L train shutdown. Das war das Stichwort, unter dem man für lange Zeit am meisten zu diesem heißdiskutierten Thema in New York fand. Jetzt heißt es L train slowdown. Und ich erkenne meine Stadt nicht wieder.
Da hab ich mich so schön dran gewöhnt, dass New York entscheidungsfreudig, nee, entscheidungsfordernd ist, ja oder nein, zack, zack, sonst steht nicht mal mehr die Frage im Raum. Doch seit Januar steht New York auf einmal für “ja, nein, vielleicht, ach nee, doch nicht”. Und damit nicht genug: In der Stadt, auf deren Gehsteigrennbahn Tourist*innen als Hindernisse für den Riesenslalom dienen, macht ausgerechnet Verlangsamung Schlagzeilen – als die bessere Alternative. Da hilft es gar nicht, dass das mit der Langsamkeit trotz allem so nett gemeint ist wie das Wort Spaßbremse.
Denn gebremster U-Bahn-Verkehr ist zwar besser als gar keiner, aber immer noch das Gegenteil von gut. Hilft alles nix: Die U-Bahn-Linie L kann nicht weiterfahren wie bisher, das ist seit Jahr und Tag bekannt, und jetzt, Ende April, tut sich da was.
Der L train fährt von Manhattan nach Brooklyn durch den Canarsie Tunnel unter dem East River durch, und der Hurrikan Sandy hat diesen Tunnel im Jahr 2012 beschädigt. Seither steht die Frage im Raum, wie man so was repariert in einer Stadt, deren U-Bahn jeden Tag 24 Stunden fährt. Kaum jemand hat gestaunt, als die Antwort lautete: Wir müssen den Tunnel für eine Weile schließen, also für ungefähr ein, zwei Jahre. Das fand natürlich niemand toll, der entlang dieser U-Bahn-Linie wohnt, arbeitet oder ein Geschäft besitzt.
Die Linie L führt quer durch Manhattan unter der 14th Street entlang und dann in Brooklyn durch Williamsburg, Bushwick, Brownsville und East New York bis nach Canarsie, und nur an drei seiner Haltestellen in Brooklyn halten auch andere Züge. Durch die Tunnelreparatur spielt New York plötzlich Verkehrsmonopoly, und ratet mal, wer dabei schlechte Karten hat?
Von April 2019 bis Juli 2020 sollte bei der Linie L der Verkehr in Manhattan und auf dem Stück zwischen Manhattan und Brooklyn komplett ausfallen. Doch Anfang Januar machte Andrew Cuomo, der Gouverneur des Bundesstaats New York – größtenteils für die Verkehrsbetriebe verantwortlich – breaking news: Er habe Wissenschaftler*innen beauftragt, Alternativen zu suchen, und nun müsse der Tunnel gar nicht komplett geschlossen werden, sondern nur abends und an den Wochenenden. Tadaaa!
Da zeigte das Fernsehen im Waschsalon (wo ich grad zu diesem Zeitpunkt war) verwirrt-erfreute Gesichter von Fahrgästen und gleich ein paar skeptische Bemerkungen: Ist das jetzt sicher? Und wie genau soll das denn gehen? Wochenlange Diskussionen später ist es heute Abend so weit: Ab 20 Uhr wird der Canarsie Tunnel repariert, und die rund 225.000 Menschen, die diesen Zug täglich nutzen, müssen sich wappnen.
Das betrifft zum Beispiel die wohlhabenden Menschen mit Eigentumswohnung in Williamsburg, die mit der Bahn ins Büro gondeln. Da kommen die jetzt tagsüber weiterhin prima hin (Williamsburg belegt die ersten paar Haltestellen nach der Abreise aus Manhattan), dafür haben sie schließlich lautstark Rabbatz gemacht, und sie können trotzdem noch herrlich jammern, weil es mit dem Ausgehen in der Stadt so neeervig wird – nach 20 Uhr und an den Wochenenden fährt der L train nun nur noch dreimal pro Stunde! Na, so oft fährt man ja dann doch nicht nach der Arbeit noch mal in die City.
Umgekehrt wollen Tourist*innen und andere Fans der Edelfressmeile Smorgasburg am Wochenende nach Williamsburg. Magenknurren wegen des slowdown ist aber immer noch besser als Magengeschwür, wollnich? So manche Nachbar*innen waren schließlich wegen der angekündigten Komplettschließung aus Williamsburg weggezogen und ärgern sich jetzt schwarz. So ist das beim U-Bahn-Monopoly.
Unfreiwillig spielen dabei auch Brooklynites mit, die auf Mindestlohnjobs in Manhattan angewiesen sind, wo sie zum Beispiel die Büroleute nach Feierabend bedienen – und dann nachts oder am Wochenende nach East New York müssen oder von dort nach Manhattan. An Arbeitsplätzen wie Fastfood-Restaurants oder Krankenhäusern gilt der öffentliche Nahverkehr nicht als legitimer Grund, wenn wer zu spät zur Arbeit kommt. Doch niemand weiß, wie lange so eine Reise nun dauern wird – nur, dass sie lange dauern wird.
An den Wochenenden befördert der l train zu Spitzenzeiten 8.000 Fahrgäste pro Stunde; mit dem verlangsamten Takt kann er nur 4.300 Fahrgäste pro Stunde schaffen, rechnet die Riders Alliance vor: Das macht 3.200 Menschen, die buchstäblich auf der Strecke bleiben.
Als noch von einer kompletten Stillegung der Teilstrecke von Manhattan bis Williamsburg (rund um den Tunnel) die Rede war, waren Gelder und Logistik bereitgestellt für Schienenersatzverkehr: Eine Extrafähre sollte über den East River nach Williamsburg schippern, und vor allen sollten Busse auf der 14th Street eine Extraspur auf die Straße gebaut bekommen samt Schnellbus-Haltestellen und dann über die Williamsburg Bridge fahren. Als Governor Cuomo im Januar den shutdown vom Tisch wischte, verschwanden auch diese Pläne. Der neue Schienenersatzverkehr hieß Fragezeichen.
Erst ein paar Tage vor dem Beginn des L Train Slowdown kündigt der New Yorker Bürgermeister Bill de Blasio an, den privaten Autoverkehr auf einem Gutteil der 14th Street zugunsten der Busse zu verbieten – ab Juni. Außer Bussen dürfen dann LKWs über die 14th Street fahren, und Privatwagen dürfen kurz hin, um etwas auszuliefern oder abzuholen. Hört sich nach Bus-Slalom an, und vielleicht macht das ja Spaß. Wahrscheinlich gibt es ohnehin kaum eine Wahl.
Denn wer in New York U-Bahn fährt, merkt schnell: Kommen die Bahnen aus dem Takt und man steht länger als ein paar Augenblicke am Bahnsteig, füllt sich dieser immens – und man passt zuweilen gar nicht rein, wenn die Bahn dann endlich kommt. Und nun kommt so ein slowdown mit Ankündigung, und er dauert bis mindestens Sommer 2020. Die New Yorker Verkehrsbetriebe MTA raten gleich schon mal, auf andere Verkehrsmittel oder -wege umzusteigen, wenn man in den ersten L train, den man zu Gesicht bekommt, nicht hineinpasst. Die MTA behält sich vor, Haltestellen zu schließen, wenn sich dort zu viele Leute drängeln. Das hat zu einer ganz neuen Forderung von Fahrgästen geführt: Webcams, auf denen man vor dem Abstieg in die U-Bahn-Katakomben nachschauen kann, wie viele Leute dort schon warten.
Praktischerweise trifft der Schlamassel nicht etwa die Linie 2 oder A. Mit einem L lassen sich einfach die besseren Spitznamen bauen. Schon mit ein bisschen Husten klingt der l train selbst in seinen besten Zeiten nach einem Höllenzug.
Eine Gruppe Comedians, die sich Straw Man Collective nennen, hat schnell noch ein musikalisches Parodie-Video gedreht, das ihr euch auf Youtube anschauen könnt: The Day the L Train Died.
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