit zur Arbeit gebracht. Schon wieder. Seit 50 Jahren geht das schon so; nicht mit demselben Hund, versteht sich. Aber wo Wegman arbeitet, liegt ein Weimaraner herum oder macht irgendwelchen Unfug. Oder es sind sogar mehrere, die haben sich schließlich vermehrt. Generationen von Hunden, und eine illustre Karriere, untrennbar miteinander verbunden – und inzwischen sogar als U-Bahn-Kunst in Form von riesigen Mosaiks in Wegmans Wahlheimat New York verewigt.
Dutzende Bücher hat William Wegman mit Bildern von Weimaranern gefüllt. Mit Perücke im Disco-Look, mit Paddel in der (menschlichen) Hand am See, im schicken Pullover oder im Astronautenanzug: Nicht immer, aber oft posieren die Weimaraner für Wegman im Menschenkostüm. Der ganze Keller seines Ateliers in Chelsea ist voll mit Requisiten und Kostümen, die aus Secondhandläden und Flohmärkten stammen.
Für die eigentliche Arbeit als Fotomodelle sind sie wie geschaffen: Weimaraner sind Vorstehhunde, daraufhin gezüchtet, bei der Jagd auf Beute hinzuweisen, indem sie regungslos stehenbleiben. Davon ist zunächst nichts zu sehen. Die Hunde tollen herum, schnüffeln an neuen Helfer*innen oder gähnen auf der Couch. Unterdessen baut Wegman sein Set auf, stimmt Requisiten und “Garderobe” auf die Persönlichkeit des Hundes ab und prüft die Beleuchtung an Ort und Stelle. Schließlich beordert der Künstler einen Hund auf einen hohen Sockel, wo er in Windeseile eingekleidet wird. Dann kurz stillhalten, während Wegman fotografiert, und runter vom Sockel.
“Ein Hund braucht keine Verkleidung, um menschlich zu erscheinen”, findet Wegmann. Sein zuletzt erschienenes Buch heißt “Being Human” (deutscher Titel: “Menschen wie wir”). Der Künstler ist der Ansicht, dass es viel mehr mit den Betrachter*innen zu tun hat, wie seine Fotografien ankommen. “Ich glaube, so sind wir programmiert: uns selbst zu sehen.”
Sorgen macht dem Künstler, dass seine Fotos Begehrlichkeiten wecken könnten – und die Tiere als Trend-Accessoires missverstanden werden. Weimaraner seien alles andere als einfach, jeder mit seiner eigenen Persönlichkeit und anspruchsvoll in der Haltung. Insgesamt 14 Weimaraner haben ihn in den vergangenen 50 Jahren begleitet.
Doch auch wenn Fans sich William Wegman ohne Hundebilder nicht vorstellen können: Er war schon als Künstler anerkannt, ehe ein Welpe durch sein Atelier tappte. Er hatte nicht einmal vor, einen Hund anzuschaffen – mit Malerei, Film und etwas Fotografie hatte er genug zu tun.
Aber seine damalige Gattin Gayle wollte einen großen, kurzhaarigen Hund. Einen Dalmatiner vielleicht, oder einen Deutsch Kurzhaar. Eine Zeitungsannonce bot Weimaraner an – und einer der Welpen gefiel beiden. Aber wirklich einen Hund ins Haus holen? William Wegman wollte eine Münze entscheiden lassen: Kopf – kein Hund, Zahl – Hund. Er warf. Und nochmal. Und nochmal. Und nochmal. Und noch ein letztes Mal. Drei aus fünf sollten entscheiden; fünf Mal fiel Zahl.
Die Wegmans nannten ihren Weimaraner Man Ray. Doch im Atelier benahm er sich weniger wie ein großer Künstler und mehr wie ein Welpe. Er latschte durch mühsam aufgebaute Sets, nervte seinen Besitzer bei der Arbeit, und wenn er angebunden wurde, jaulte er in den schlimmsten Tönen. Als Motiv kam May Ray nur ausnahmsweise für Wegman in Frage; der Niedlichkeitsfaktor von Tierfotografie hatte in seiner künstlerischen Vision keinen Platz. Widerwillig fotografierte er den Hund 1970 zum ersten Mal. Als Man Ray 1982 starb, widmete ihm die New Yorker Zeitung “Village Voice” eine Titelseite: “Man of the Year“, stand da mit einem Bild des inzwischen berühmten Weimaraners. Vier Jahre dauerte es, bis sich Wegman wieder eine Weimaraner-Muse anschaffte, deren Nachkommen ihn heute inspirieren.
Vielleicht gehört genau das zu dem, was einen Menschen ausmacht: Die Zufälle, die sich ihm in den Weg werfen – vielleicht sogar ganz buchstäblich mit fünf Münzwürfen – und was er aus ihnen zu machen versteht.
“Stationary Figures” von William Wegman, U-Bahn-Haltestelle 23rd Street auf den Linien F und M.
Wenn ihr sehen wollt, wie der Künstler aussieht – und seine derzeitigen Weimaraner: Da gibt es auf Youtube ein paar Minuten Video von einem etwas älteren Beitrag des TV-Senders PBS.
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