In dieser Gasse hat die Crème de Punk gekotzt. So was würde ich sagen, wenn ich eine entsprechende Tour in dieser Gegend machen würde. Aber würde mir das jemand glauben?

Extra Place Gasse hinter CBGB

Sieht doch wie blankgeleckt aus, jedenfalls nach New Yorker Verhältnissen, und nicht wild und gefährlich. Stimmt aber trotzdem. Weiter hinten vor dieser rotbraun getünchten Wand standen einmal die Ramones, um sich für ein Plattencover fotografieren zu lassen. Normalerweise trieben sie sich an dieser Stelle nur herum, um Schindluder zu treiben.

Doch dieser eine Moment war nun auf Zelluloid gebannt, wenn auch nicht für ihr berühmtes erstes Album (die Wand dafür steht einen Häuserblock weiter nördlich), sondern für ihr drittes, “Rocket To Russia”. Zu der Zeit waren sie längst Stammgäste im CBGB, auf dessen Bühne sich Ende der 70er Jahre The Misfits, Patti Smith, Blondie, die Dictators, die Cramps, die B-52’s, die Talking Heads und natürlich die Ramones die Klinke in die Hand gaben. Die Hintertür des Punk-Clubs war genau da hinten in diesem Gebäude auf der linken Seite. Wer dort hinaustrat, sah sich nicht von Lichterketten und Leere umgeben, sondern von Schrott, Müll und den Überresten ausschweifender Nächte.

Im East Village und um die Bowery herum gibt es viele Pilgerstätten für “das alte New York”, da kann man nach besetzten Häusern Ausschau halten oder nach Revoluzzertreffs oder nach Punkrockschuppen. Doch die berühmtesten Gehäuse für den Geist einer anderen Zeit haben heute ein anderes Innenleben. Da ziehen die Leute trendy Boxhandschuhe an, statt schlagkräftige Argumente auf Flugblätter zu drucken (Overthrow/Yippies) oder sie blättern an der Kasse ein paar Hundert Dollar für Klamotten hin, statt dort jemanden zu bequatschen, sie umsonst ins Konzert zu lassen (John Varvatos/CBGB).

Die Gasse hinter dem CBGB blieb auch nach dessen Schließung ein Ort, an den sich höchstens Betrunkene verirrten; bis 2009 war die Straße unbefestigt, die Wände voller Graffiti. Das sah und sieht vielleicht nach Hinterhof aus, hat aber einen amtlichen Namen:

Extra Place New York

“Extra” kommt auf Englisch ganz schön zweideutig daher. Als es noch Zeitungsjungen gab, kündigten jene mit “Extra! Extra!” eine Sonderausgabe an – da war auf jeden Fall etwas Spannendes los, und um solche Extras rissen sich die Leute. Gleichzeitig kann extra aber auch das bezeichnen, was keiner haben wollte – Reste oder Überschüssiges. Und man kann durchaus eine Straße übrig haben in New York. Na ja, man konnte. Als Manhattan noch wie weites Land aussah.

Im Jahr 1802 teilte der Bauer Philip Minthorne seinen Hof gerecht unter seinen vier Söhnen und fünf Töchtern auf – Parzelle für Parzelle, und dann blieb ein schmaler Streifen Land übrig. Macht man halt eine Straße draus und nennt sie Extra Street. Früher einmal war das wirklich eine Straße, die dann zwischen der kurz darauf am Reißbrett geplanten und dann auch gebauten 1st und 2nd Street verlief. Als Manhattan sich weiter füllte, war Schluss mit Durchfahrt, Häuser sollten her. Deshalb heißt das jetzt eben Extra Place. Konnte ja niemand ahnen, dass viel, viel später einmal jedes Fitzelchen übriggebliebener Raum in Manhattan heiß umkämpft sein würde.

Die Firma, die das Grundstück gegenüber der besagten Hintertür kaufte und dort 2009 ein großes Mietshaus hinbaute, hat übrigens den Extra Place asphaltiert. Ihr schwebte für die Gasse ein neues Dasein als eine Art Pariser Rive Gauche vor, mit flanierenden PassantInnen, Läden und Restaurants. Keine Ahnung, wie das mit dem Flanieren in einer Sackgasse funktionieren sollte, aber nun denn, Punkrockbands haben früher auch nicht drüber nachgedacht, wie das mit den Gitarrenakkorden funktionieren soll.

Ein Gourmetschokoladenladen ist am Extra Place schnell eingezogen – hielt sich aber nicht lange. Restaurants waren immerhin schon mal hartnäckiger, nur flaniert wurde nicht, und es wollte sich auch partout kein Sartre oder Hemingway von der öden Gasse inspirieren lassen. Die KünstlerInnen kamen in der jüngsten Geschichte des Extra Place nicht mal zufällig her, weil sie pinkeln mussten oder so – aber weil sie gebeten wurden. Die Kulturorganisation FABnyc bringt seit 2011 jedes Jahr neue Kunst auf einen Streifen des Gassenbodens.

Auf der anderen Seite ist Platz für Tische und Stühle und RestaurantbesucherInnen. Und die börsennotierte Firma, die den Extra Place mit ihrem Wohnhaus mit Geschäftszeile neu beschattet hat, hat derzeit auch ein Plätzchen frei. Die günstigsten Wohnungen kosten dort derzeit 4.300 Dollar im Monat.

Extra Place New York

 

Den Extra Place findet ihr auf der 1st Street zwischen Bowery und Second Avenue.

Mehr über Punk und New York könnt ihr in meinem Interview mit Marc H. Miller nachlesen, der zu dessen Hochzeiten um die Ecke von diesem Ort wohnte und die große Ramones-Ausstellung im Queens Museum (2016) organisierte.