Rund um die Haltestelle East Broadway könnt ihr den ständigen Wandel in New York erleben. Ende des 19. Jahrhunderts wurde in diesem Teil der Lower East Side eine große Gruppe jüdischer EinwandererInnen aus Deutschland und Osteuropa skeptisch beäugt von IrInnen, die Mitte des 19. Jahrhunderts der großen Hungersnot in ihrem Land geflohen waren. Beide dieser Einwandergruppen waren arm. Die besser situierten BürgerInnen aus den Zeiten, in denen Manhattan relativ neu von EuropäerInnen besiedelt war, waren da schon weiter in den Norden der Insel gezogen.

Im 20. Jahrhundert gesellten sich PuertoricanerInnen hinzu, und in den 1960ern kamen dann auch die ersten ChinesInnen an. Heute ist die Gegend zwar als Chinatown bekannt – doch, ihr ahnt es: Das wandelt sich auch schon wieder. Der große Unterschied zu den vielen Gruppen zuvor ist: Die neuen NachbarInnen bringen jede Menge Kohle mit.

Haltestelle East Broadway

Zur Haltestelle East Broadway bringt euch die Linie F, und wenn ihr dort aussteigt, landet ihr am Rand eines kleinen Parks namens Seward Park mit seinen Spielplätzen. Einen Katzensprung entfernt findet ihr hebräische und asiatische Schriftzeichen auf engstem Raum, Kino für den anspruchsvollen Geschmack und Läden für Trendsetter, deutsche Denkervisagen und … Katzen, die ihr mieten könnt.

Vom Arbeitskampf zum Luxusobjekt: Das Forward Building

Mit dem Seward Park im Rücken schaut ihr auf ein schönes, altes, relativ hohes Gebäude, über dessen Portal “Forward Building” steht. Dort arbeitete zwischen 1912 und 1974 die Redaktion der 1897 gegründeten jiddischen Zeitung “The Forward”, auch bekannt als “Forverts” oder “The Jewish Daily Forward”. Ihr Gründer Abraham Cahan stammte aus der Nähe des heutigen Vilnius und hatte dort mit radikalen SozialistInnen gearbeitet, die vom Sturz des russischen Zaren träumten. Nach dem Umzug nach New York wollte Cahan das Leben seiner NachbarInnen im jüdischen Slum verbessern – nicht mit sozialistischer Propaganda, sondern mit Denkanstößen sowie Literatur, Unterhaltung und praktischen Tipps für EinwanderInnen. Als er der Zeitung 1912 ein eigenes Haus baute, war es der erste Wolkenkratzer auf der Lower East Side. Bis in die Zeit des Nationalsozialismus hinein war The Forward sozialistisch ausgerichtet, die jiddische Zeitung hatte zeitweise mehr LeserInnen als die New York Times und das Gebäude wurde zu einem Treffpunkt der New Yorker ArbeiterInnen- und Gewerkschaftsbewegung.

Forward Building East Broadway

Forward Building East Broadway

Wie Schutzpatrone wachen in der Fassade des Redaktionsgebäudes die Gesichter von Karl Marx, Friedrich Engels, Ferdinand Lasalle und … tja. Da könnt ihr mitraten, wenn ihr davor steht: Niemand weiß heute, ob es Wilhelm Liebknecht, Karl Liebknecht or August Bebel ist. Unter deren Blick gehen heute Menschen mit Geld ein und aus. Seit der Umwandlung in Luxuswohnungen zählen Promis wie Tatum O’Neil und America Ferrara zu den BewohnerInnen.

Forward Building, 175 East Broadway

Jüdische Kultur in New York: Museum at Eldridge Street

Museum Eldridge Street Synagoge

Dieses Museum habe ich durch ein Multikulti-Fest entdeckt: Das Egg Rolls Egg Creams and Empanadas Festival feiert jedes Jahr Mitte Juni vor den Toren dieser prächtigen Synagoge das Zusammenleben von jüdischen, chinesischen und puertoricanischen NachbarInnen mit typischem Essen (Egg Nogg ist ein so kalorienreiches Getränk, dass ich es einfach mal zur Mahlzeit erkläre), Musik (von Pekingoper bis Klezmer) und kleinen Workshops, bei denen man zum Beispiel eine Yarmulke oder eine Vejigante bastelt oder Mahjongg spielen lernt.

Den Rest des Jahres widmet sich dieses Museum aber der jüdischen Kultur in New York. Das fängt mit Führungen durch die 1887 erbaute Synagoge (eine von zwei denkmalgeschützten Synagogen in NYC) und Ausstellungsstücken an, die jüdische Symbole und die Restaurierung des Gebäudes erklären, und geht bis zu einem großen Angebot an Kulturveranstaltungen und walking tours.

Museum at Eldridge Street, 12 Eldridge Street, Öffnungszeiten und Details auf der Website.

Exotisches unter dem Brückenpfeiler: New York Mart

Rund um die Haltestelle East Broadway findet ihr jede Menge asiatische Läden. Sie prägen seit den 70er Jahren das Bild des Viertels, als EinwanderInnen aus Fuzhou und umliegenden Orten in der chinesischen Provinz Fujian nach New York kamen. Einige der Läden sehen aus wie in der Zeit stehengeblieben, andere greifen aktuelle Trends auf – und dazu gehört der New York Mart.

Luffa Gurken New York Mart

Manche nennen diesen Supermarkt das chinesische Eataly: Da sind Wintermelonen, Chilisauce und frozen fish pudding im Angebot, es gibt Tee, Nudeln und quietschbunte Süßigkeitentüten, in der Gemüseabteilung liegen frische Luffagurken (im Bild) und draußen warten stachelige Drachenfrüchte direkt unter einem Brückenpfeiler der Manhattan Bridge.

New York Mart, 75 East Broadway (der leichter zu findende Eingang: Henry Street zwischen Forsyth und Mechanics Alley), Details auf der Website.

Leinwand frei für Prestigefilme: Metrograph

Während manche Blockbuster-Kinos schließen, macht eine andere Art Lichtfilmhaus auf: Das im Frühjahr 2016 eröffnete Metrograph ist so cool, dass es auf Außenwerbung verzichtet – ein wahres Insiderkino.

Metrograph Kino Lower East Side

Die Technik drinnen ist nicht nur auf die heute üblichen digitalen Formate ausgelegt, sondern dort laufen auch oft 35mm-Filme. Als Programmkino zeigt Metrograph Reihen mit japanischen Horrorfilmen aus den 1970ern und 1980ern, Paul Auster-Verfilmungen oder Werken von Godard plus eingestreute aktuelle Filme jenseits des Mainstream, etwa eine Doku über die Entstehung von Lee Ranalds (Sonic Youth) Album ” Electric Trim”. Zum Kino gehört auch ein Bar-/Restaurantbereich und im oberen Stock ein Buchladen voller cineastischer Raritäten. Auf ein entsprechend anspruchsvolles Publikum ist auch die Einrichtung abgestimmt – bis hin zum Popcornplastikeimerdesign.

Metrograph Popcorn

Metrograph, 7 Ludlow Street, Programm auf der Website.

Spezialistin für Bleistifte: CW Pencil Enterprise

Wo wir schon bei den engen Zielgruppen sind: Wie wäre es mit einem Laden nur für Bleistifte? Einer der Vorzüge von New York besteht darin, dass sich für alle möglichen – und vor allem unmöglichen – Ideen genug Gleichgesinnte finden. Zum Beispiel Bleistiftfans. Bei C.W. Pencils gibt es sie in vielen Härtegraden, Designs und aus vielen Ländern, in limitierten Auflagen und als Massenware, in Zigarettenform oder in einer hübschen Schachtel, Radiergummis und Anspitzer gibt es natürlich auch. Man kann sich auch beraten lassen, welcher Bleistift am besten fürs Zeichnen oder Hochglanzzeitschriftenkreuzworträtsellösen ist.

CW Pencils Bleistifte

Als Carolin Weaver mit 24 Jahren im Jahr 2015 diesen Laden eröffnete, habe ich ausführlich mit ihr über Bleistifte gesprochen (das könnt ihr in diesem Porträt und diesem Interview nachlesen). Und ihr Geschäft brummt so sehr, dass sie inzwischen in dieses Ladenlokal umgezogen ist, das ein klitzekleines bisschen größer ist als vorher.

CW Pencil Enterprise, 15 Orchard Street, Öffnungszeiten und Details auf der Website.

Mietkatze statt Miezekatze zum Kaffee: Meouw Parlor

Die Katzencaféwelle aus Asien ist ja auch nach Deutschland geschwappt, wie ich höre. In New York hat sich die eine oder andere Einrichtung dieser Art nicht gehalten, aber bei Meouw Parlor (meouw wird genau wie das deutsche miau ausgesprochen) geben sich die Gäste beständig die Klinke in die Hand – vor allem Millennials scheinen es zu genießen, für eine halbe Stunde (ca. 6,50 Dollar) oder länger mit Katzen zu spielen.

Haltestellenpuzzle East Broadway Meeouw Parlor

Nachdem man eine Haftungserklärung unterschrieben, die Schuhe ausgezogen und die Hände desinfiziert hat, darf man über all im Raum Platznehmen – und auf neugierige Katzen warten oder sie mit Spielzeug locken (zwei der Tiere hatten bei meinem letzten Besuch allerdings nur Augen für meine Ringelsöckchen). In ihren Körbchen darf man sie auch streicheln, nur Hochheben ist verboten. Wenn die Katzen keine Lust auf Menschen haben, können sie sich auf ein hohes Regal zurückziehen oder durch ein katzengroßes Tor in der Wand verschwinden.

Man kann einfach nur für die Katzen herkommen oder Kaffee und süßes Gebäck vom dazugehörigen Café bestellen, das für seine macarons bekannt ist. Beinahe hätte ich jetzt noch dazugeschrieben, dass man diese Tierheimkatzen später sogar (für immer) nach Hause holen kann – aber für Gäste aus Deutschland wäre das wohl arg kompliziert.

Meouw Parlor, 46 Hester Street, Öffnungszeiten und Details auf der Website.

Fast wie in den 80ern: Coleman Skate Park

Coleman Skate Park LES

Direkt unter der Manhattan Bridge ist es laut, und an dieser Stelle liegt das nicht nur daran, dass U-Bahnen über die Brücke rattern. Unten brettern SkateboarderInnen über den Platz und zeigen, was sie drauf haben – oder üben es noch. Diverse Rampen und Geländer ziehen jede Menge der SportlerInnen an. Das Mobiliar ist relativ neu; im Sommer 2012 wurde dieser Skatepark komplett renoviert. Das Ambiente von längst vergangenen, rauen Zeiten hat er dabei nicht verloren. Offiziell ist zwar Schutzkleidung (Helm, Ellenbogen- und Kniepolster) vorgeschrieben, aber daran hält sich dort nur ein Bruchteil der SkaterInnen.

Coleman Skate Park, 62 Pike Street (Ecke Monroe St).

 

Jetzt willst du dich auch noch in anderen Gegenden umschauen? Hier geht’s zu den anderen Folgen des Haltestellenpuzzles – in Manhattan, Brooklyn, Queens und Staten Island.

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