Höher! Schneller! Weiter! Mein Vorrat an Ausrufezeichen reicht nicht, um das Image von New Yorks Wettbewerbsatmosphäre zu spiegeln. In dieser Stadt findet sich immer jemand, die oder der besser als man selbst ist. Menschen, die irgendwie mit noch mehr Leidenschaft ihr Ding durchziehen, die ähnliche Ideen cleverer umsetzen, schneller die passenden InteressentInnen gefunden haben oder die direkt schon mit ihren Träumen viel, viel höherfliegen als ich. Oder du.

Aber Bangemachen gilt nicht. Klar hat auch New York die handelsüblichen AngeberInnen zu ertragen, aber ich finde nicht, dass die Konkurrenz-Gemengelage in der Stadt generell feindselig ist, im Gegenteil. Von so vielen klugen, ehrgeizigen, engagierten und manchmal auch durchgeknallten Leuten umzingelt zu sein, spornt mich dazu an, eine Schippe draufzulegen. Und dazu passt die Architektur.

Wir wollen hoch hinaus, rufen die Spatzen in New York von den Dächern, wenn sie sich denn die Mühe machen, bis nach ganz oben auf die höchsten Dächer zu fliegen, und dort dann auch noch Landeplätze vorfinden. Kein Wunder, dass Wolkenkratzer sich an den Begriff “Fortschritt” herangewanzt haben. Wenn ich irgendein Skyline-Foto mit lauter Wolkenkratzern sehe, denke ich an Zukunft statt an Stillstand. Vielleicht geht es euch ähnlich?

Dann könnt ihr bei der folgenden Geschichte ebenso “och” und “aha” rufen wie ich. Es ist nämlich mal wieder nix so, wie es scheint. Und das bringt das Hirn so schön zum Sirren! Huch, hab ich also doch noch ein Ausrufezeichen gefunden.

Skyline Rockefeller Uni

Da bin ich zu Besuch in der 1901 gegründeten Rockefeller University und gucke mir die Gebäude an. Mit einem jährlichen Budget von 225 Millionen Dollar hat sich diese Forschungseinrichtung der Verbesserung der menschlichen Gesundheit verschrieben. Ihre WissenschaftlerInnen haben Gene identifiziert, die Fettsucht beeinflussen, sie haben die chemische Struktur von Antikörpern ermittelt und festgestellt, dass chronischer Stress die Gehirnzellen schrumpfen lässt.

Rockefeller University Geräte

Die Labors am East River haben bislang 25 Nobelpreisträger und 22 Besitzer des renommierten Medizinpreises Lasker Awards hervorgebracht. Das sind alles Männer, sagt meine nette Führerin peinlich berührt, und dann schnell hinterher, dass die Uni das zu ändern versucht – und den Frauenanteil sowohl bei der Forschungsleitung (rund 15 Prozent) als auch beim restlichen Personal in den letzten Jahren erheblich gehoben hat.

1325 Angestellte arbeiten auf dem Campus in Forschung, Technik- und Verwaltung, aber AnfängerInnen gibt es an der Rockefeller University nicht. In den 82 Laboratorien arbeiten neben den LeiterInnen und Angestellten rund 200 StudentInnen an ihrem Doktorabschluss, etwa 325 haben Post-Doktorandenstellen. Diese Forschungsuni beschäftigt sogar viele TechnikerInnen, GlasbläserInnen und DreherInnen, die mit den ForscherInnen zusammenarbeiten, um das passende Gerät für Analysen und Experimente zu entwickeln. Einige davon darf ich bestaunen.

Rockefeller University Geräte

Neben den älteren Gebäuden, unter anderem mit einer Bibliothek, in der ich auch gerne Forschungsliteratur studieren würde …

Rockefeller University Library

… sehen wir auch neuere Teile der Uni. Zum Beispiel:

Rockefeller University Treppenhaus

In diesem lichtdurchfluteten Treppenhaus mit lauter luftigen Lunch-Plätzchen kann ich nicht anders, als mir vorzustellen, wie dort jemand aus seinem Labor gestürmt kommt und auf diesem Kanzel-artigen Vorsprung “Heureka!” ruft.

Rockefeller University Treppenhaus

Kurzum: Mir drängt sich der Eindruck auf, hier dreht sich alles um Fortschritt. Draußen stimmen Bauzäune ins Hochhinaus ein. Drinnen erklärt mir ein Mann anhand von zwei Architekturmodellen, was da geplant ist. Denn die Rockefeller Universität erfindet sich mal wieder neu, und das sieht nur so aus, als würde sie sich erweitern. Mehr Platz wollen sie gar nicht, erfahre ich, sondern anderen Platz.

Bislang wurden die Gebäude auf dem Campus in die Höhe gebaut. Wer in New York Platz braucht, geht in die Luft, und auch für einen Rockefeller kosten Grundstücke Geld. Aber für die Forschung ist so ein Wolkenkratzer Gift, lerne ich nun. Denn die Grundfläche bleibt verhältnismäßig klein. Und das bedeutet, wenn die WissenschaftlerInnen wissen wollen, was die anderen eigentlich gerade machen, dann erfahren sie das nicht so mal eben im Vorbeigehen. Sie müssen erst mal in den Fahrstuhl steigen und irgendwo rauf- oder runterfahren.

Früher, so erzählt mir der Mann mit den Modellen und lässt seine Hand in den großen Saal schweifen, kamen alle WissenschaftlerInnen der Uni hier zum Frühstück und zum Mittagessen zusammen, und dabei gab es zwanglosen Smalltalk, bei dem es natürlich auch um Forschungsfragen ging – und sich unerwartete Lösungen und Denkanstöße über die Disziplinen hinweg quasi natürlich ergaben. Um das wiederzubeleben, baut die Uni jetzt … in die Breite statt in die Höhe.

Damit bekommt sie, was im Wolkenkratzer nicht geht: Eine große Ebene, auf der nicht nur die ForscherInnen sich viel einfacher treffen oder sogar unabsichtlich im Vorbeigehen etwas von den Experimenten der anderen mitbekommen, sondern sich auch vieles verschieben lässt, so dass Labore je nach Projekt auch mal neu gestaltet oder zusammengelegt werden können.

Das öffnet die Tür für die bestmöglichen Ergebnisse, denn, so glauben jedenfalls die BauplanerInnen dieser Universität: Fortschritt gibt es nur, wenn ganz unterschiedliche Menschen sich austauschen, gegenseitig inspirieren und zusammenarbeiten.

Bleibt die Frage, welches Bild dann das vom Hoch-Hinaus-Wolkenkratzer ablösen wird. Habt ihr eine Idee?

 

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