Jede nach ihrer Saison

Samstag, im Schneegestöber, hat mich ein Obdachloser gefragt, wie ich das Wetter finde. Wir konnten uns drauf einigen, dass es in New York nur zwei Jahreszeiten gibt, weil die Übergänge nicht lang genug sind, um als Jahreszeit zu zählen. Und jetzt stehe ich dem Winter gegenüber, und er kauert so im Schatten, dass Fotos ganz blöde aussehen. Der Herbst dagegen ist hübsch: Alison Saar hat ihre Jahreszeiten im Madison Square Park verteilt. Da jagen Touristen mit ihren Kameras den Eichhörnchen hinterher, das finde ich für die Künstler der Saison immer ein bisschen traurig. Ich muss…

Geld im Guggenheim

“Wie oft sagen Sie das am Tag?”, frage ich den Wachmann. Er lächelt betreten. Sehr oft. Ich finde, es würde die Sache vereinfachen, wenn er das gleich am Eingang verkünden könnte. “Sie wollen nicht, dass wir hier laut werden”, sagt er. Ich empfehle ihm, ein Schild um den Hals zu tragen. Er lacht kurz auf und eilt dann zu dem Typen im weißen Pullover. “Sehen Sie den?”, hat er vorher noch gesagt, “der denkt, ich sähe das nicht.” – “So wie ich?”, frage ich, und beeile mich zu erklären, dass man das aber anderswo wirklich…

Bewegungsmelder

Den meisten Leuten fällt es gar nicht weiter auf. Erst mal. Anita’s Way ist ein Durchgang von der 42nd zur 43rd Street am Bank of America Tower, ein Bühneneingang befindet sich dort und gegenüber eine lange Bank, auf der man eine Pause einlegen kann. Tunnelatmosphäre hin oder her, dunkel ist es nicht. Ein Mann eilt vorbei, seine Tasche an die Brust gepresst, den Blick in eine Ferne gerichtet, die irgendwo in seiner Gedankenwelt liegt. Aber dann holt ihn ein Geräusch ins Hier und Jetzt. [audio:https://www.moment-newyork.de/wp-content/uploads/Applaus.mp3|titles=Applaus!] Man kann das auch ganz anders machen. Der Künstler Adam…

Ruhe in der Rush Hour

Hier hetzen viele, viele Leute durch. Grand Central sieht toll aus, ist aber eben nun mal kein Museum, sondern ein Verkehrsknotenpunkt in New York. Links und rechts in der Vanderbilt Hall wartet derzeit “Through my Window” vom südkoreanischen Künstler Ahae – und bringt mich dazu, mich einen Moment auf eine Bank sinken zu lassen. Die Bilder hat Ahae alle durch dasselbe Fenster gemacht. Sie wirken wie ein Pausenknopf.

Der hat nicht auf Sand gebaut

Der Unterschied zwischen Wissen und Kunst liegt in nur einem Buchstaben. New York ist auf Fels gebaut. New York ist aus Fels gebaut. Ersteres freut Architekten, die ihre hochfliegenden Träume auf ein solides Fundament bauen können. Das Ergebnis sehe ich oft und gern. Jetzt aber kann ich mich an Letzterem nicht sattsehen: Manhattan aus Marmor. Yutaka Sone ist mehrfach mit einem Hubschrauber über Manhattan gekreist, bevor er sich an die Arbeit an “Little Manhattan” machte. Zehn Monate lang hat er dann Fotos und Google Earth und einen Marmorblock miteinander abgeglichen. Das Ergebnis sieht aus der…

Goldener Schnitt, goldenes Haar

Nick Cave stellt in New York aus. Nicht dass hier auf einmal allerlei in die Jahre gekommene Musiker jetzt ihre Kunstwerke ausstellen, bloß weil gerade erst David Byrne das gemacht hat. Aber ich frage mich, ob es für Nick Cave aus Chicago ein Vor- oder Nachteil ist, genauso zu heißen wie der Bad Seeds-Vorsteher aus Australien. So einige Besucher in der Galerie tragen jedenfalls ordentlich Rock’n’Roll-Patina spazieren. Aber das macht für mich gar nicht den besonderen Moment des Tages aus. Der hat mit “Mating Season” zu tun. Das ist eine lange Reihe von Figuren, die…

Nachos für Models

Ich weiß nicht, ob es hier so sauber ist, dass man vom Boden essen kann. Könnte sein, macht einen sauberen Eindruck. Aber eigentlich macht man so was ja nicht. Da liegen tütenweise Nachos, und trotzdem hat hier keine Party stattgefunden, zumindest keine solche wie damals auf der East Side. Die Mais-Chips liegen eher so, wie sich ein Mensch mit Ordnungszwang Unordnung vorstellt: Nachos in zwei Farben, die nicht an einer scharfen, geraden Kante, sondern in einem Bogen zusammenfinden, und an der Seite liegen ein paar in der falschen Farbe etwas abgeschlagen herum. Schuld daran ist…