Dieser Anblick zieht nicht nur meinen Blick an. Trotz Wolken kommen alle möglichen Leute her, und viele gucken nicht nur, sondern sie posieren für Fotos. So eine Riesenregenbogentreppe gibt es eben nicht alle Tage; der Four Freedom Park auf Roosevelt Island will damit den 50. Jahrestag der Rebellion am Stonewall Inn in der Nacht vom 27. auf den 28. Juni 1969 ehren.
Damals wurden Schwule, Lesben, Transgender und Bisexuelle noch mehr diskriminiert und kriminalisiert als heute, mal mehr, mal weniger offensichtlich. Unter anderem hatten von ihnen favorisierte Bars Schwierigkeiten, eine Lizenz für den Alkoholausschank zu bekommen. Das Stonewall Inn hatte keine, und so konnte die Polizei dort alle verhaften, die sie beim Verkauf von Alkohol erwischen konnte. Allerdings beschränkte sie sich nicht auf die legale Grundlage, sondern sie drangsalierte die Gäste. Eines Nachts hatten die genug: Eine Gruppe, die draußen stand, begann, sich lautstark gegen die respektlose Behandlung zu wehren, und daraus wurden tagelange Proteste.
Das alles führte zur ersten NYC Pride im Jahr darauf, die damals Christopher Street Gay Liberation Day hieß – und in Deutschland heute noch als CSD oder Christopher Street Day bekannt ist.
“Ascend With Pride” nennt die Parkverwaltung auf Roosevelt Island ihre Regenbogentreppe, und meine Herren Gesangsverein, das fluppt. So viele Leute wollen diese Treppe rauf, um sich da in Pose zu werfen. Sehr her, das bin ich, so seh ich aus, und da gibt’s nix zu schämen, darauf kann ich stolz sein – das kann auch heute noch Rebellion bedeuten.
Die größte Regenbogenfahne in ganz New York sei das, erfahre ich an der Treppe. Na, das ist ja ein feiner Wettbewerb. Überall in der Stadt überbieten sich Institutionen und Museen, Bars, Geschäfte und die Marken der Großkonzerne mit Plakaten und angestrahlten Gebäuden voller Symbole.
Regenbogenfarben stehen dieser Tage für die Feiern, mit denen die LGBTQ+-Gemeinde — Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender, Queer und ihre Verbündeten — auf allgemeine Menschenrechte aufmerksam macht. Oder besser gesagt darauf, dass die nicht nur für einige, sondern für alle Menschen gelten.
Eigentlich symbolisiert die Regenbogenfahne die menschliche Vielfalt, aber nun wirft sie Fragen auf. Heißt das Wimpelzeigen allüberall nun, dass nach 50 Jahren endlich alles in Butter ist, dass LGBTQ+ tatsächlich einfach sie selbst sein können, immer und überall, und die ganze Stadt, das ganze Land sie darin bestärkt? Wie schön das wäre.
Die Wirklichkeit räuspert sich: Hallo? Erst 2016 war mal wieder ein Schwulenclub in den Schlagzeilen. Im Pulse in Orlando hatte ein Mann gezielt 49 Menschen erschossen, 53 wurden verletzt. Und selbst im Pride-Jubiläumsjuni in New York wecken die Nachrichten Zweifel am Traum vom Frieden.
Die NYPD entschuldigt sich mit knappen Worten bei den LGBTQ+ für die brutalen Polizeirazzien im Stonewall Inn; fast 50 Jahre hat das gedauert. Kurz darauf stirbt eine Transfrau unter ungeklärten Umständen in einer Isolationshaftzelle auf Rikers Island. Über der Stadt liegt der Begriff “Pinkwashing”: So heißt das, wenn Firmen oder Einrichtungen sich nur den Anschein geben, für die Rechte der Menschen auf dem regenbogenbunten Spektrum der Geschlechteridentitäten und sexuellen Ausrichtungen einzutreten.
Vielleicht um auf irgendeinem Trend mitzuschwimmen. Oder um eben jenes Spektrum als Kundschaft zu gewinnen. Oder um weiterhin engstirnig zu denken, aber nicht so auszusehen. Oder weil die anderen ja auch alle mitmachen.
Es machen aber gar nicht alle mit.
Im Vorfeld der Vorbereitungen dieses Jubiläums der NYC Pride fanden einige, es sei abzusehen, dass da jede Menge Pinkwashing betrieben würde – und die eigentliche Bedeutung der Parade verwässsert, ach was: nach Absurdistan getrieben wird.
Die Rebellion begann schließlich, als sich Drag Queens, schwule Schwarze und viele andere Menschen wehrten, die sich oft unversehens mit Diskriminierung und Brutalität von Seiten der Polizei konfrontiert sehen. Und im Gedenken an diese Geschichte – und auch mit Blick auf heutige Verhältnisse – sehen längst nicht all ein, warum die Polizei bei der Parade mitmarschieren soll oder was markenkonforme Festwagen von Sponsoren wie T-Mobile, Mastercard oder Macy’s mit dem Kampf für Menschenrechte zu tun haben. Deshalb gibt es am Sonntag zwei Paraden.
Da wäre der alteingesessene NYC Pride March – und der Queer Liberation March, organisiert von der Reclaim Pride Coalition. Sie will die Tradition des Widerstands gegen Polizeigewalt und gesellschaftliche Unterdrückung sowie die Allianzen mit anderen Gesellschaftsgruppen in den Mittelpunkt stellen. Die Liste der Gründe, warum sie auf die Straße ziehen, ist lang. Sie reicht von Frauen- bis Fremdenhass, von Homophobie bis Krankenversicherung für alle, von Rassismus bis Klimawandel, vom Gedenken an die Geschichte bis zur die Befreiung der Unterdrückten.
Erst dachte ich, dass es schade ist, dass die Marsch-Verantwortlichen es nicht geschafft haben, New York zu einen. Ist es ja auch. Aber … als wenn das mal so einfach wäre! Immerhin wehen ja nun überall Fahnen wie sonst nur an staatlichen Feiertagen – und das, obwohl unsere Regierung eben jene Regenbogenfahnen am liebsten verstecken möchte. Da ist so eine Erinnerung per Extramarsch doch ganz praktisch: 50 Jahre nach der ersten NYC Pride muss sich immer noch – oder schon wieder? – jede Menge ändern; und das zu schaffen, wäre der Aufstieg.
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