Seit Jahren komme ich oft an demselben Spielplatz vorbei. Manchmal sitzen dort drei alte Herren auf der Bank, schweigend. Manchmal lehnt dort ein Mann mit einem blonden Hund an der Leine und tippt in sein Telefon. Manchmal sehe ich dort eine Gruppe junger Männer Klimmzüge machen oder Bankdrücken oder Situps, einer stärker als der andere. Im Sommer sausen manchmal zwei Hunde durch die Wasserfontäne. Aber niemand jauchzt. Irgendwann fiel mir auf, dass ich auf diesem Spielplatz noch nie ein Kind gesehen habe.
Der Spielplatz gehört zu einem Wohnkomplex und ist nicht für die ganze Nachbarschaft zugänglich. Vielleicht sind die Spielgeräte kaputt oder in den Augen der Eltern zu gefährlich. Von weitem sehen sie betagt aus. Dieser Spielplatz bleibt mir ein Rätsel. Vielleicht wohnen dort keine Kinder. Oder sie sind inzwischen zu alt, um sich für einen Spielplatz zu interessieren.
Die Altersgründe streiche ich mir aus dem Sinn, als ich ganz woanders in Manhattan das hier sehe:
Und das ist kein Einzelfall. Eine ganze Reihe von Attraktionen in New York zielt auf Erwachsene als Publikum für kindliche Vergnügen.
Spielplätze für Erwachsene (und manchmal auch Kinder) in New York
- Die Wippen da oben heißen “Wave-Field” und wurden von den Designfirmen CS Design und Lateral Office entworfen. In der Beschreibung steht, es handle sich um “interaktive Wippen” – muss man auch erst mal drauf kommen! Im Ruhezustand geht ein Summen von ihnen aus; beim Wippen machen sie Geräusche, und ihr Leuchten ändert sich auch. Bis Ende März 2020 stehen sie am South Street Seaport; vorher gab es sie mit dem Namen “Impulse” im Garment District.
- In der Color Factory gibt es knallige Farben nicht nur zum Anschauen, sondern Besucher*innen sollen sich darin richtig versenken können. In anderen Worten: Da gibt es ein Bällebad wie bei Ikea, aber viel schicker und für Erwachsene geeignet. Der Eintritt kostet 38 Dollar (für Kinder ein bisschen weniger).
- Statt Bällebad gibt es im Museum of Ice Cream einen sprinkle pool – mit Plastikteilchen, die aussehen wie riesige bunte Zuckerstreusel. Dort steht außerdem eine Rutsche, die über drei Etagen reicht. Der Eintritt kostet 39 Dollar (nur Kinder unter 2 gratis), und das Ganze ist zeitlich begrenzt, derzeit bis 31. Mai 2020.
- Und im Sloomoo Institute dreht sich alles um slime. Da dürfen Besucher*innen mit dem glibberigen Spielzeug herummanschen, es gibt sogar die Sloomoo Falls, in denen das Zeug auf in Plastikponcho gehüllte Gäste herabpladdert. Kostenpunkt: 38 Dollar.
Fabrik, Museum, Institut: Da will der Spaß aber ganz schön ernstgenommen werden!
Wäre es nicht wunderbar, die Welt für einen Moment wieder so zu sehen wie mit fünf? Das komische Gefühl im Bauch spüren, wenn die Wippe nach unten saust, und oben ein bisschen Nervensirren, weil der Boden so weit weg ist. Na klar, Nervensirren. Wörter erfinden, einfach weil da noch so viele sind, die du nicht kennst, dass dieses doch auch ein echtes Wort sein könnte, und wenn nicht, vielleicht werden.
Aber Erwachsene spielen gar nicht so wie mit fünf. Sie bewerten, fotografieren, machen Witze vor dem Lachen. Zwischen kindlich und kindisch steht Stacheldraht unter Strom. Das wagst du nicht, hier rüberzukommen!
Wippen und die kalte Luft mit dem offenen Mund einfangen, und wenn da was zu essen rein soll, dann kümmert sich wer drum, dass das bald passiert. Zur Not kreischt du ein bisschen. Du kriegst eine Mütze über die Ohren gezogen und vielleicht später heißen Kakao. Aber du darfst da nicht mit vollen Backen reinblasen. Und obwohl du sagst, du hast noch ganz große Augen, musst du schlafen gehen. Ein kleines Licht bleibt an, wenn du Angst vor dem Dunkeln hast, und irgendwer passt auf, dass die Ungeheuer in ihrer Ecke im Schrank bleiben.
Freiheit? Dafür bist du noch zu klein!
Ach, warte mal: Darum geht’s? Die Sehnsucht danach, noch zu klein für die anstrengenden, unheimlichen Sachen zu sein? Miete, Plauze, steigende Meeresspiegel: Ach, wenn doch nur Mami, Papi und die anderen Großen damit belämmert würden. Das kann man so aber nicht sagen; ist ja peinlich. Von wegen, frei wie der Wind – frei wie ein Kind!
Und dann öffnen “Institute” und “Museen”, in denen kein freier Gedanke eine Überlebenschance hätte. Sie geben ihrer Kundschaft fünftausend Regeln vor. Ganz wie die Märchenstiefmutter. Oder Papa mit seiner heiligen Star Wars-Sammlung.
So geht das eben auf dem Spielplatz: Immer steht irgendwo ein Schild mit Regeln, und meistens auch irgendein Mensch mit der Macht, Regeln zu machen. Macht aber nix: Erwachsene Menschen können ja praktischerweise Fragen stellen und Einwände erheben – und sich manchmal Kinder zum Vorbild nehmen. Die schlagen sich zwar mit zig Regeln herum; aber was ihnen Spaß macht, lassen sie sich nicht vorschreiben. Oder?
Mehr Kinderkram? Bitteschön:
- Blickfang: Richtig Arbeit für Kinderlungen
- Orchard Beach: Wo Eltern ihre Kinder wiederfinden
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