Der Weihnachtsmann sieht zwar dem Nikolaus zum Verwechseln ähnlich, aber er hat seine eigene Geschichte. Manche zählen ihn gar zu den erfundenen Traditionen, die sich immer wieder in den USA finden – wie in anderen Ländern auch. Und bei der Erfindung von Santa Claus spielt New York eine wichtige Rolle.

Die Gestalt: Wie Thomas Nast dem Santa Claus eine Form gab

Wie sieht der Weihnachtsmann aus? Was uns heute dazu einfällt, stammt zu einem Gutteil aus der Feder des New Yorker Künstlers Thomas Nast. Mit sechs Jahren war er 1846 aus Landau in der Pfalz nach New York gekommen, wo er Zeichner wurde. Sein Spezialgebiet klingt nicht sonderlich festlich, und fröhlich schon gar nicht: Thomas Nast war für seine politischen Karikaturen geliebt und gefürchtet. Den Weihnachtsmann zeichnete er erstmals im Jahr 1862, mitten im Amerikanischen Bürgerkrieg.

Anfang Januar 1863 veröffentlichte „Harper‘s Weekly“ ein melancholisches Bild mit einer betenden Frau und einem ruhenden Soldaten der Nordstaaten – und klitzeklein im Hintergrund: ein Weihnachtsmann mit Schlitten beziehungsweise am Schornstein. In derselben Ausgabe verteilt ein Santa Claus politisch aufgeladene Geschenke im Soldatenlager. Die beiden Zeichnungen könnt ihr euch hier anschauen.

Mal ganz abgesehen von der Propaganda in Nasts Bildern: Dieser Weihnachtsmann ist längst noch nicht so rundlich und fröhlich, wie wir ihn heute kennen. Aber Thomas Nast greift eben auch ein bisschen auf seine Herkunft zurück und gestaltet die Santa-Figur in Anlehnung an den deutschen Nikolaus. Seine andere Inspiration ist ein Gedicht, das in den USA zu dieser Zeit schon berühmt ist – und die Geschichte vom Weihnachtsmann maßgeblich geprägt hat. Auch dieses Werk stammt aus New York.

Ein Gedicht: Wie Clement Clarke Moore einen Mythos zusammenreimte

Die wohl wichtigste Vorlage für diese frühen Bilder vom Weihnachtsmann ist das Gedicht „A Visit From St. Nicholas“, heute besser bekannt als „Twas the Night Before Christmas“. Ab 1823 kursierte es in verschiedenen Zeitungen, aber erst 1837 bekannte sich ein New Yorker als Urheber. Clement Clarke Moore soll über seinen Ruhm nicht glücklich gewesen sein, sagen die einen. Moore selbst sagte später, er habe dieses Gedicht nur geschrieben, um seine sechs Kinder zu erfreuen, und nie an eine Veröffentlichung gedacht.

Die anderen sagen, Moore kann unmöglich der Autor gewesen sein. In heiterem Singsang erzählt das Gedicht die Geschichte eines gewissen „Saint Nick“, der mit Schlitten und lustig benannten Rentieren anrückt und dann durch den Schornstein steigt, um den Kindern Geschenke in die Socken zu stecken (das Gedicht könnt ihr hier nachlesen). So was passt so gar nicht zum öffentlichen Image von Clement Moore.

Dieser New Yorker war nämlich eigentlich Zeit seines Lebens bemüht, seinen Ruf als bierernster Gelehrter zu zementieren. Schon sein Vater war ein einflussreicher Bischof, der zeitweise eine Universität leitete. Moore junior entschied sich gegen eine Karriere im Klerus und für den Elfenbeinturm – und kaufte sich quasi den passenden Job. Praktischerweise hatte er ein Anwesen in der Größe eines ganzen Stadtviertels geerbt. Es hieß – und heißt heute noch – Chelsea.

Davon spendete Moore ein Stück Land – einen früheren Obstgarten – für eine kirchliche Hochschule in Manhattan, und dort wurde er dann zum Professor ernannt. Er unterrichtete griechische Literatur und Bibelkunde und veröffentlichte unter anderem ein Hebräisch-Lexikon.

Moores gesellschaftlicher Status und sein Faible für alte Sprachen und Religion brachten ihn zudem mit Kreisen in Verbindung, die sich Sorgen um die amerikanische Kultur machten. Eine ganze Reihe Herrschaften im New York des 19. Jahrhunderts verfolgte gar den Plan, Weihnachten zu verändern. Für sie war Clement Clarke Moores Weihnachtsmann-Gedicht ein gefundenes Fressen.

Der Zeitgeist: Symbol für amerikanische Kultur gesucht!

Die Ankunft neuer Technologien und Einwanderer*innen, die Herausforderungen einer neuen Ära trafen zuallererst die Städte im Norden der USA – allem voran New York. Dort wurde das Straßenbild immer wuseliger, in Fabriken arbeiteten manche Menschen buchstäblich bis zum Umfallen, und das soziale Gefüge schien sich immer mehr von den Idealen zu entfernen, die das Wort „Gemeinde“ einmal verheißen hatte. Das schuf in gewissen Kreisen ein Bedürfnis nach Symbolen, an denen sich ein gemeinsames Selbstverständnis und eine gemeinsame Geschichte festmachen ließen. Eine Reihe einflussreicher Menschen kam dabei auf den Trichter: Feiertage können genau diesen Zweck erfüllen.

Zu Beginn des 19. Jahrhundert gab es aber keine Weihnachtsfeiertage, wie wir sie heute kennen. Stattdessen gab es wilde Feiern. Die hatten sich ausgehend von Plantagenbesitzern in Virginia verbreitet. Das ganze Jahr über verweigerten sie Sklavinnen und Sklaven jegliche Rechte, setzten sie Willkür und Gewalt aus, zwangen sie, sich zu Tode zu schuften, und speisten sie dabei mit Abfall ab. Aber einmal im Jahr, nach dem Ende der Erntezeit, gewährten viele dieser Plantagenherrschaften den Menschen eine anständige Mahlzeit und ein bisschen Freiraum, teils sogar Geschenke. Sie glaubten, damit benähmen sie sich wie englischer Landadel, und brüsteten sich mit ihrer Güte. Ihr Argument: Die Menschen auf ihrer Plantage dürften doch gerade tagelang Musik, Tanz und Völlerei frönen.

In New York kamen ganz ähnliche Sitten auf, wenn der neu entstandenen Arbeiterklasse zur selben Jahreszeit saisonbedingt die Jobs ausgingen. Während die Reichen in der Weihnachtszeit in die Kirche gingen, nachmittags Besuche machten und abends zu Hause einkehrten, machten die weniger Betuchten die Nacht zum Tag. Junge Männer zogen in Horden durch New York, auch durch die Viertel der Wohlhabenden. Sie tranken, bettelten, gröhlten satirische Lieder und schlugen dazu auf Töpfe und Pfannen, jederzeit konnte es auch zu Sachbeschädigung und Gewalt kommen.

Big Nick?! Wie der Nikolaus beinahe zum Schutzheiligen New Yorks wurde …

Das Karnevals-ähnliche Treiben kam in den oberen Kreisen New Yorks überhaupt nicht gut an. Eine Gegenoffensive ging von einer Gruppe einflussreicher Bürger aus, den Knickerbockers. Die Grundidee: Ein neues Weihnachtsritual sollte her, das ihrem Geschmack entsprach und im sicheren Zuhause stattfinden würde.

Allerdings sollte es nun auch kein neumodischer Kram werden, damit war New York in ihren Augen ja schon genug geplagt. Um zumindest den Anschein von altehrwürdiger Tradition zu wahren, wälzten manche New Yorker nun die Geschichtsbücher auf der Suche nach Ritualen und Figuren aus Europa. Irgendwas halt, was man dann aus nostalgische Tradition verkaufen kann – und das sich gleichzeitig „typisch amerikanisch“ formen lässt.

Der New Yorker Schriftsteller Washington Irving legte mit Beschreibungen eines Weihnachtsfests vor, die lose von einem Aufenthalt in England inspiriert waren – und den Blick von der Straße nach drinnen lenkten. Ein enger Freund von ihm, der Kaufmann John Pintard, war da gerade auf den niederländischen Nikolaus gestoßen: Sinterklaas! Das war offenbar Liebe auf den ersten Blick. Der Gründer der New York Historical Society setzte sich mit einem Pamphlet von 1810 vehement dafür ein, St. Nicholas zum Schutzheiligen New Yorks zu erklären. Statt zum Big Apple hätte New York also auch zur Nikolausstadt werden können.

… und dann halt doch „nur“ zum Weihnachtsmann

Weil Pintard sich auskannte, hatte der Mann im roten Mantel zunächst überhaupt nichts mit Weihnachten zu tun. Aber steife Dinner zum Nikolaustag am 6. Dezember zündeten nicht. Vielleicht war so was den anderen Veranstaltungen der New Yorker Gesellschaft zu ähnlich, vielleicht fehlte da einfach die coole Geschichte. Diese Geschichte lieferte dann Clement Clarke Moore, der ebenfalls Mitglied der New York Historical Society war.

Da sind wir wieder beim Gedicht „A Visit From St. Nicholas“ angekommen. Moore wird die Entscheidung zugeschrieben, den kinderfreundlichen Santa Claus ganz vom alten Bischof von Myra und auch vom 6. Dezember zu lösen und ihn zum Weihnachtsmann zu machen. Und so wurde Weihnachten in New York dank Santa Claus ein Fest für Kinder statt für Erwachsene, und es verlagerte sich vom wüsten Gelage auf der Straße ins heimelige Wohnzimmer.

In diese Hintergrundgeschichten zu Santa Claus und dem amerikanischen Weihnachtsfest hab ich mich übrigens reingebohrt, als ich für mein neuestes Buch recherchiert habe: „American Christmas“, ein (deutschsprachiges!) Kochbuch mit Kulturbeilage, das ich zusammen mit der Journalistin und Foodbloggerin Gabi Frankemölle schrieb. Falls ihr noch ein schönes Geschenk sucht … findet ihr es bei Amazon, GeniaLokal, Thalia, Hubendubel und im unabhängigen Buchhandel.

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